Tausende in Istanbul: „Die Lösung liegt in uns“

Nach der Großkundgebung der HDP in Amed versammelten sich auch Tausende Menschen in Istanbul unter der Parole „Die Lösung liegt in uns, Nein zu Krieg und Ausbeutung“.

Während der türkische Angriffskrieg auf Südkurdistan auf brutale Weise unter anderem mit Chemiewaffen geführt wird und der türkische Staat eine Invasion in Rojava vorbereitet, hat die Demokratische Partei der Völker (HDP) die Kampagne „Die Lösung liegt in uns, Nein zu Krieg und Ausbeutung“ gestartet. Nachdem sich bereits am Samstag Zehntausende Menschen in Amed (tr. Diyarbakır) versammelt hatten, gingen am Sonntag Tausende in Istanbul auf die Straße. Die Aktivist:innen riefen Parolen auf Kurdisch und Türkisch und forderten ein Ende des Kriegs, einen Friedensprozess und ein Ende der Repression in den Gefängnissen und außerhalb.


Die Polizei versuchte durch Schikanen, die Menschen von der Teilnahme an der Kundgebung abzuhalten. Das Gelände konnte nur über vier Kontrollpunkte der Polizei betreten werden. Ein Zehnjähriger wurde wegen seiner kurdischen Tracht nicht auf das Gelände gelassen. Dennoch kamen Tausende auf den Kartal-Platz in Istanbul. Die HDP hatte wie in Amed auch regional mobilisiert und so kamen die Teilnehmenden auch aus Edirne, Bursa und Kocaeli nach Istanbul.

Freiheit für Aysel Tuğluk“

Hunderte Aktivistinnen der Frauenbewegung TJA zogen hinter einem großen Bild der inhaftierten, schwer kranken HDP-Politikerin Aysel Tuğluk auf das Kundgebungsgelände. In Parolen wurde insbesondere die Freiheit aller kranken Gefangenen gefordert. Die Frauen, die von der Bankalar-Straße zum Kundgebungsplatz marschierten, wurden bejubelt und beklatscht. Während die Frauen in ihren kurdischen Trachten die Aufmerksamkeit auf sich zogen, wurden während des Marsches Parolen wie „Bijî berxwedana zindanan“ („Es lebe der Gefängniswiderstand“), „Aysel Tuğluk ist unsere Ehre“ und „Jin, Jiyan, Azadî“ skandiert.

Breites Spektrum nimmt an Kundgebung teil

Die Kundgebung zeigte ein breites Spektrum an politischen Organisationen und Parteien, neben der Ko-Vorsitzenden der HDP, Pervin Buldan, und dem Ko-Sprecher des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK), Cengiz Çiçek, nahmen auch Vertreter:innen der Sozialistischen Solidaritätsplattform (SODAP), der Parteien SYKP, ESP, DP, Kreisverbände der CHP, der TÖP, der KÖZ, der DBP und vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen wie der Demokratischen Alevitischen Vereine (DAD), der Halkevleri, des Pir-Sultan-Abdal-Vereins, der Initiative für freie Schulen (Özgür Lise), Kaldıraç und von Frauenorganisationen teil. Auch die Familien, die an der Mahnwache für die Freilassung der kranken Gefangenen teilnehmen, wurden Teil des Protests. So bot die Kundgebung eine Perspektive auf einen möglichen breiten Widerstand gegen das AKP/MHP-Regime.

Parolen für Öcalan

Der Kundgebungsplatz war in kurzer Zeit mit einer begeisterten Menschenmenge gefüllt. Die Menschen tanzten zu Widerstandsliedern und ließen sich auch vom heißen Wetter nicht ermüden. Immer wieder riefen die Teilnehmenden Parolen für die Freiheit des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan und den Gefängniswiderstand und zeigten ihre Verbundenheit mit der HDP. Nach einer Schweigeminute für die Menschen, die im Kampf um Freiheit und Demokratie ihr Leben verloren hatten, begann die Kundgebung.

Der Ko-Vorsitzende der HDP für die Provinz Istanbul, Ferhat Encü, ergriff anschließend das Wort. Encü betonte, dass die rege Beteiligung einmal mehr die Stärke der HDP zeige, und erklärte, dass keine Macht die HDP ausschalten könne. Die Ko-Vorsitzende der HDP für Istanbul, Ilknur Birol, sagte: „Prägen wir uns dieses Bild ins Gedächtnis ein. Wo sind die Arbeiter:innen, Werktätigen, Frauen, Jugendliche, Alevit:innen, Sunnit:innen, Menschen, die Freiheit für ihren Glauben wollen, die Kurd:innen und Türk:innen?“ Tausende antworteten unisono mit „Hier!“. Birol unterstrich, die HDP stelle die Antwort auf Isolation, Ausbeutung und Krieg dar.

Die Menschen werden dem Regime eine Lektion erteilen“

Auch die Ko-Vorsitzende der HDP, Pervin Buldan, hielt eine Rede. In Bezug auf die Großkundgebung in Amed am Vortag erklärte sie: „Einmal mehr sagen wir, dass wir die Lösung sind, wir sagen Nein zu Krieg und Ausbeutung.“ Buldan unterstrich, dass die HDP die Garantie und das Versprechen für Demokratie und einen echten und ehrenhaften Frieden in dunklen Zeiten sei, und fuhr fort: „Deshalb wird die HDP ständig von denjenigen angegriffen, die das Land regieren. Diejenigen, die uns politisch, auf der Straße und an den Wahlurnen nicht gewachsen sind, versuchen uns mit konstruierten Strafverfahren, dem Verbotsverfahren gegen die HDP, dem Kobanê-Prozess und Angriffen auf unsere Provinz- und Bezirksverbände einzuschüchtern. Aber macht ihnen klar, dass wir wissen, wie man mit Angriffen und politischen Schauprozessen umgeht, und wir niemals auf die Knie gehen, uns verbeugen und ihnen gehorchen werden.“

Buldan wies darauf hin, dass die Menschen in der Türkei und Nordkurdistan mit Hunger und Armut zu kämpfen hätten, und sagte: „Diejenigen, die das Land ausgeraubt, geplündert und ausgebeutet haben, sollten wissen, dass die Menschen in der Türkei ihnen bei der Wahl die nötige Lektion erteilen werden. Die HDP wird von der Regierung angegriffen und ins Visier genommen, weil sie nicht nachgibt."

Die Menschen wollen keinen Krieg“

In Bezug auf die Angriffe des türkischen Regimes auf Rojava, Şengal und Südkurdistan äußerte Buldan: „Wo will das Regime die Armee ‚eines Nachts plötzlich‘ einfallen lassen, in Rojava, Şengal, Mêxmur? Es geht ihm darum, diese Gebiete zu besetzen und sein Kriegskonzept umzusetzen. Die Völker der Türkei werden das Kriegskonzept jedoch nicht gutheißen oder zulassen. Denn die Menschen in der Türkei wollen keinen Krieg, sie wollen eine Lösung, Frieden und Dialog.“ Die Menschen wüssten, dass dieser Krieg verloren werde, so Buldan: „Das Regime stiehlt den Menschen alles, es stiehlt die Zukunft der jungen Menschen, die Zukunft der Frauen, die Hoffnungen der Arbeiter:innen und Werktätigen. Als HDP stehen wir an der Seite der Jugend, der Frauen, der Arbeiter:innen und der Werktätigen in diesem Land.“

Wenn die Isolation Öcalans durchbrochen wird, gibt es eine Lösung“

Buldan betonte, dass das größte Problem des Landes die kurdische Frage sei, und forderte ein Ende der Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali: „Diejenigen, die versucht haben, ein Problem, das durch Politik gelöst werden kann, mit Verleugnung, Zerstörung und Krieg zu lösen, waren bisher nicht erfolgreich, und diese Regierung wird es auch nicht sein. Abdullah Öcalan ist der Ansprechpartner für einen Friedens- und Verhandlungsprozess. In den drei Jahren, in denen es Gespräche gab, blickten alle voller Hoffnung in die Zukunft. Es gab keine Beerdigung, niemand vergoss Tränen, unsere Kinder mussten nicht begraben werden. Warum? Weil es eine Lösungsperspektive und einen Friedensprozess gab. Die Regierung hat jedoch Angst vor Frieden und einem Dialog. Weil sie keinen Frieden will, isoliert sie Abdullah Öcalan auf Imralı. Es gibt seit drei Jahren keinen Kontakt mehr nach Imrali. Dies ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir fordern erneut, dass Abdullah Öcalan die Möglichkeit erhält, sich mit seinen Anwält:innen, seiner Familie und unabhängigen Delegationen zu treffen, und dass die Isolation beendet wird. Die Isolation ist die Wurzel aller Probleme. Wenn die Isolation durchbrochen ist, werden alle Probleme dieses Landes gelöst sein. Sobald die Isolation aufgehoben ist und Abdullah Öcalan agieren kann, werden alle in diesem Land mit Hoffnung in die Zukunft blicken.“

Aufbau einer neuen Allianz

Buldan unterstrich die Bedeutung neue Allianzen auf der Grundlage des „dritten Wegs“ aufzubauen. Eine solche Allianz wäre eine „Allianz der Zukunft“: „Die Völker der Türkei, das kurdische, türkische, armenische, assyrische Volk, die Alevit:innen, die Frauen und die Jugendlichen werden die Zukunft des Landes gestalten. Dieses Land braucht einen echten und ehrenhaften Frieden, und wir werden ihn erreichen. Diejenigen, die im Vorfeld der Wahlen auf die Stimmen der Kurd:innen schielen, sollten sich schämen. Das kurdische Volk ist keine Gesellschaft, an die man nur bei Wahlen denkt. Denjenigen, die versuchen, sich während der Wahlperiode mit den Kurd:innen unter dem Namen ‚Versöhnung‘ zusammenzutun, möchten wir sagen, dass die Kurd:innen ohne eine echte Konfrontation mit dem Geschehenen nicht dazu bereit sind. Ich sage es noch einmal: Die HDP ist die einzige Adresse für Frieden, Demokratie, Gerechtigkeit und die Lösung aller Krisen in der Türkei. Wir müssen gemeinsam kämpfen, Hand in Hand, Schulter an Schulter. Wenn wir dies realisieren, werden Demirtaş, Yüksekdağ, Kışanak und Baluken frei sein. Unser Kampf ist ein Kampf für Gerechtigkeit und Frieden.“