Ende des Jahres 2010 begann mit dem sogenannten „Arabischen Frühling” ein Prozess des demokratischen Aufstands in vielen Staaten des Mittleren Ostens und Nordafrikas gegen die dort herrschenden autoritären Regime – auch in Syrien. Nach all den Jahren hat sich das Kräfteverhältnis im Mittleren Osten verändert; neue Allianzen wurden geschlossen und supranationale Interessen verbergen sich hinter Kriegsszenarien, die bereit sind, Grenzen und Interessenbereiche neu zu definieren. Was passiert ein paar Monate nach der vielgepriesenen Niederlage der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in diesen Gebieten? Der Rückzug der internationalen Anti-IS-Koalition und die Verlagerung der verschiedenen Armeen zeugen von neuen Transformationen.
In der Zwischenzeit bauen die Kurden im Bündnis mit anderen Menschen ihre eigene Alternative auf: ein gleichberechtigtes Zusammenleben verschiedener Ethnien und Religionen in gegenseitigem Respekt, das auf Prinzipien wie Geschlechterbefreiung, demokratischem Pluralismus, direkter Demokratie und einer ökologischen und kommunalen Ökonomie beruht. Dieses Konzept – der Demokratische Konföderalismus – zeigt auf, dass es sogar innerhalb eines bewaffneten Konflikts möglich ist, ein neues Projekt zu verwirklichen, das den Willen der lokalen Bevölkerung widerspiegelt.
Diese Form der demokratischen Perspektive, die mit der Überwindung des Nationalstaats und direkter Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen ein friedliches und harmonisches Lösungsmodell für den gesamten Mittleren Osten darstellt, wird in einem sich ständig verändernden globalen Kontext gelebt.
Während auf der einen Seite neue Souveränitäten und Chauvinismus anrücken, die den Rückzug der Zivilisation vorschlagen, stehen auf der anderen Seite voranschreitende Bewegungen, die den sozialen Kontext verbessern können – vom europäischen Neokommunismus zu indigenen Erfahrungen.
Was sich mit dem Demokratischen Konföderalismus seit 2005 in Nordkurdistan und 2012 in Rojava abspielt, stellt einen Versuch der gesellschaftlichen Veränderung dar, besonders aufgrund der neuen Rolle der Frauen. Vom 4. bis 6. Oktober findet daher unter dem Titel „Visionen und Strategien aus Kurdistan” in Rom eine international ausgerichtete Konferenz statt. Die Zusammenkunft beginnt mit einer Kritik der Gegenwart und analysiert anschließend das Paradigma des Demokratischen Konföderalismus, um eine neue Perspektive zu diskutieren und eine Alternative vorzuschlagen. Es wird Diskussionen zu den unterschiedlichsten und jüngsten Erfahrungen geben, um eine Verbindung zur kurdischen Alternative des „dritten Weges” aufzubauen.
Die Konferenz wird organisiert von UIKI-Onlus (Informationsbüro Kurdistan), Rete Kurdistan, Associazione Mompracem und Municipio Roma VII. Weitere Informationen unter: http://www.confederalism.eu/en/home
Demokratischer Konföderalismus
Der Demokratische Konföderalismus ist eine Form der Selbstverwaltung, die der Form der Staatlichkeit gegenübersteht. Es geht um eine permanente soziale Revolution, die sich in jeder Facette der gesellschaftlichen Struktur widerspiegelt. Die Überwindung des Nationalstaats ist als langfristige Perspektive vorgesehen. Der Staat wird dadurch überwunden, dass auf praktischer Ebene alle Strukturen in Selbstorganisation und Selbstverwaltung übernommen werden. Weder staatliche noch territoriale Grenzen sollen dabei eine Rolle spielen. Durch die Selbstverwaltung der Gesellschaft werden der Staat und der Nationalstaat durch den Demokratischen Konföderalismus überflüssig gemacht. Das bedeutet, dass die Kommune autonom in dieses Gesellschaftsmodell eingebunden ist und das politische Zentrum darstellt.