Von Silêmanî über Ostkurdistan nach Teheran - Teil 1

Eine Reise von Südkurdistan über Ostkurdistan nach Teheran: Beobachtungen der Landschaft, der Menschen und ihrer Verhaltensweisen

Die Idee, in den Iran zu reisen – oder wie es hier im Süden genannt wird: auf die andere Seite – hatte ich schon länger. Ich kam nur nie dazu, die Reise zu planen. Dabei hatte ich große Lust, dieses Land zu sehen, das hinsichtlich seiner Kultur, seiner Landschaft, seiner Geschichte und seiner Bevölkerung sehr reich ist. Schließlich sah ich ein, dass es in dieser Gegend der Welt nicht gut ist, etwas zu verschieben, weil man nie weiß, was der nächste Tag bringt. Mit einem engen Freund entschloss ich mich, in die Islamische Republik Iran zu reisen.

Wir trafen unsere Vorbereitungen und machten uns vom Busbahnhof in Silêmanî auf den Weg zu unserer ersten Station Pencewin. Ungefähr eine Stunde und zwanzig Minuten später waren wir dort. Nach der drückenden Hitze in Silêmanî empfing uns in Pencewin ein kühleres Wetter. Das Klima änderte sich bereits. Um von Pencewin zum Grenzübergang Başmak zu gelangen, fuhren wir in einem Auto älteren Baujahrs los. Der Fahrer beschwerte sich während des gesamten Weges bei jedem Schlagloch über die Regierung, die unfähig sei, Südkurdistan zu verwalten. „Es ist schlimmer als unter Saddam“, schimpfte er. Dann klärte er uns darüber auf, dass wir zehn Minuten nach Erreichen der Grenze in ein anderes Fahrzeug umsteigen müssten, um damit zum letzten Grenzpunkt zu fahren. Wir sammelten schnell unser Gepäck zusammen und stiegen in das nächste Taxi. Damit überquerten wir einen Fluss und kamen an den letzten Kontrollpunkt.

Ein kurdisch sprechender Polizist

Unsere Pässe wurden mit einem Einreisestempel versehen und innerhalb von wenigen Minuten ging es weiter zum Grenzübertritt der Islamischen Republik Iran. Einer der Reisenden schaute in seine Tasche. Bei der Gepäckkontrolle war er genau hinter mir. Seine Reisetasche war durchwühlt worden, der Inhalt von Medikamentenpackungen lag verstreut zwischen seinen Sachen. Während er versuchte, wieder Ordnung in die Tasche zu bringen, kam ihm ein Polizist zur Hilfe. Ich beobachtete die beiden und mir fiel auf, dass der Polizist Kurdisch sprach und es ein Hinweisschild gab, dass neben arabisch, persisch und englisch auch kurdischsprachig war. Dieses Gefühl können wohl nur Menschen verstehen, denen ihre Sprache vorenthalten wird.

Von der Grenze Richtung Merîwan

Von der Gepäckkontrolle zur Passkontrolle dauerte es nur wenige Minuten. Unsere Pässe wurden abgestempelt und es ging weiter zum äußeren Grenzübergang. Wir waren im Iran. Empfangen wurden wir von einer Gruppe Geldwechsler. Danach wurden wir gefragt, ob wir mit anderen zusammen nach Merîwan fahren wollen. Wir versuchten zunächst noch, uns zu orientieren. Dann trafen wir auf einen Taxifahrer, der anbot, uns nach Merîwan zu fahren. Wir warfen unsere Taschen in den Kofferraum und stiegen ein.

Taxifahrer im Kreuzverhör

Auf der Fahrt fragten wir den Taxifahrer nach der Einkommenssituation der Bevölkerung aus. Der Fahrer bemühte sich mutlos und besorgt, auf unsere Fragen zu antworten. „So schlimm wie jetzt habe ich es noch nie erlebt. Es gibt keine Arbeit und niemand weiß, wie er über die Runden kommt. Der Toman verliert täglich an Wert, der Staat ist korrupt, die Menschen haben keine Hoffnung mehr. Ihr werdet hier kein lachendes Gesicht sehen, in allen Gesichtern spiegelt sich Sorge wider“, sagte er und erzählte von einem Vorfall, der sich vor drei Tagen in der Nähe von Merîwan abgespielt hat: Nachts sei ein Militärstützpunkt angegriffen worden, ungefähr zehn Personen seien ums Leben gekommen und einige weitere als Geiseln genommen worden.

Während wir uns unterhalten, bietet sich ein wunderschöner Anblick auf den See Zirebar. Fast alle Seiten des Tals sind von seinem Wasser umgeben. Das macht Merîwan noch schöner.

Von Merîwan nach Sine

Als wir aus dem Taxi aussteigen, werden wir sofort von einer großen Gruppe weiterer Taxifahrer in Empfang genommen. Sie sagen, dass sie uns zu einem günstigen Preis nach Sine bringen können. Wir können den Fahrpreis von hundert Toman auf sechzig Toman herunterhandeln und bringen unser Gepäck im Kofferraum unter. Wieder fangen wir ein Gespräch mit dem Fahrer an. Dieses Mal ist der Weg länger, entsprechend dauert unsere Unterhaltung auch länger. Der Fahrer war acht Jahre lang Peschmerga der Kurdischen Gesellschaftspartei Iran, daher kannte er die Umgebung von Silêmanî gut. „Trotz meines Alters bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter zu arbeiten. Zwei meiner Kinder studieren an der Universität, die Kosten sind sehr hoch. Und dann erhöht der Staat auch noch täglich die Benzinpreise. Ich beobachte die Preissteigerungen sehr genau, weil das ja mit meiner Arbeit zu tun hat“, sagte er. Während er auf unsere Fragen antwortete, war ihm seine Müdigkeit an den Falten auf der Stirn anzusehen.

Wir fuhren durch Dörfer und ich sah trotz dieser ganzen Hoffnungslosigkeit die Dorfbevölkerung bei der Arbeit auf bepflanzten Feldern. Da der Weg weit war, wurden ab und zu Pausen eingelegt. Das Essen an den Raststätten machte einen wenig appetitlichen Eindruck. In den Lokalen in der Stadt war es nicht anders. Die Mahlzeiten wirkten lieblos zubereitet, als ob Essen kein wirklich wichtiges Bedürfnis sei.

Die Stadt Sine sah bei der Einfahrt sehr sympathisch aus, ähnlich wie Silêmanî. So wie es in Silêmanî die Ezmar-Anhöhe gibt, gibt es in Sine die prächtige Avyar-Anhöhe.

In Sine wartet Viyan

In Sine angekommen, stiegen wir sofort in ein anderes Taxi Richtung Osten der Stadt um. Dort wartete unsere Freundin Viyan auf uns. Wir gingen zum Teetrinken in ein Café. Sofort begann eine angeregte Unterhaltung. Ich feuerte einen ganzen Schwall von Fragen ab, die Viyan bedächtig Stück für Stück beantwortete. Wir waren schließlich im Iran, die Situation von Frauen hier war mir bekannt. Daher fragte ich meine Freundin sofort, ob es ein Problem für sie sein könne, hier mit uns zusammen zu sitzen. Viyan antwortete: „Da ich schon dreißig Jahre alt bin, mischt sich die Polizei nicht ein. Wäre ich zwanzig bis Mitte zwanzig und würde hier mit euch sitzen, wäre die Haltung der Polizei anders.“ Sofort stellte ich die nächste Frage und wollte wissen, wieviel ein Kellner in dem Café, in dem wir saßen, monatlich verdienen würde. Sie bekommen ein Monatsgehalt von etwa 600 bis 700 Toman, also ungefähr achtzig Dollar. „Wie wohl in den meisten Ländern verdienen Frauen immer weniger als Männer“, fügte Viyan hinzu.

Auf meine Frage, wovon die Menschen in Sine leben, antwortete sie: „Die Einkommensquelle der Bevölkerung beruht mehr oder weniger auf Krediten. Es gibt keine Arbeit, daher machen die Menschen ständig Schulden, um ihren Alltag zu finanzieren. Eine ähnliche Wirtschaftskrise wie jetzt hat es auch zu Khatamis Zeiten und später unter Ahmedinejad gegeben. Die Krise zu Ahmedinejad-Zeiten war die größte und finsterste. Die jetzt herrschende Korruption und die Marktlage sind im Wesentlichen das Ergebnis der Korruption aus der damaligen Zeit. Außerdem fällt auch der Strom täglich für drei Stunden aus. Jede gesellschaftliche Opposition, die den Entwicklungen im Land Einhalt gebieten könnte, wird im Keim erstickt. Es herrscht allgemeine Ungewissheit.“

Morgen: Von Ostkurdistan nach Teheran