Duran Kalkan, Mitglied des PKK-Exekutivkomitees, hat sich in einem Interview mit ANF zu den seit Jahrzehnten andauernden Angriffen des türkischen Staates auf Südkurdistan geäußert. Er bewertet dabei die Rolle regionaler und internationaler Kräfte. Der erste Teil endete mit dem „Südkrieg“ im Oktober 1992. Dabei handelte es sich um eine Militäroperation des Bündnisses Türkei, USA und den südkurdischen Parteien PDK und YNK.
Was war die Rolle der USA bei diesen Angriffen? Wurden sie im Bündnis mit den USA durchgeführt?
Die USA hatten dabei eine Führungsrolle inne. Die Angriffe wurden von den USA und der NATO unterstützt. Mehr noch als die Türkei waren es die USA, die den türkischen Staat und die PDK und YNK so weit brachten, im gemeinsamen Bündnis die PKK anzugreifen. Wir wissen, dass es 1991 im Rahmen der NATO-Operation „Poised Hammer“ (deutsch: Schwebender Hammer) Planungen für den Angriff gab, die dann auch umgesetzt wurden. Wer die türkischen Besatzungsangriffe und die dauerhafte Festsetzung des türkischen Staates in Südkurdistan mit den Beziehungen zur PDK und YNK erklären will, sollte versuchen, die NATO zu begreifen und sich die Beziehungen zwischen dem türkischen Staat und den USA anschauen. Seit 1985 wurde der Krieg gegen die Guerilla von der Türkei auf die Agenda der NATO gebracht und in diesem Zusammenhang muss auch die 1991 unter der Führung der USA umgesetzte Operation „Poised Hammer“ betrachtet werden. Diese Operation war eigentlich eine große Militäroperation. Es handelte sich um eine Operation, mit der die USA die Grundlage für ihre militärische Intervention im Golfkrieg legten.
Nach außen hin ging es den USA darum zu verhindern, dass die Kräfte Saddam Husseins den 36. Breitengrad zu Land oder zu Luft überschreiten. Es war den Panzern und Flugzeugen Saddams verboten worden, den 36. Breitengrad zu überqueren. Das wurde der Welt als ihr einziges Ziel verkauft. Auch wenn zu verschiedenen Zeiten Drohungen durch Saddam unterbunden wurden, war das nicht das Hauptziel von „Poised Hammer“. Es handelte sich um eine unter Führung der USA getroffene militärische Entscheidung, sie wurde von der NATO unterstützt, aber die Operation fand auf der Grundlage der Allianz zwischen den USA und der türkischen Regierung statt. Während nämlich einerseits den Kräften Saddams das Überschreiten des 36. Breitengrads verboten wurde, fanden grenzüberschreitende Angriffe der Türkei auf Südkurdistan im Rahmen dieser Operation statt. Dahinter stand die Entscheidung der USA. Nachdem die Truppen Saddams nicht mehr über den 36. Breitengrad vorrücken konnten, brachten die USA die PDK und die YNK in Kurdistan an die Macht. Es gab ein entsprechendes Abkommen und die Regierung in Hewlêr (Erbil) wurde im Rahmen dieser Garantien aufgebaut. Ohne diese Garantien hätte eine solche Regierung nicht gebildet werden können. Die PDK oder die YNK allein hätten keinen einzigen Schritt mit so einer Regierung gehen können. Die Grundlage dafür wurde von „Poised Hammer“ gelegt.
Eigentlich war das Ziel, eine Gegenregierung zu Saddam in Südkurdistan zu errichten. Aber die Operation hat nicht allein die Truppen Saddams ausgesperrt, sondern den türkischen Kräften die Tür geöffnet, daher wurde die PDK/YNK-Regierung zwar gegen Saddam, aber in einer Allianz mit der Türkei aufgebaut. Auf dieser Grundlage wurden die Regierung in Hewlêr gebildet und Wahlen abgehalten. So wie dem türkischen Militär die Erlaubnis für Operationen aus der Luft oder am Boden gegeben wurde, so wurde der PDK und YNK der Befehl erteilt, in einer Allianz mit dem türkischen Militär zu agieren. Es wurde eine gemeinsame Vereinbarung getroffen. Der türkische Staat hat die Regierung in Hewlêr anerkannt und die Regierung in Hewlêr hat dafür der türkischen Regierung jede Unterstützung bei den Angriffen auf die PKK zugesagt.
Was hat dieser Plan für Ergebnisse gebracht, welche Operationen gab es gegen die PKK?
Das einzige politisch-militärische Ziel war, die PKK nicht nach Südkurdistan zu lassen. Sie sollte sich nicht in Südkurdistan organisieren, nicht wirksam werden. Sie sollte keine Kraft in Südkurdistan aufbauen und der Grenzübergang für sie nach Südkurdistan sollte gestoppt werden. Eigentlich war eine solche Entscheidung gegen die PKK schon 1979 in Ankara getroffen worden. Die damalige Entscheidung war: Die PKK sollte nicht über Mêrdîn (Mardin) hinauskommen und auf keinen Fall nach Botan vordringen. Deswegen wurde in Mêrdîn und in Amed (Diyarbakır) 1980 eine Kraft unter dem Namen UDG organisiert, die die PKK angreifen sollte. Man wollte die PKK in Mêrdîn und in Amed halten und verhindern, dass sie sich in Botan organisiert. In dem Gebiet wollten sie die PKK in einen Krieg ziehen und ersticken. Die PKK hat diesen Plan zum Scheitern gebracht, da sie sich in den Libanon und nach Palästina zurückzog, und im Vernehmen mit der PDK über die Grenze von Botan/Behdînan zurückkehrte. Die PKK nutzte die vom Iran-Irak-Krieg geschaffene politisch-militärische Lücke und entwickelte auf der Grundlage der Guerillaaktionen vom 15. August 1984 die Guerilla in Nordkurdistan, sie breitete sich aus und wurde stark. Als zwischen 1987–88 die Angriffe des Spezialkriegs des türkischen Staates ebenfalls scheiterten, hatte die Guerilla in Nordkurdistan schon tiefe Wurzeln geschlagen. Sie zerschlug die Operationen des türkischen Militärs. Die Guerilla war zu einer unauslöschlichen Tatsache im Norden geworden. 1979 wurde erklärt, dass die PKK nicht über Mêrdîn hinaus in das Gebiet von Botan darf, nun aber setzte das internationale System der kapitalistischen Moderne, das die Kurden verleugnet und vernichtet, darauf zu verhindern, dass die PKK in Südkurdistan zu einer wirksamen Kraft wird.
Das Hauptziel der Operation „Poised Hammer“ war, der Guerilla den Grenzübergang nach Südkurdistan zu versperren. Zu diesem Zweck ist die YNK und die PDK zusammengebracht und mit dieser Aufgabe betraut worden. Auf dieser Ebene wurden sie mit der Türkei zusammengebracht. Der Türkei wurde die Erlaubnis erteilt, jegliche Angriffe – vom Boden und aus der Luft – auf Südkurdistan durchzuführen. Die genannten Kräfte sollten, wann immer sie wollten, unter dem Vorbehalt, dass sie abgesprochen werden, angreifen. Deshalb führte das türkische Militär nach 1991, als ihre Vorbereitungen abgeschlossen waren, die genannten Operationen durch. In den achtziger Jahren war es noch nötig, die Erlaubnis der Saddam-Regierung einzuholen und die Operation mit Kenntnis der irakischen Regierung durchzuführen. Ab 1991 stützten sie sich auf das Recht, das ihnen mit „Poised Hammer“ gegeben worden war; sie konnten zu jedem gewünschten Zeitpunkt Operationen durchführen. Außerdem konnten sich diese Operationen weiter in den Süden, in die Mitte Südkurdistans ausweiten. In allen Gebieten nördlich des 36. Breitengrads trat nun das türkische Militär offen auf, die türkische Besatzung Südkurdistans wurde offensichtlich. Die genannten Angriffe begannen mit dem Ziel, die PKK zu zermalmen, aber als sie wiederholt ohne Erfolg blieben, ging man weiter und begann mit der Stationierung und dem Aufbau von Stellungen und Basen.
Auf diese Weise begann Schritt für Schritt die Besatzung Südkurdistans. Im Oktober 1992 begann unter Beteiligung der NATO eine umfassende Operation, die als „Südkrieg“ in die Geschichte eingegangen ist. Eigentlich können wir sagen, dass damals die Besatzung Südkurdistans begonnen hat. Das türkische Militär zog sich wieder zurück, aber seine Geheimdiensteinheiten, seine Spezialkräfte blieben in verschiedenen Gebieten der PDK verdeckt und in den Einheiten der PDK zurück. Denn sie waren angeblich gekommen, um die PDK zu schützen. Die türkischen Generäle haben immer behauptet, dass die Regierung in Hewlêr sie gerufen habe und sie ihnen zu Hilfe geeilt seien. Tayyip Erdoğan sagt jetzt, die Anerkennung der Autonomieregierung in Hewlêr sei ein Fehler gewesen, aber ohne sie hätten gar keine grenzüberschreitenden Operationen stattfinden können. Früher oder später wird er dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Angriffe wurden früher als Militäroperationen durchgeführt. Wann hat der türkische Staat seine Militäroperationen in eine dauerhafte Besatzung umgewandelt?
Ja, früher war das Ziel, die Guerillakräfte vernichtend zu treffen und zu neutralisieren. Als sich das Ziel der Vernichtung nicht realisieren ließ und auch die Angriffe auf die Guerilla ohne Erfolg blieben, wurden die Operationen massiv ausgeweitet, sowohl in Bezug auf ihren Umfang als auch auf ihre Dauer. Zuerst wurden Operationen durchgeführt und nach Beendigung fand der Rückzug statt. Dann begannen sie, Kräfte in den Gebieten zu halten und Südkurdistan Schritt für Schritt zu besetzen. Mit dem Krieg von 1992 blieben die Geheimdienstkräfte und die Spezialeinheiten. Nach der Operation von 1995 ging es weiter. Die Strategie der damaligen militärischen Führung der Türkei hatte mehrere Dimensionen: Die PKK zu schlagen und die PDK weiter unter Kontrolle zu bringen. Darüber hinaus ging es darum, Schritt für Schritt kleine Einheiten zu stationieren und die Region zu besetzen. So sind sie in die Position gekommen, die Region zu kontrollieren. Sie sagen, sie hätten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. So bewerten sie insbesondere die Operation von 1995. Es ist zwar nicht viel dabei für sie herausgekommen, aber sie haben zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt, dort militärische Kräfte zu stationieren. Diese Möglichkeit haben sie mit Sicherheit von den USA erhalten und die PDK wurde dazu gebracht, dies zu akzeptieren. Gegen US-Beschlüsse konnte die PDK nichts tun.
Wir können also festhalten, dass die Militäroperationen ab 1992 Schritt für Schritt in eine Besatzung mündeten und sich diese Entwicklung 1995 weiter konkretisierte. Bei der Operation im Jahr 1997 drangen türkische Panzer in Südkurdistan und insbesondere in alle Städte in Behdînan ein. Sie gingen bis Diyana, erreichten Hewlêr und rückten von dort nach Qesre und Haci Umran vor. Die Panzer, die 1992 nur in Haftanin standen, rückten 1997 in ganz Südkurdistan ein. Monatelang wurden Stützpunkte in den Gemeinden Südkurdistans errichtet, an den Straßenkreuzungen wurden Panzer positioniert und die Region wurde mit Laser und Wärmebildkameras kontrolliert. Deshalb gibt es heute stationierte Panzereinheiten in vielen südkurdischen Städten. Nicht nur in Bamerne, auch in Şeladize, in Sudi, in Amediye und mittlerweile auch an vielen Orten in Duhok und Zaxo gibt es türkische Panzer- und Artillerieeinheiten. Diese Panzer sind damals über die Grenze gekommen.
Wurde diese Besatzung unter Ausnutzung eines Vakuums im Verhältnis zwischen Südkurdistan und dem Irak durchgeführt oder spielten Abkommen mit anderen Kräften dabei eine Rolle?
Es gab kein Vakuum. Es wäre richtiger zu sagen, dass der türkische Staat seine Allianzen und Beziehungen im Rahmen der NATO genutzt hat, um seine Militäroperationen nach Südkurdistan und in den Irak zu einer dauerhaften Besatzung zu transformieren. Wenn man von einem Vakuum sprechen will, dann ist es das Ergebnis des acht Jahre andauernden Iran-Irak-Kriegs, oder auch eine Folge des späteren Golfkrieges. Zum Beispiel: Als der Iran-Irak-Krieg im September 1980 begann, da war an der türkisch-irakischen Grenze auf südkurdischer Seite eine Zone ohne irakische Soldaten entstanden, denn die irakische Armee war an die Grenze zum Iran abgezogen worden. Nur an einigen wenigen strategischen Orten blieben Saddams Truppen zurück.
Zu diesem Thema kann ich noch einige konkrete Anmerkungen machen. Einige der Militärbasen entlang der Grenze waren Stützpunkte der Armee Saddams. Sie befanden sich auf der irakischen Seite der Grenze. Als Saddam Hussein seine Truppen wegen des Iran-Kriegs von der Grenze abziehen musste, hat er diese Stützpunkte räumen lassen. Nachdem sie geräumt waren, wurden sie dem türkischen Militär übergeben. Es gibt in Çelê (Çukurca) das Gebiet Tepe Sor. Hier kommt es immer wieder zu Angriffen der Guerilla. Tepe Sor ist ein Beobachtungsposten, von dem aus die gesamte Region kontrolliert werden kann. Dieser Gipfel war 1983 Saddams Stützpunkt gewesen. Ich bin damals dort vorbeigekommen. Die Hubschrauber Saddam Husseins starteten von dort. In der Umgebung gab es Peschmergas, deswegen konnten irakische Bodentruppen nicht vorrücken.
Später wurden Saddams Kräfte von dort abgezogen und der Gipfel dem türkischen Militär übergeben. An vielen anderen Orten ist dies ebenfalls geschehen. Laut Staatsgrenze handelt es sich um irakisches Territorium, aber der irakische Staat war in einer Situation, in der ihm nichts anderes übrigblieb, als seine Gipfel dem türkischen Militär zu übergeben, damit sie nicht der PDK oder der PKK in die Hände fielen. Ein solches Abkommen gab es zwischen den Staaten. Es ging nur darum, dass kein Gebiet in kurdische Hände gelangt.