Kommentar: Erdoğans Blick – Verfassungsschutzbericht vorgestellt

Gestern stellte Bundesinnenminister Seehofer gemeinsam mit dem Chef des Präsidenten des deutschen Inlandsgeheimdienstes Maaßen auf einer Pressekonferenz den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2017 vor.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat seit seiner Gründung den Ruf, vor allem ein Instrument der wechselnden Regierungen zur Bekämpfung linker Aktivitäten zu sein. Ein kursorischer Blick in die Geschichte des Amtes bestätigt diesen Eindruck.

Traditionell auf dem rechten Auge blind

Die deutschen Geheimdienste und insbesondere auch das Bundesamt für Verfassungsschutz stehen immer wieder im Fokus der Kritik, weil ihnen vorgeworfen wird „auf dem rechten Auge blind“ zu sein. Kein Wunder, da Täter der Nazidiktatur eine wichtige Rolle beim Aufbau des Bundesamtes spielten, das sich im Rahmen des Kalten Krieges vor allem gegen Links orientierte. Ein prominentes Beispiel dafür ist Hubert Schrübbers, einer der Vorgänger Maaßens. Er hatte zwischen 1952 und 1972 das Amt des Chefs des Geheimdiensts inne. Zur Zeit der deutschen Besatzung Belgiens war er als Staatsanwalt für die Verfolgung und Vernichtung von Linken im Einsatz. So sorgte er 1940 mit seinem Strafantrag für die Verurteilung der Jüdin Anna Neubeck zu zwei Jahren Zuchthaus, weil sie Geld und Essen von der „Roten Hilfe“ angenommen und sich mit anderen deutschen Immigranten getroffen habe. Neubeck wurde daraufhin in Auschwitz ermordet.

Das eine Person wie Schrübbers in den höchsten Rang des Inlandsgeheimdienstes aufstieg ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Feind auch nach dem Krieg weiterhin links stand. Er steht nur beispielhaft für eine Nazielite, die in den Geheimdiensten, Sicherheitsbehörden, dem Militär und der Verwaltung der Bundesrepublik Karriere machten und für antikommunistische Kontinuität sorgten. So gab es immer wieder, symbiotische Beziehungen zwischen der extremen Rechten und dem Verfassungsschutz.

Auch bei der Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), spielte der Geheimdienst eine dubiose Rolle. So war beim Mord an dem Kioskbesitzer Halil Yozgat durch die Neonazis ein Agent des Verfassungsschutzes anwesend. Die Opferanwältin Antonia von der Behrens sagte, dass eine Mitwirkung des Agenten an der Tat „derzeit nicht ausgeschlossen werden“ könne. Zum NSU-Fall sagt sie, dass die Vielzahl der Versäumnisse gegen bloßes Versagen, bloße Pannen und Fehler beim Verfassungsschutz, „sondern alles für gezieltes Handeln“ spreche. Sie geht davon aus, dass bei Weiterleitung dieses Wissens an Strafverfolgungsbehörden eine Festnahme vor dem ersten Mord des NSU, in jedem Fall vor dem Mord an Mehmet Kubasik, möglich gewesen wäre.

Verfassungsschutz schweigt zur AfD

Es kommt nicht von ungefähr, dass auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht in der Kritik steht. So beschäftigt sich der Verfassungsschutz in seinem Bericht 2017 zwar mit allen möglichen Nazikameradschaften und Kleinstparteien, erwähnt aber die zur drittstärksten Kraft im Bundestag gewordene, offen rassistisch auftretende AfD nur als „Opfer“ von linken Protesten. Die Innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE Ulla Jelpke sagt dazu: „Eine offen rassistische und in Teilen völkische Partei sitzt als drittstärkste Kraft im Bundestag, diffamiert Migranten pauschal als Kriminelle, verharmlost die Verbrechen des Hitler-Faschismus und hetzt gegen demokratische Werte – aber dem Verfassungsschutz ist das keine Erwähnung wert. Er fokussiert sich nur auf scheinbar extreme Ränder, ohne in den Blick zu nehmen, wie in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft die Werte verfallen.“

Hayır-Kampagne – PKK gesteuert?

Diese antiemanzipatorische Grundhaltung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewinnt noch stärker an Konturen, wenn wir uns die „Berichterstattung“ im Kapitel „Sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern“ zur Arbeiterpartei Kurdistan PKK ansehen. In dem Kapitel werden zivilgesellschaftliche Aktivitäten wie die „Nein“-Kampagne zum Verfassungsrefendum in der Türkei, die von der Demokratischen Partei der Völker (HDP), dem Demokratischen Kongress der Völker (HDK), breiten Bündnissen bis weit in die türkische liberale Öffentlichkeit und die CHP hinein getragen wurden, als „PKK-Kampagne“ diffamiert. Der Bericht kriminalisiert die breiten europaweiten Hayır-Plattformen als „ein überwiegend von PKK-Aktivisten und PKK-nahen Organisationen getragenes Bündnis“. Das sich Politiker wie Cem Özdemir und viele Politiker*innen anderer Parteien und Prominente an der Kampagne beteiligten, scheint den Verfassungsschutz in seinem Urteil nicht zu beirren. Die Argumentation des Verfassungsschutzes erinnert an die Argumentation der türkischen Staatsmedien, die wegen der Hayır-Kampagne sogar schon von einer Allianz zwischen PKK und CHP redeten und so versuchten, die Hayır-Bewegung zum Abschuss freizugeben.

Auch die Ziele der PKK scheinen dem VS klar zu sein: „Die PKK lehnte die Verfassungsänderung ab, da sie bei einer Ausweitung der Befugnisse des türkischen Staatspräsidenten eine Verschärfung der gegen sie gerichteten Repressionen sowie eine Intensivierung der militärischen Auseinandersetzungen befürchtete.“ So weit richtig, aber was daran problematisch ist, bleibt der Phantasie der Verfassungsschützer überlassen. Die Hayır-Aktivistin Beriwan Sozdar kommentiert diese Darstellung gegenüber ANF mit den Worten: „Natürlich haben wir Probleme mit der türkischen Verfassung, die schon damals undemokratisch und rassistisch war, es war aber umso notwendiger gegen den Verfassungsputsch-Erdoğans zu mobilisieren. Dass die Verteidigung einer Verfassung nun für den deutschen Verfassungsschutz problematisch ist, ist einfach nur absurd. Wenn sich der deutsche Verfassungsschutz so vor den türkischen Diktator stellt, ist das einfach nur peinlich!“

Falschbehauptungen zu Fahnenverboten

Offensichtliche Falschinformationen verbreitet der Verfassungsschutz zum Kennzeichenverbot. So ist im Bericht des Verfassungsschutzes von einem Verbot von Fahnen der legalen kurdischen Partei PYD des kurdischen Studierendenverbandes YXK und der Fahnen der gegen den IS kämpfenden YPG und YPJ die Rede. Damit macht sich der Geheimdienst eine durch die Bundesregierung widersprochene Falschinterpretation des an sich skandalösen Schreibens des BMI zu eigen. Der Verfassungsschutz bezieht in seinem Bericht offensichtlich nicht die Äußerungen des ihm übergeordneten BMI ein, das in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE konkretisiert: „Die Fahnen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) in Syrien sind nicht schlechthin verboten, sondern nur insoweit, als dass sich die PKK derer ersatzweise bedient.“

Polizeiangriffe auf Demonstrationen infolge dieser hanebüchenen Gesinnungspolitik wertet der Verfassungsschutz als Übergriffe auf die Polizei und schreibt von einer „renitent-provokanten Haltung der PKK zum Fahnenverbot“, welche für ihre „Gewaltbereitschaft“ spreche.

Demokratische Organisationen der kurdischen Zivilgesellschaft werden als PKK-Organisationen zum Abschuss freigegeben

Graswurzelinitiativen der kurdischen Zivilgesellschaft, die wie die Demokratischen Gesellschaftszentren (DKTM), das Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM), die Organisation der Studierenden (YXK), die Frauenbewegung (TJK-E) und sogar die konfessionellen Verbände, wie die islamische CIK, die alevitische FEDA und das ezidische NAV-YEK, werden als PKK-Massenorganisationen dargestellt und so in den Fokus der Kriminalisierung gerückt. Ein ähnlicher Angriff auf die kurdische Zivilgesellschaft ist bisher nur aus der Türkei bekannt.

DITIB spioniert für Türkei

Vor dem Hintergrund von solchen Geschenken an die Türkei ist es bemerkenswert, dass nun zum ersten Mal DITIB und die Spionagetätigkeit der an die türkische Religionsbehörde angeschlossenen Organisation im VS-Bericht benannt wird. Sie hätten vor allem Mitglieder der Gülen-Sekte ausspioniert. Allerdings erhält DITIB weiterhin massive Förderung durch den deutschen Staat. Auch die UETD wurde als inoffizielle Auslandsorganisation der AKP benannt, die versuche, in Deutschland auf die Meinungsbildung einzuwirken.