Lachen als Widerstand: Tahsin Mirza über Comedy und Trauma

Tahsin Omir Mirza ist Comedian, Theaterpädagoge und Demokratie-Teamer – und ein Geschichtenerzähler mit Haltung. Mit ANF spricht der Ezide über Verantwortung von Comedians, Herausforderungen in der deutschen Comedy-Szene und die heilende Kraft des Humors.

Comedian, Theaterpädagoge, Demokratie-Teamer

Tahsin Omir Mirza ist Comedian, Theaterpädagoge und Demokratie-Teamer – aber vor allem ein Geschichtenerzähler mit Haltung. Geboren 1999 in Şengal (Sindschar) im Nordirak gehört er der ezidischen Minderheit an. 2014 musste er aus seiner Heimat flüchten, nachdem die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) Şengal überfallen und einen Genozid an den Ezid:innen verübt hatte. Über das Mittelmeer und die Balkanroute kam er allein nach Deutschland, wo er sich in Rheda-Wiedenbrück ein neues Leben aufbaute. Heute steht er auf der Bühne und nutzt Humor, um seine Erlebnisse zu verarbeiten und auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Seine Comedy ist politisch, provokant und zugleich ein Mittel zur Selbstermächtigung. Mit ANF sprach er über die Verantwortung von Comedians, die Herausforderungen in der deutschen Comedy-Szene und die heilende Kraft des Humors.

Deine Comedy basiert oft auf deinen eigenen Erfahrungen als ezidischer Geflüchteter, der einen Genozid überlebt hat. Was bedeutet das für dich, diese Erlebnisse auf die Bühne zu bringen?

Für mich bedeutet es, meine Geschichte und die Erfahrungen, die ich als ezidischer Geflüchteter gemacht habe, als Teil meiner Identität zu teilen. Es ist eine Möglichkeit, die Schrecken des Genozids 2014 an den Ezid:innen sichtbar zu machen und auf die Situation der geflüchteten Menschen aufmerksam zu machen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Diese Aufgabe hat für mich eine große Bedeutung und Verantwortung. Es ist eine Herausforderung, aber auch eine Ehre, diese Erlebnisse auf die Bühne bringen zu dürfen. Durch Comedy kann ich schwierige Themen ansprechen und gleichzeitig eine Verbindung zu meinem Publikum herstellen. Ich hoffe, damit ein Bewusstsein für die Geschichten und Kämpfe derjenigen zu schaffen, die oft übersehen werden. Comedy ermöglicht es mir, Schmerz und Trauer in etwas Positives zu verwandeln und zu zeigen, wie Humor eine Kraft der Heilung und des Zusammenhalts sein kann.

Viele Menschen mit ähnlicher Geschichte leiden an Traumata. Wie gehst du damit um, wenn du über Flucht und Verfolgung Witze machst?

Traumata sind natürlich individuell. Mir ist es sehr wichtig, sensibel, reflektiert, klug und einfühlsam mit diesen Geschichten und Erfahrungen umzugehen. Traumata müssen sowohl gesellschaftlich als auch politisch ernst genommen werden, und das versuche ich immer in meiner Comedy zu vermitteln. Ein Witz von mir lautet: ‚Warum Comedy? Ich bin ehrlich zu euch, ich habe keinen Therapieplatz bekommen! Denn in Deutschland bekommst du viel schneller eine Abschiebung als einen Therapieplatz.‘ Das sagt schon alles.

Tahsin beim NightWash Talent Award 2023 © Guido Schröder

Ich sehe Comedy als ein Werkzeug, um über schwierige Themen zu sprechen und gleichzeitig einen Raum für Heilung und Verständnis zu schaffen. Ich bekomme sehr viel positives Feedback von vielen geflüchteten Menschen, die dankbar sind, dass ich über diese Themen spreche. Es hilft ihnen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, sich nicht allein zu fühlen und endlich gesehen zu werden. Es ist von großer Bedeutung, dass betroffene Menschen selbst darüber reden und nicht Nicht-Betroffene sich über uns lustig machen. „Deutsche Comedy“ – Haha, darüber muss ich jetzt lachen!

Wäre dein Humor ein anderer, wenn du nicht geflüchtet wärst?

Nein, mein Humor wäre nicht grundsätzlich anders, denn ich liebe schwarzen Humor. Allerdings würden wahrscheinlich andere Themen im Vordergrund stehen. Schwarzer Humor hat mich stark geprägt, und ich liebe es! Flachwitze oder diesen klassischen Humor in Deutschland finde ich todlangweilig!

Gibt es Themen aus deiner eigenen Geschichte, über die du nicht auf der Bühne sprechen kannst oder willst?

Ich persönlich kann über alles sprechen, was mich betrifft. Ich kann sehr gut über mich lachen und nehme mich nicht ernst. Anderseits rede ich über private Themen nicht, wenn sie auch meine Freund:Innen und Mitmenschen betreffen. Es ist mir wichtig, meine Mitmenschen zu schützen und sie nicht in die Öffentlichkeit zu bringen. Mein Humor ist oft und immer gesellschaftspolitisch persönlich, bald wird es auch wirklich privat persönlich und das aus allen Perspektiven. Dennoch gibt es ein paar private Dinge, die ich gerne für mich behalte!

Deine Witze setzen sich oft mit Rassismus und Diskriminierung auseinander – hast du das Gefühl, dass dein Publikum wirklich versteht, wie ernst diese Themen sind?

Ich habe das Gefühl, dass mein Publikum die Ernsthaftigkeit von Diskriminierung und Rassismus versteht, vor allem langfristig. Ich muss dazu sagen: Das deutsche Publikum ist oft an rassistische Witze gewöhnt. Ich verfolge jedoch einen anderen Ansatz, der eine Gewöhnungsphase erfordern kann. Langfristig gesehen erkennt meine Community die Botschaft und ist politisch interessiert sowie offen für diese Themen. Humor dient dazu, über diese Themen nachzudenken und sie zu reflektieren. Meine Community ist wirklich toll und ich liebe sie!

Gibt es eine Grenze zwischen Aufklärung und Entertainment? Wo ziehst du diese für dich?

Ja, natürlich gibt es eine Grenze. Aufklärung, die nicht lustig und kreativ ist, finde ich im Comedy-Kontext oft langweilig. Für mich ist es wichtig, dass alles, was ich mache, auch für mich selbst lustig ist und mir Spaß macht. Comedy hat für mich oberste Priorität. Dabei darf Unterhaltung jedoch nicht auf Kosten anderer oder von Minderheiten gemacht werden – es sollte niemals nach unten treten. Entertainment kann sehr lustig sein und gleichzeitig aufklären, wie zum Beispiel bei „Die Anstalt“, der „Heute Show“ oder Jan Böhmermann mit seinen ZDF-Magazin Royale. Um ehrlich zu sein, aus einer migrantischen und geflüchteten Perspektive mache ich das am besten.

Hast du schon mal erlebt, dass dein Humor missverstanden wurde und Leute ihn rassistisch oder diskriminierend interpretiert haben?

Am Anfang wurde meine Comedy manchmal schon missverstanden! Was ich aktuell erlebe, ist, dass meine Comedy gewollt und bewusst missverstanden oder besser gesagt ignoriert und gehasst wird, weil sie unangenehm ist, weil sie gesellschaftspolitisch ist und alles auf den Punkt bringt. Hand aufs Herz! Gott sei Dank hat mir noch niemand direkt gesagt oder geschrieben, dass meine Comedy rassistisch oder diskriminierend ist – im Gegenteil! Erzähle dir mal eine lustige Geschichte: Einmal saß ein AfD-Anhänger im Publikum und hat mir vorgeworfen, ich sei diskriminierend gegenüber AfD-Anhängern. Den habe ich Comedy-technisch und künstlerisch richtig fertig gemacht!

Hast du in der deutschen Comedy-Szene jemals Rassismus oder Ausgrenzung erlebt?

Leider habe ich schon Rassismus in der Comedy-Szene erlebt – wer hat das nicht? Und das nicht nur einmal. Am Anfang wurde mir gesagt, dass ich nur andere Comedians mit Migrationsgeschichte kopiere und alles von ihnen klaue. Ein Comedian hat mich gefragt, wer mein Vorbild sei, und als ich Enissa Amani nannte, meinte er, sie könne doch gar nichts. Dabei war sie damals schon so gut und berühmt. Da fragte ich mich, warum sie so groß ist und diese Person so klein – hahaha. Mir wurden meine Fähigkeiten, Vorbildern in deren Fähigkeiten abgesprochen. Man hat mir auch gesagt, ich solle mit Comedy aufhören, weil das nicht witzig sei – und das wurde nicht weißen Comedians gesagt, das habe ich nie gesehen. Zum Glück nicht! Vor zwei Jahren war ich als Newcomer eingeladen und hatte einen wirklich sehr, sehr guten Auftritt – ich war der Beste an dem Abend. Nach meinem Auftritt kam ein Comedian zu mir und meinte: „Für einen Kanaken war das nicht schlecht.“ Ironischerweise hat diese Person dann ihren eigenen Auftritt verkackt. Da habe ich mich kaputtgelacht. Strukturell erlebe ich in der Comedy-Szene natürlich Rassismus, weil ich eine politische Haltung habe und nicht mit Klischees über geflüchtete, migrantische oder deutsche Menschen rede, auch nicht über Frauen. Das führt dazu, dass ich nicht gebucht oder angefragt werde. Hätte ich mit Klischees über Frauen, geflüchtete oder migrantische, deutsche Menschen gearbeitet, wäre ich längst in Arenen in Deutschland und oft im deutschen Fernsehen. Aber das ist nicht meine Welt. Ich finde das alles langweilig, schlecht und diskriminierend – oder wie mein bester Freund sagt, ehrenlos. Ich will eine Comedy, die lustig ist, mit Haltung, die gesellschaftspolitisch ist und vor allem klug und kreativ bleibt. Ich bleibe mir, meiner Kunst und meinen Werten treu!

Comedy kann eine politische Waffe sein. Fühlst du dich als Comedian in der Verantwortung, aktiv politische Botschaften zu vermitteln?

Also erstmal fühle ich mich als Mensch in der Verantwortung, politisch zu sein und politische Botschaften zu vermitteln – und das als Ezide, geflüchteter Mensch, Junge, Deutscher und Comedian. Ich kann nicht nicht politisch sein! Meine Existenz ist politisch! Comedy bietet eine Plattform, um wichtige Themen anzusprechen und Sichtweisen zu teilen, die oft übersehen werden. Für mich als Comedian ist es sehr wichtig, dass die Comedy im Vordergrund steht und alles lustig ist! Ja natürlich fühle ich mich in der Verantwortung, politische Botschaften zu vermitteln. Für mich persönlich müssen diese aber im Comedy-Kontext lustig und kreativ verpackt sein. Comedy hat die Kraft, gesellschaftliche Themen auf eine Weise anzusprechen, die zum Nachdenken anregt und Diskussionen fördert. Durch Humor können komplexe und oft unangenehme Themen zugänglicher gemacht werden.

Titelfoto von Tahsin Omir Mirza © Amelie Riedesel