Matilda Joslyn Gage, ihr Leben und Wirken

Vor fast 200 Jahren, am 24. März 1826, ist Matilda Joslyn Gage geboren. In vielerlei Hinsicht ist sie eine sehr inspirierende Frau. Dieser Artikel soll einen kleinen Einblick in ihr Leben und Wirken geben.

US-amerikanische Suffragette und Menschenrechtsaktivistin

Matilda Joslyn Gage (1826-1898) ist in New York geboren. Ihre Familie hatte ein revolutionäres Bewusstsein und ihr Leben war schon früh durch politisch-moralisches Handeln geprägt. Ihr Zuhause wurde während ihrer Jugend zu einer Station der Underground Railroad, einem Ort der Sicherheit für geflohene Sklav:innen. Dafür, die Underground Railwoad zu unterstützen, musste Matilda einige Jahre später ins Gefängnis.

Teil ihres Lebens in dem politischen Haus war Bildung. Ihr Vater war Abolitionist. Ihre Mutter brachte ihr ein tiefes Geschichtsverständnis bei, eines hinter die patriarchale Erzählweise zu blicken und die Geschichte der Gesellschaft und insbesondere der Frauen zu erkennen.

Als junge Frau wurde sie in der Frauenbewegung aktiv. Matilda hatte viel Klarheit darüber, warum und wofür sie kämpft. Ihre Arbeit für die Frauenbewegung war umfassend, praktisch und bedeutend. Matilda schrieb für Zeitungen, veröffentlichte Texte und Bücher über ihre Analysen und Erkenntnisse. Was sie schrieb, war eng mit ihrem Leben verknüpft und so schrieb sie unter anderem über die aktuellen Entwicklungen und Analysen der Suffragettenbewegung, von der sie Teil war.

Zeitweilig war sie Präsidentin des National Women Suffrage Association (NWSA). Matilda versuchte eine radikale ganzheitliche Linie in der Frauenwahlrechtsbewegung zu halten. Sie verurteilte die bürgerliche Annäherung, mit einem Frauenwahlrecht für vornehmlich weiße Frauen sei es getan. Als das NWSA sich mit dem christlich-konservativen Flügel zusammentat, entschied Matilda sich mit weiteren Mitstreiterinnen die Woman's Nation Liberal Union (WNLU) zu gründen. Die WNLU wurde eine Plattform von radikalen und freiheitlichen Ideen, sie veröffentlichten viele Schriften und eine Zeitung mit dem Namen The Liberal Thinker.

Matilda Joslyn Gage (c) Library of Congress

Es war ihr ein Anliegen, unsichtbar gemachte Frauen sichtbar zu machen. Mit großer Beständigkeit veröffentlichte sie Biografien von Frauen. 1870 veröffentlichte sie ein Pamphlet „Woman as an Inventor“, zu Deutsch „Die Frau als Erfinderin“. Sie schrieb über Sarah Mather, der Erfinderin des Tiefseeteleskops, über Maggie Knight, die eine Maschine zur Herstellung von Schulranzen erfand und über Barbara Uthmann, die die Spitze für Kissen erfand. Matilda kritisierte die Rechtsgrundlage, auf der verheiratete Frauen keine Patente anmelden durften und so viele Erfindungen fälschlicherweise den Ehemännern zugeordnet werden. Sie schrieb auch über Göttinnen, über Minerva, Mama Ocllo Huaco, Athene, Isis und Leizu. Sie beschreibt, wie die Göttinnen Ausdruck für matriarchal organisierte Gesellschaften waren und welche Rolle Erfindungen in dieser Zeit hatten. Die Erfindungen waren in direkter Verbindung zum Leben und Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen.

Sie dokumentierte die Errungenschaften der Frauen verschiedenster Zeiten in der Vergangenheit und bewies, dass die Männer den Frauen ständig ihre kreative, spirituelle und intellektuelle Energie und ihre kreativen kulturellen Beiträge stahlen. In ihrem Werk „Woman, Church and State“ schreibt Matilda von der Geschichte des Matriarchats bis zur Hexenverfolgung und der Situation im 19. Jahrhundert. Sie betont die Zusammenhänge zwischen den Grundüberzeugungen der Kirche, der Einschränkung von Frauen durch Kirche und Staat und der Hexenverfolgung.

„The witch was in reality the profoundest thinker, the most advanced scientist of those ages. The persecution which for ages waged against witches was in reality an attack upon science at the hands of the church. As knowledge has ever been power, the church feared its use in woman's hands, and leveled its deadliest blows at her.“ - Matilda J. Gage, „Woman, Church and State“, S. 105

Matilda lehnte die Kirche ab, nicht aber den Glauben an sich. Sie beteiligte sich an dem Projekt, „The Woman’s Bible“ zu schreiben. Ausgangspunkt war die Analyse, die Bibel sei patriarchal ausgelegt und mit gefärbtem Blick übersetzt und interpretiert. Im 19. Jahrhundert arbeiteten 26 Frauen an einer neuen Übersetzung und Interpretation der Bibel.

Von Beginn an dachte und brachte sie verschiedenen Kämpfe ihrer Zeit zusammen. Sie kämpfte auf Seiten der Indigenen Bevölkerung und prangerte die Gewalt und Ungerechtigkeiten immer wieder an. In Woman, Church and State bezeichnete sie unter anderem die Gesellschaft der Irokesen als „Matriarchat"“ in dem die Frauen die wahre Macht hatten, und stellte fest, dass ein System der Abstammung durch die weibliche Linie (Matrilinearität) und weibliche Eigentumsrechte zu einem gleichberechtigteren Verhältnis zwischen Männern und Frauen führten. Gage verbrachte einige Zeit bei den Irokesen und erhielt bei ihrer Aufnahme in den Wolfsclan den Namen Karonienhawi – „die, die den Himmel hält“. Sie wurde in den Iroquois Council of Matrons aufgenommen.

Ihre Dutzenden von Veröffentlichungen, Reden und ihr Aktivismus ebneten den Weg für künftige radikale Feministinnen. In den 1990er Jahren prägte die Wissenschaftlerin Margaret Rossiter zu Ehren von Matilda J. Gage den Begriff „Matilda-Effekt“. Der Begriff bezieht sich auf die Tatsache, dass Wissenschaftlerinnen weniger oder gar keine Anerkennung für ihre Arbeit erhalten. Der Begriff ist eine Hommage an Gage, die sich mit ihrer Stimme dafür einsetzte, dass Erfindungen von Frauen anerkannt wurden, die öffentlich von Männern gemacht wurden. 

Matilda war eine großartige Frau, von der wir sehr viel lernen können. Mit ihrem tiefen Verständnis für Geschichte kämpfte sie ihr Leben lang für eine ganzheitliche Veränderung in der Gesellschaft.


Titelbild: Porträt der 45-jährigen Matilda Joslyn Gage, aufgenommen im April 1871 (c)  Harvard University, Schlesinger Library on the History of Women in America