213 Todesopfer sowie weitere Verdachtsfälle: Das ist die Bilanz rechter Umtriebe seit 1990 in Deutschland. Auch heute sind Angriffe auf Menschen mit migrantischer Geschichte hierzlande immer noch an der Tagesordnung. Der Anschlag in Hanau, der sich am Samstag zum zweiten Mal jährte, war ein trauriger Höhepunkt des rechten Terrors.
Seit den 1990er Jahren wehren sich Migrant:innen gegen diese Gewalt. In antifaschistischer Selbstorganisierung kämpften und kämpfen sie auf vielen Ebenen gegen die kontinuierliche Bedrohung von rechts. Um diesen Widerstand zu würdigen, hat die Ausstellung „Migrantischer Widerstand im Hamburg der 1990er Jahre“ vergangene Woche in Kassel Halt gemacht. Von Donnerstag bis Sonntag gewährten Kopien der Wandzeitung in den Räumlichkeiten des Gesellschaftszentrums der kurdischen Community Kassels einen Einblick in die rassistischen und rechtsextremen Kontinuitäten und die konsequenten und selbstorganisierten Kämpfe dagegen.
Viele der Forderungen sind heute ebenso aktuell, wie noch damals in den 1990ger Jahren, als sie aufgestellt wurden. Das liegt auch daran, dass der Widerstand von Migrant:innen und Geflüchteten in der Berichterstattung nur selten Gehör findet. Anlässlich des zweiten Jahrestags der Hanauer Morde an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov hatte das kurdische Gesellschaftszentrum im Rahmen der Ausstellung auch eine kleine Gedenkstätte in den Vereinsräumen eingerichtet.
Wandzeitung von Gürsel Yildirim
Die Ausstellung wurde von dem Hamburger Soziologen und Aktivisten Gürsel Yildirim kuratiert und stützt sich auf sein umfangreiches Archiv zu migrantischem Widerstand, das er seit Anfang der 1990er Jahre aufgebaut beziehungsweise gesammelt hat. Zu sehen sind bisher unveröffentlichte Fotos sowie Originalflyer und Originalplakate zum Antirassismus im Stadion des FC St. Pauli ab 1991, migrantischen Zeitschriften der 1990er Jahre und diversen Protesten, etwa von Roma und Geflüchteten in Neuengamme 1993 und den Brandanschlägen von Mölln (92) und Solingen (93). Auch der Widerstand von Antifa Gençlik bis 1994 wird dokumentiert. Ebenso Initiativen zur Umbenennung von Plätzen und Straßen im Gedenken an Opfer rassistischer Gewalt seit den 1980er Jahren.
Selbstorganisierter Widerstand gegen völkische Bewegung wird stärker
Gürsel Yildirim schreibt im Editorial: „In diesen frühen Jahren des wiedervereinigten Deutschlands nahmen rassistische Gewalt und völkische Hetze derart erschreckende Ausmaße an, dass eine neue Stufe selbstorganisierten Widerstands notwendig wurde. Dieser wurde ab Mitte der 1990er Jahre wieder schwächer. Nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 und vor allem als Reaktion auf das Massaker in Hanau vom 19. Februar 2020 ist eine neue Generation von antirassistischen Aktivist:innen dabei, sich gegen die vielfältigen Rassismen und den neuen Faschismus der Gegenwart zu formieren. Mit dieser Wandzeitung möchten wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass der selbstorganisierte Widerstand gegen die völkische Bewegung noch stärker wird und diese mit anderen emanzipatorischen Bewegungen zu einer gerechten und solidarischen Gesellschaft führt. Die Wandzeitung verstehen wir als einen winzigen Schritt in diese Richtung.“
Die Arbeit von Gürsel Yildirim zeigt damit nicht nur die Geschichte von vergessenen und ungehörten Kämpfen, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Debatten und Widerständen. Das Projekt ist in Kooperation mit Kampnagel - Internationale Kunstfabrik entstanden und wurde von der Freien und Hansestadt Hamburg im Rahmen der Initiative STADT MIT COURAGE gefördert.