Zur Geschichte der türkischen Angriffe auf Südkurdistan, Teil 1
Duran Kalkan, Mitglied des Exekutivkomitees der PKK, äußert sich im ANF-Interview zu den in den 1980er Jahren begonnenen Angriffen des türkischen Staates auf Südkurdistan.
Duran Kalkan, Mitglied des Exekutivkomitees der PKK, äußert sich im ANF-Interview zu den in den 1980er Jahren begonnenen Angriffen des türkischen Staates auf Südkurdistan.
Als Mitglied des PKK-Exekutivkomitees hat sich Duran Kalkan im ANF-Interview die seit Jahrzehnten andauernden Angriffe des türkischen Staates auf Südkurdistan geäußert. Kalkan bewertet dabei die Rolle regionaler und internationaler Kräfte bei den Angriffen und erläutert die Haltung der PKK.
Die Besatzung Südkurdistans durch den türkischen Staat hat bereits mit den ersten grenzüberschreitenden Angriffen im Mai 1983 begonnen. Was waren Umfang und Ziel der damaligen Angriffe und wie bewerten Sie diese als Zeitzeuge?
Richtig, im Mai 1983 fand die erste Operation statt. Ich befand mich nicht direkt im Operationsgebiet. Ich hatte es kurz zuvor verlassen, da ich erfuhr, dass Mehmet Karasungur in Kandil gefallen war und dorthin gegangen bin. Von der Operation hörte ich erst auf dem Weg. Nach kurzer Zeit bin ich in das Gebiet zurückgekehrt und habe mit eigenen Augen die militärischen Ergebnisse sehen können, die aus der Operation hervorgegangen sind.
Die Operation stand im Zusammenhang mit der seit Herbst 1982 erfolgten Rückkehr der PKK-Guerilla in das Gebiet an der Grenze, die Nord- und Südkurdistan voneinander trennt. Mit der Ankunft der Guerillagruppen wurden Beziehungen zu der Bevölkerung der Region aufgebaut. Überall wurde darüber gesprochen, dass die PKK ins Grenzgebiet zurückgekehrt sei und einen Guerillakampf führen werde. Das kam auch dem türkischen Geheimdienst zu Ohren, der es an die Staatsführung weiterleitete. Sowohl auf militärischer als auch auf Regierungsebene herrschte Unbehagen angesichts dieser Situation.
Zweitens war es am Ufer des Grenzflusses Habur im Winter 1982/1983 zu einem Gefecht zwischen Schmugglern und türkischen Soldaten gekommen. Die Schmuggler hatten auf die Soldaten geschossen, dabei kamen zwei Soldaten ums Leben und es gab mehrere Verletzte. In der Regierung des türkischen Staates herrschte Wut darüber. In jener Zeit kam auch die PDK gerade erst aus Ostkurdistan, wohin sie sich nach der Niederlage von 1975 zurückgezogen hatte, nach Südkurdistan zurück. Gemeinsam mit der Kommunistischen Partei war sie am Südufer des Habur stationiert. Der türkische Militärposten und der Stützpunkt der PDK lagen sich an den beiden Ufern des Grenzflusses gegenüber.
Ich habe in jener Zeit Gespräche mit der PDK und der Kommunistischen Partei geführt. Zwischen der PDK und der türkischen Armee hatte es bisher keine Konflikte gegeben, aber der besagte Schmuggler-Angriff und die Verlautbarungen über eine Rückkehr der PKK-Guerilla hatten der Beziehung geschadet. Die Türkei machte da keinen großen Unterschied und hielt vermutlich die Anwesenheit der PDK dafür verantwortlich, dass die Schmuggler den Mut zu einem Angriff aufgebracht hatten. Und die Rückkehr der PKK ins Grenzgebiet erfolgte im Rahmen offizieller Beziehungen und einem Bündnis mit der PDK. Das wusste die Türkei und daher herrschte Wut auf die PDK.
Der erste grenzüberschreitende Angriff im Mai 1983 erfolgte also aufgrund der Besorgnis über die Rückkehr der Guerilla und der Auseinandersetzung mit den Schmugglern. Ziel des türkischen Staates war es, die PDK aus dem Grenzgebiet zurückzudrängen und die Kontrolle des türkischen Militärs über das Gebiet zu gewährleisten. Der erste Angriff umfasste ein Gebiet vom Habur-Ufer bis zur Bergregion östlich des Flusses. Ich war nicht mehr dort, aber Einheiten von uns waren in dem Gebiet. Sie waren jedoch nicht in unmittelbarer Nähe der PDK oder der Grenze und die Operation ging nicht bis zu ihrem Stützpunkt. Laut Medienberichten drangen die türkischen Truppen fünf Kilometer nach Südkurdistan ein. Die Operation war nicht von langer Dauer und die Einheiten wurden hinter die Grenze zurückgezogen. Die PDK und die Kommunistische Partei räumten ihr Camp, die PDK gab das Gebiet auf und zog sich ans Zap-Ufer zurück.
Bei diesem ersten Angriff auf Südkurdistan ging es also darum, die PDK zurückzudrängen und den Bewegungsspielraum der PKK-Guerilla einzuschränken. Es handelte sich um eine lokal begrenzte Operation, bei der es zu keinen Gefechten kam. Die türkischen Soldaten drangen erstmalig auf irakisches Staatsgebiet vor, drängten die PDK zurück und zogen sich wieder zurück.
Haben die Angriffe danach weiter angehalten?
Wir haben keine konkreten Informationen über weitere Angriffe in den 1980er Jahren. Es gab sicherlich lokal begrenzte Angriffe, aber damals gab es auch viel weniger Guerillakräfte und es war gar nicht möglich, das gesamte Geschehen in der Region zu verfolgen.
In den 1990er Jahren fanden ständig Angriffe statt. Gab es dabei einen Unterschied zu den 1980er Jahren?
Die Operationen und Besatzungsangriffe in den 1980er Jahren fanden in der Form kurzzeitiger Grenzüberschreitungen statt. Es ging hauptsächlich darum, den Bewegungsfreiraum der Guerilla im Grenzgebiet einzuschränken. Die Guerilla sollte die Grenze nicht überschreiten. In den 1990er Jahren änderte sich die Situation. In den achtziger Jahren gingen Guerillaeinheiten über die Grenze, Anfang der neunziger Jahre wurden Guerillacamps auf der Südseite der Grenze von Haftanin bis nach Xakûrkê errichtet. Es gab das Ziel, zwischen Botan und Behdinan ein befreites Gebiet zu schaffen. In Haftanin und Xakûrkê wurden Hauptquartiere eingerichtet. Auch im Zap-Gebiet waren viele Guerillaeinheiten stationiert. Teile Nord- und Südkurdistans wurden zu befreiten Gebieten. Insofern handelte es sich um eine ganz andere Situation, die über tägliche taktische Guerillaaktionen hinaus auf militärischer Ebene die Ausgangslage für eine strategische Offensive bot.
Auch der türkische Generalstab bewertete damals die Guerillastationierung als einen strategischen Schritt, der als Ausgangspunkt für Guerillaaktionen im Norden betrachtet wurde. 1991 und 1992 fanden umfangreiche Angriffe der Guerilla auf Militärstützpunkte in Şemzinan, Çelê, Qilaban und Şirnex statt. Vor allem 1991 waren diese Angriffe sehr erfolgreich, da die türkische Armee noch nicht auf derartige Situationen vorbereitet war. Der türkische Generalstab bewertete sie als strategische Angriffe und plante Militäroperationen als konterrevolutionäre strategische Gegenangriffe.
Von welchen Plänen sprechen Sie konkret?
Um die weiteren Entwicklungen zu stoppen, begann im Oktober 1992 eine große Besatzungsoperation eines Bündnisses zwischen der Türkei, den USA, der PDK und der YNK. In der PKK-Geschichte wird vom „Südkrieg“ gesprochen. Es handelte sich um einen gemeinsamen strategischen Angriff der PDK vom Süden und der Kräfte des türkischen Staates vom Norden aus, mit dem die Hauptquartiere der Guerilla in Xakûrkê, Haftanin und im Zap zerstört und der Guerilla die Möglichkeit genommen werden sollte, selbst strategische Offensiven durchzuführen. Im Grunde genommen ist die in Südkurdistan aufgebaute Regierung nur entstanden, um bei einem solchen Angriff von Süden aus Unterstützung zu leisten. Der türkische Staat hat diese Regierung auf dieser Grundlage akzeptiert. Jetzt sagt Tayyip Erdoğan, dass diese Akzeptanz ein historischer Fehler war, aber der damaligen Regierung fiel keine andere Alternative gegen die Guerilla ein.
Teil 2 folgt: Die Rolle der USA und die schrittweise Besatzung Südkurdistans