Linkes Bündnis sabotiert türkisch-nationalistische Veranstaltung
An der Universität Bielefeld ist eine Veranstaltung türkischer Nationalisten über den Genozid an den Armenier*innen von einem linken Bündnis sabotiert worden.
An der Universität Bielefeld ist eine Veranstaltung türkischer Nationalisten über den Genozid an den Armenier*innen von einem linken Bündnis sabotiert worden.
Als Zusammenschluss zahlreicher linker Gruppen an der Universität Bielefeld, ist eine Veranstaltung der türkisch-nationalistischen Hochschulgruppe „ATA“ (Assoziation türkischer Akademiker) am Dienstag und Mittwoch zur Zielscheibe einer breiten Öffentlichkeitsaktion geworden.
Bei „ATA“ handelt es sich um eine türkisch-nationalistische Hochschulgruppe, die sich seit einigen Jahren an der Universität Bielefeld organisiert. In ihr sind türkische Rechtsextreme der „Grauen Wölfe“, Symphatisant*innen und Anhänger*innen der ultranationalistischen MHP und Jugendliche organisiert, die sich vereinzelt zeitgleich im Flügel der CHP-Deutschland befinden. Die Gruppe orientiert sich ideologisch an der von Mustafa Kemal Atatürk betriebenen Staatspolitik und ist stets darum bemüht, türkisch-nationalistisches Gedankengut an deutsche Universitäten zu tragen.
Die türkische Hochschulgruppe, die sich vor Jahren noch öffentlich an der Universität präsentierte, organisiert sich heute aufgrund von öffentlicher Dechiffrierung durch die kurdischen Studierendenverbände YXK und JXK nur noch intern, bewirbt ihre Veranstaltungen nicht mehr und organisiert sich für die Wahlen des Studierendenparlaments unter Decknamen, welche wiederum zeitgleich aufgedeckt werden.
Für den 11. und 12. Juni lud „ATA“ den bekannten Genozidleugner Ali Söylemezoglu zu einem „Bildungsseminar“ ein, bei welchem der Hobbyhistoriker die Hintergründe der Ereignisse im Jahre 1915 aus türkischer Sicht erläutern sollte. Söylemezoğlu ist Amateurhistoriker, Antisemit und Faschist, der schon in der Vergangenheit unter starker Kritik deutscher Studierendenausschüsse und anderer Einrichtungen stand.
Die Überschrift der sabotierten Veranstaltung lautete „Was geschah 1915? Völkermordsvorwurf auf dem Prüfstand“ sowie „Verteidigung oder Völkermord?“.
Seit über 100 Jahren ist diese Darstellung der geplanten und systematischen Vernichtung der Armenier*innen die offizielle türkische Staatsversion. Damit geht eine altbekannte und erneute Leugnung des Völkermordes an den Armenier*innen mit über 1,5 Millionen Toten einher, die im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes beginnend am 24. April 1915 in Konstantinopel (Istanbul), der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, planmäßig vertrieben und vernichtet worden sind.
Über 1,5 Millionen Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben, deportiert und massakriert, dennoch ist dies ein Völkermord, den die Türkei bis heute leugnet. Zur gestrigen Protestaktion äußern sich die kurdischen Studierenden der YXK und JXK:
„Anlässlich einer Veranstaltung der uns gut bekannten türkisch-nationalistischen Hochschulgruppe ‚ATA‘ haben wir uns am Dienstag mit weiteren linken Bündnissen an unserer Universität zu einer gemeinsamen Öffentlichkeitsaktion organisiert.
Ziel war die aktive Störung der Veranstaltung der Hochschulgruppe ‚ATA‘, welche erneut zu einer Plattform mit menschenfeindlichem Inhalt zu Zwecken türkischer Staatspropaganda einlud und dafür den bekannten Genozidleugner und Faschisten Ali Söylemezoglu an unsere Universität holte. Im Vorfeld mobilisierte ‚ATA‘ nur intern für ihre Veranstaltung und wollte damit verhindern, dass die Gegenposition auf die geplante Veranstaltung aufmerksam wird. Da uns die Vorgehensweisen von ‚ATA‘ jedoch bekannt sind, stießen wir Tage vor der Veranstaltung auf den Flyer für ein zweitägiges Bildungsseminar unter dem Titel ‚Was geschah 1915? Völkermordsvorwurf auf dem Prüfstand‘.
Als eine sich aktiv mit dem Thema Faschismus auseinandersetzende Hochschulgruppe haben wir die ideologische Gesinnung von ‚ATA’ in der Vergangenheit bereits mehrfach in einem großen Rahmen behandelt und durchleuchtet. Zudem ist ‚ATA‘ nun bereits seit einigen Jahren als nationalistische Hochschulgruppe an unserer Universität bekannt und macht mit jährlichen Aktionen zur Leugnung des Völkermordes an den Armenier*innen auf sich aufmerksam. Auch äußerte sich ‚ATA‘ im Januar 2018 mit lobenden Worten über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei auf den kurdischen Kanton Efrîn, wo das türkische Militär mit Hilfe von weiteren islamistischen Milizen ein systematisches Massaker an der kurdischen Bevölkerung vornahm und sich für Kriegsverbrechen wie Vergewaltigungen, Entführungen, Folter und Vertreibungen verantwortlich machte. Bereits damals arbeiteten wir das Thema groß auf, woraufhin sich ‚ATA‘ für das Jahr 2018 nicht mehr zu Wort meldete.
Die kemalistische Hochschulgruppe ‚ATA‘ besteht nun nur noch aus wenigen Mitgliedern, die ihre Aktivitäten in den letzten Jahren immer weiter zurückgefahren haben und sowohl im Studierendenparlament als auch in anderweitigen universitären Angelegenheiten nicht mehr vertreten sind. Grund dafür sind regelmäßige Gegenaktionen und die aktive Öffentlichkeitsarbeit über die Strukturen, die wir bereits präventiv vor Beginn des Semesters treffen, um die Verbreitung faschistischer Inhalte zu unterbinden, Aufklärungsarbeit über die Kriegsverbrechen in der Türkei zu leisten, faschistische und antidemokratische Strukturen an unserer Universität zu dechiffrieren und den Zulauf zu der Gruppe zu verhindern.
Dennoch finden in großen Abständen interne Veranstaltungen der Nationalisten statt, die wir an der Universität in einen besonderen Fokus setzen, um effektive Gegenmaßnahmen zu treffen.
Für die diesmalige Veranstaltung von ‚ATA‘ wurden in zwei Gebäuden unserer Universität mehrere Großtransparente befestigt, über 700 Flyer in der Mensa, in den Fluren und im Vortragsraum verteilt und an einem mehrstündigen Stand vor dem Veranstaltungsraum Gespräche mit der allgemeinen Studierendenschaft geführt.
Gleichzeitig wurde für das anstehende ‚Anti-Rascism-Festival‘ an unserer Universität geworben, das jährlich in Gedenken an Opfer von rassistischen Übergriffen stattfindet.
Auffällig am Abend: Bereits vor Beginn der Veranstaltung erschien das Sicherheitspersonal der Universität ‚aufgrund von hohem Konfliktpotenzial‘ vor dem Veranstaltungsraum. Unter den Veranstaltenden von ‚ATA‘ machte sich sichtbar Unwohlsein breit, auch mangelte es bedingt durch die negative Öffentlichkeit an interessierten Besucher*innen. Mitglieder der Hochschulgruppe ‚ATA‘ zeigten sich zudem gestört von den Plakaten, Flyern und der Präsenz der Gegenposition. Ali Söylemezoglu hielt seinen Vortrag dennoch und erzählte dem kleinen Publikum über die angeblichen Lügen, die über die Türkei verbreitet worden sein und belegte seine Aussagen verschwörungstheoretisch mit Briefen aus dem Jahre 1915. Die Atmosphäre am ersten Tag blieb den gesamten Abend über angespannt, es kam teils zu lauten Diskussionen.
Dass die Veranstaltung von ‚ATA‘ trotz Kenntnis des Rektorates über den Inhalt und den Umfang stattfinden konnte, wirft für uns große Fragen auf. Demnach ist es an deutschen Universitäten scheinbar problemlos möglich, türkischen Genozidleugnern eine Bühne zu bieten und die Verbreitung einer menschenfeindlichen Ideologie vorzunehmen.
Dementsprechend sehen wir es als unsere Aufgabe, uns standhaft dagegen zu positionieren. Wir sehen es als die Pflicht eines jeden demokratisch und fortschrittlich Denkenden, Gegenproteste zur Prävention von Legitimierung solcher Menschheitsverbrechen und jeder Art von Faschismus, Unterdrückung, Diskriminierung und Ausbeutung zu organisieren!
Auch in Deutschland sehen wir ein wachsendes Problem: Die beschwerdefreie Organisierung von türkischen Faschisten innerhalb ihrer Einrichtungen, Vereine und in DITIB-Moscheen, die dem türkischen AKP-Regime als Spionageeinrichtung in Deutschland dienen. Auch setzen hierzulande lebende Türkinnen und Türken darauf, ihre Kinder mit Feindbildern und Stereotypen gegen Armenier*innen, Kurd*innen und weiteren Minderheiten zu erziehen und somit wächst auch in Deutschland eine kriegswillige Generation heran - bis hier hin und nicht weiter! Nun ist positioniertes und konsequentes Handeln gefragt. Dafür ist ein Zusammenschluss aller solidarischen und demokratischen Kräfte notwendig, welcher bei der Wurzel des Problems ansetzt und ein Kollektiv gegen jegliche feindliche Ideologien bildet.
Damit sich die Geschichte nicht wiederholen kann, muss sie der Gesellschaft offengelegt werden. Verbrechen müssen aufgearbeitet, benannt und die Täter öffentlich dechiffriert werden. Es müssen zudem Möglichkeiten und Alternativen zur Weiterbildung gegeben und für alle zugänglich gemacht werden.
Und daher benennen wir als unsere wichtigsten Aufgaben: Bildung, Solidarität und Öffentlichkeit!
Demnach werden wir uns weiterhin für ein antifaschistisches Klima nicht nur an der Universität Bielefeld, sondern überall einsetzen und uns auf dem Weg dahin von keinerlei Maßnahme einschüchtern lassen.
Keines der Verbrechen ist je vergeben und keines vergessen!“