Was passiert im Irak und in Mosul?
Die Türkei versucht gemeinsam mit der südkurdischen PDK, den Irak ins Chaos zu stürzen und Şengal, Mosul und Kerkûk unter Kontrolle zu bekommen.
Die Türkei versucht gemeinsam mit der südkurdischen PDK, den Irak ins Chaos zu stürzen und Şengal, Mosul und Kerkûk unter Kontrolle zu bekommen.
Mit Beginn der Befreiungsoperation der YPG, YPJ und QSD auf die letzten vom IS besetzten Gebiete im ostsyrischen Deir ez-Zor steigerte sich die Aktivität der Dschihadisten und ihrer Unterstützer in Mosul, der Geburtsstadt des IS. Diese Aktivität wurde bereits damals als die Entstehung eines „neuen IS“ gedeutet. Die Entwicklungen der letzten Tage, insbesondere in Mosul, scheinen dies zu bestätigen
Die Phase nach Raqqa
Das Ende des Schreckens des IS begann im Jahr 2014 mit seinem Versuch, Kobanê einzunehmen. Nach der Niederlage des IS in Kobanê wurde er Stück für Stück aus den von ihm beherrschten Gebieten vertrieben. Als die Operation zur Befreiung der zur Hauptstadt des Terrorregimes erkorenen Stadt Raqqa begann, neigte sich die Territorialherrschaft der Dschihadisten dem Ende zu. Als der IS schließlich nur noch auf einem kleine Flecken Land, im Dorf al-Bagouz bei Deir ez-Zor, eingeschlossen war, kamen die Diskussionen um einen „neuen IS“ auf.
Diese Debatte resultierte aus der Beobachtung von intensiven IS-Aktivitäten im Raum Mosul. Auffällig ist, dass diese neuen IS-Aktivitäten direkt nach dem Besuch durch den türkischen Botschafter in Bagdad, M. Yıldız, in den Regionen Mosul und Tell Afar begannen. Der IS ging in Mosul, Tell Afar, Xaneqin, Tikrit und Ambar wieder zum Angriff über. Während der IS in Syrien besiegt wurde, erklärte sowohl die mit der AKP verbündete südkurdische PDK als auch der mit der Türkei in enger Beziehung stehende Vorsitzende des irakisch-sunnitischen Bündnisses „Al-Wataniya“, Iyad Alawi, ein „neuer IS“ sei im Entstehen.
Der Plan der AKP für Mosul und Kerkûk
In den vergangenen Tagen wurde in der Umgebung von Mosul eine neue Kraft namens Haschdi Sunni gegründet. Diese Kraft ist keine neue Erscheinung. Sie wurde auf der Grundlage der von der Türkei im besetzten Başiqa bei Mosul gegründeten Miliz Haschdi Wattani geformt. Die Miliz wurde anschließend in „Wächter von Ninive“ umbenannt und tritt nun als Haschdi Sunni auf. Haschdi Watani war vom ehemaligen Gouverneur von Mosul, Esil Nuceyfi, gegründet worden. Nuceyfi ist eine schillernde Figur. So hatte er Mosul trotz massiver Truppenpräsenz kampflos wenigen hundert IS-Dschihadisten überlassen und viel deutet darauf hin, dass er ein türkischer Agent ist. Im Irak wurde ein Haftbefehl unter anderem wegen Kollaboration mit der Türkei gegen ihn ausgestellt. Nuceyfi floh anschließend in die Türkei. Seine Rolle bei der Gründung von Haschid Watani ist besonders interessant, da die Miliz gegen den IS kämpfen soll, ihr Gründer aber höchstwahrscheinlich sogar im Auftrag der Türkei Mosul den Dschihadisten überlassen hat. Diese Kraft sollte einerseits den Anschein erzeugen, die Türkei würde etwas gegen den IS unternehmen, das eigentliche Ziel war es, nach der Vertreibung des IS in Mosul an dessen Stelle zu treten. Aber dieser Plan des ehemaligen Gouverneurs flog schnell auf und fiel ins Wasser. Natürlich beruht dieser Plan nicht nur auf Nuceyfi.
Zu Beginn des Jahres 2012 floh Tarik Hashimi, stellvertretender Staatspräsident des Irak und Vorsitzender der Islamischen Partei, um sich der Verantwortung für ein Massaker an Schiiten im Irak zu entziehen, nach Südkurdistan, von wo aus er an die Türkei weitergereicht wurde. Nachdem er den Irak verlassen hatte, begann sich der IS als mächtige Organisation zu zeigen. Irakische Gerichte verurteilten Hashimi in Abwesenheit zum Tode. Einige Zeitungen berichteten, es lägen ihnen Quittungen vor, die belegen, dass Hashimi 50 Millionen Dollar an den IS gezahlt habe. Tarik Hashimi sollte eine wichtige Funktion im Plan der Türkei spielen. Er flog aber aufgrund seiner Vorgeschichte schnell auf und der Plan wurde mit Nuceyfis Hilfe fortgesetzt. Als auch Nuceyfi aufflog, scheiterte der Plan insgesamt und es kam wegen der türkischen Besatzungstruppen in Başiqa zu einer ernsten Krise zwischen Ankara und Bagdad. Die AKP gab offen zu, dass sie sich auf Bitten der PDK dort in einer Ausbildungsmission befinde. Damit waren die Ziele der Besatzungstruppen in Başiqa eigentlich klar.
AKP-nahe Quellen wissen folgendes über die Gruppe mitzuteilen:
„Mosul, die Hauptstadt der irakischen Provinz Ninive, wurde am 10. Juni 2014 von Mitgliedern der Terrororganisation IS besetzt. Für den Widerstand gegen die Besatzung bildete sich eine Gruppe namens Haschdi Watani. Sie wurde zunächst auf Ersuchen der Regierung in Bagdad gegründet. Nachdem die irakische Regierung ihr die Unterstützung entzog, wurde die erste Phase der Organisierung unter Leitung des ehemaligen Gouverneurs von Ninive, Esil Nuceyfi, abgeschlossen. Von Anfang an unterstützte die Türkei Haschdi Watani mit Ausbildungen im Başika-Camp. Lange Zeit wurden die „Wächter von Ninive“ vom Sohn des ehemaligen Gouverneurs von Mosul, Abdullah Nuceyfi, angeführt, ihre Zahl liegt mittlerweile bei über 10.000.“
Diese Darstellung macht deutlich, von wem und mit welchem Ziel Haschdi Sunni in den vergangenen Tagen gegründet wurde.
Hat Nuceyfi Haschdi Sunni gegründet?
Wie dargestellt, wurde Haschdi Watani vom per Haftbefehl gesuchten ehemaligen Gouverneur von Mosul, Esil Nuceyfi gegründet. Die Nachfolgeorganisation „Wächter von Ninive“ wurde von seinem Sohn kommandiert. Am 21. März 2019 wurde Mosul von einer Fährkatastrophe mit vielen Toten erschüttert. Daraufhin wurde der Gouverneur von Mosul, Nevaf Agup, des Amtes enthoben. Gegen den ehemaligen Gouverneur wurde ein Haftbefehl wegen Amtsmissbrauchs erlassen. Auch er floh nach Hewlêr und wird mit großer Wahrscheinlichkeit an der Seite von Hashimi und Nuceyfi in der Türkei wiederauftauchen. Dass wenige Tage später Haschdi Sunni gegründet wurde, hat bei vielen die Frage aufgeworfen, ob diesmal Agup dahintersteckt.
Während Agups Amtszeit war es in Mosul, Şengal und Tell Afar zu einigen bezeichnenden Ereignissen gekommen. Eine Quelle im irakischen Regierungsapparat erklärte mir gegenüber, dass hinter der mit den Gefechten zwischen den radikaldemokratischen Şengal-Verteidigungseinheiten YBŞ und irakischen Milizen beginnenden Krise der entlassene Gouverneur stehe. Er setze hier die Politik von AKP und PDK um:
„Was dort passiert ist, ist Teil eines neuen Plans Erdoğans, Mosul und Kerkûk in die Hände zu bekommen. Şengal stellt einen wichtigen Teil dieses Plans dar. Die Türkei hat diese Region schon mehrfach aus der Luft angegriffen. Der neue Plan beruht weniger auf direkten Angriffen, sondern auf der Idee, die Eziden mit ihren bewaffneten Kräften und den Irak gegeneinander ins Feld zu führen. Die Geschehnisse im März sind ein Ergebnis dessen. Die PDK hat Şengal auf die Tagesordnung des irakischen Parlaments gesetzt, weil dort die PKK präsent sei. Der entlassene Gouverneur von Mosul hat Şengal ebenfalls immer wieder thematisiert. Der irakische Ministerpräsident hat deshalb eine Delegation nach Şengal geschickt. Diese Delegation erstellte einen Bericht und sandte ihn an Präsident Adil Abd al-Mahdi. Der Bericht wurde bestätigt und gegen seinen Wunsch entstand aus einem kurzen Gefecht in Şengal eine mehrtägige Krise. Dennoch konnte diese Krise mit viel gutem Willen gelöst werden. Der Gouverneur, der den gemeinsamen Plan von PDK und Türkei umzusetzen und für Chaos in Mosul und Şengal zu sorgen versuchte, wurde des Amtes enthoben. Aber die Gefahr ist nicht vorbei. Sie wollen etwas mit der neugegründeten Miliz Haschdi Sunni anstellen.“
Diese bezeichnenden Informationen aus dem irakischen Staat zeigen, dass die neu ausgerufene Miliz Haschdi Sunni als Mittel für die Kontrolle über Mosul, Şengal und Kerkûk dienen soll. Wenn man die Puzzleteile zusammenfügt, dann liegt man sicher nicht falsch, dies mit Iyad Alawis Erklärung der „Bildung eines neuen IS“ zusammenzubringen.
Soll der Irak im Chaos versinken?
Meine Quelle aus dem irakischen Staat erklärte darüber hinaus, dass es auch eine gemeinsame politische Strategie Erdoğans und der PDK in Beziehung mit bestimmten sunnitischen und schiitischen Kräften gibt. Er sagt dazu: „Die PDK versucht mit ihrer Politik, der Türkei bei der Erreichung ihrer Ziele im gesamten Irak behilflich zu sein. In letzter Zeit hat die PDK begonnen, mit dem ehemaligen Baathisten von der sunnitischen Front, Zafer al-Ali, mit dem Bruder von Esil Nuceyfi und ehemaligen Parlamentspräsidenten Usama Nuceyfi und Xemis Xencer zusammenzuarbeiten. Sie alle sind Vertreter von Strömungen, welche die Regierung Adil Abd al-Mahdi nicht akzeptieren. Die PDK versucht so Druck auf die al-Mahdi-Regierung aufzubauen. Sie will Adil Abd al-Mahdi dazu zu zwingen, ihren Interessen entsprechend zu handeln. Wenn er es nicht tut, ist sie auch zum Sturz der Regierung bereit. Die PDK arbeitet auf der einen Seite mit Kräften, die die sunnitische Front unterstützen, und andererseits gemeinsam mit Falih Feyyaz, den der Iran-Unterstützer Nuri Maliki unbedingt zum Innenminister machen möchte. Indem sie mit sunnitischen und schiitischen Gruppen kooperiert, soll die al-Mahdi-Regierung in die Zange genommen werden. Auf diese Weise soll neues Chaos im Irak entstehen. Ob das gelingt, weiß niemand. Aber ich kann sagen, dass viele im Staat sich dessen bewusst sind. Ich glaube nicht, dass ein Plan, den so viele Menschen kennen, eine Chance auf Erfolg hat.“
Diese Aussagen legen die Ursachen der politischen Krise im Irak offen. Wenn es so weiter geht und die Regierung stürzt, wird sich die Krise noch weiter vertiefen. Ob es soweit kommt, weiß niemand. Aber wenn es soweit kommt, dann bedeutet dies neues Chaos. Die Konsequenz würde ein neuer Kampf zwischen den Völkern und den Konfessionen im Irak sein.