Der für Mai angekündigte Band III des auf fünf Bände angelegten „Manifest der demokratischen Zivilisation“ des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan ist nun doch früher erschienen und kann ab sofort im UNRAST-Verlag oder im örtlichen Buchhandel bestellt werden.
In etwas mehr als drei Jahren (2007–2010) hat Öcalan mit dem „Manifest der demokratischen Zivilisation“ ein Opus Magnum verfasst, in dem er seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus 35 Jahren radikaler Theorie und revolutionärer Praxis zusammenfügt. Nachdem er in den ersten beiden Bänden die Geschichte der Zivilisation von ihren Anfängen bis zur kapitalistischen Moderne neu interpretiert hat, legt der Mitbegründer der kurdischen Befreiungsbewegung mit dem dritten Band eine Methode für die Lösung der drängendsten Probleme des 21. Jahrhunderts vor: die „Soziologie der Freiheit“.
Öcalan erkennt die Notwendigkeit einer Kritik des sogenannten „wissenschaftlichen Sozialismus“, auf den er selbst, die kurdische Bewegung und die PKK sich in der Vergangenheit immer bezogen hatten. Industrialismus, Kapitalismus und der Nationalstaat können nicht mit den Mitteln eines orthodoxen sozialistischen Konzepts transformiert werden. Deshalb wendet Öcalan sich den originellsten Denkern der Linken zu und debattiert in bemerkenswerter Bandbreite Themen wie Existenz, Freiheit, Philosophie, Anarchismus, Natur und Ökologie. Dabei entwickelt er eine radikale und sehr weitreichende Definition von Demokratie, ausgehend von seiner zentralen These, dass es immer und überall parallel zu jeder herrschenden Zivilisation eine „demokratische Zivilisation“ gibt, die sich im Widerstreit mit (kapitalistischer) Herrschaft, Patriarchat und Nationalstaat befindet.
In „Soziologie der Freiheit“ widmet sich Öcalan auf 488 Seiten der Frage, wie konkret die Demokratische Moderne beschaffen sein muss, um eine Alternative zur Kapitalistischen Moderne darzustellen. Philosophische Überlegungen zu Wahrheit und Freiheit und ein Bewusstsein für die jahrtausendealten Kämpfe zwischen Staat und Gesellschaft bilden die Grundlage für die konkreten Vorschläge, die Öcalan für den Aufbau der Demokratischen Moderne macht. Er benennt in dem Buch zwölf grundlegende gesellschaftliche Probleme, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt haben und heute die Krise der Kapitalistischen Moderne ausmachen: Macht und Staat, Moral und Politik, Bewusstsein, Ökonomie, Industrialismus, Ökologie, der Komplex von Sexismus-Familie-Frauen-Bevölkerungsentwicklung, Verstädterung, Klasse und Bürokratie, Bildung und Gesundheit, Militarismus und zuletzt das Problem von Frieden und Demokratie. Eine ausführliche Erläuterung der Probleme würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Wichtig ist zu verstehen, dass all diese Probleme miteinander zusammenhängen und dieselbe Quelle haben, nämlich Staat und Macht.
Übersetzt wurde „Soziologie der Freiheit” aus dem Türkischen von Reimar Heider, dem Sprecher der „Internationalen Initiative: Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan“, und Mehmet Salih Akın. Das Vorwort hat John Holloway geschrieben. Holloway ist Professor der Soziologie und hat eine Vielzahl von Titeln zum Marxismus, der zapatistischen Bewegung und neuen Formen des antikapitalistischen Kampfes veröffentlicht. Seine Bücher „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ und „Kapitalismus aufbrechen“ haben für viel internationale Aufregung gesorgt.
Wer ist Abdullah Öcalan?
Abdullah Öcalan führte von der Gründung der PKK 1978 bis zu seiner Inhaftierung 1999 als Vorsitzender der PKK den kurdischen Befreiungskampf an. Er gilt nach wie vor als Vordenker und wichtigster politischer Repräsentant der kurdischen Freiheitsbewegung. Seine „Gefängnisschriften”, in denen er den Paradigmenwechsel der PKK von einer marxistisch-leninistischen Partei hin zu einer radikaldemokratischen Basisbewegung anstieß und die politische Philosophie des Demokratischen Konföderalismus bzw. der Demokratischen Autonomie begründete, haben seit 1999 weltweit große Beachtung gefunden.