Gedenken an die Opfer des Anschlags von Paris

In Paris hat ein ganztägiges Gedenken an die Opfer des Anschlags vom 23. Dezember 2022 stattgefunden. Die Reden pochten auf juristische Aufklärung; die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft wurde aufgefordert, die Ermittlungen an sich zu ziehen.

Evîn Goyî, Mîr Perwer, Abdurrahman Kızıl

Am 23. Dezember 2022 kam es in der kurdisch geprägten Rue d'Enghien unweit des Pariser Nordbahnhofs zu Schüssen. Ein 69-jähriger Franzose zielte zunächst auf das Kulturzentrum „Ahmet Kaya“, bevor er auf ein gegenüberliegendes Restaurant und einen Friseursalon schoss. Bei dem Anschlag wurden drei Menschen schwer verletzt und die Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung, Evîn Goyî (Emine Kara), der Musiker Mîr Perwer (Mehmet Şirin Aydın) und der langjährige Aktivist Abdurrahman Kızıl getötet. Anlässlich ihres zweiten Todestages fand in Paris an ganztägiges Gedenken statt.


„Jin Jiyan Azadî“

Eingeladen hatte der Europaverband der kurdischen Frauenbewegung (TJK-E). Das Gedenken begann um 11:37 Uhr – dem Zeitpunkt des ersten Schusses am 23. Dezember 2022 – mit einer Schweigeminute vor dem Kulturzentrum in der Rue d'Enghien. Viele Menschen trugen Bilder der Opfer des Anschlags sowie der Toten des Pariser Massakers von 2013, bei dem die kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız (Sara), Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) von einem Attentäter des türkischen Geheimdienstes erschossen wurden. „Şehîd namirin“ (Die Gefallenen sind unsterblich) und „Jin Jiyan Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) hallte es nach der Schweigeminute durch die Straße.

„Die Mörder sind bekannt, aber Frankreich schweigt“

Im Anschluss wurden Reden gehalten. Die TJK-E-Vertreterin Dilan Amed sagte: „Die Mörder sind bekannt, aber Frankreich schweigt.“ Damit spielte sie auf die weiterhin juristisch unaufgeklärte Ermordung von Cansız und ihrer Mitstreiterinnen an und betonte die Forderung der kurdischen Bewegung, die in Ankara sitzenden Verantwortlichen endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Und auch im Fall des „zweiten Massakers von Paris“ sieht die kurdische Seite ein gezieltes Attentat auf ihre politische Vertretung. Die Strafverfolgungsbehörden verweigern jedoch eine Einstufung als terroristische Tat. Der von den Opfern des Anschlags gestellte Schütze wurde wegen „Mehrfachmord aus rassistischen Motiven“ angeklagt. „Das können wir nicht akzeptieren. Das kurdische Volk ist Ziel eines äußerst schmutzigen Krieges, dessen Strippen der türkische Staat zieht. Wenn sich Frankreich nicht mitschuldig machen will, muss es für Aufklärung und Gerechtigkeit sorgen“, so Amed.


Im weiteren Verlauf sprachen Familienangehörige der Getöteten. Emine Kara erinnerte an den Einsatz ihrer Namensvetterin beim Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Rojava. Evîn Goyî habe „großen Widerstand“ geleistet – nicht für das kurdische Volk. „Sie hat sich für die gesamte Menschheit der Dunkelheit widersetzt. Sie verteidigte nicht nur ihr eigenes Leben, sondern das Leben aller. Frankreich hat die Pflicht, Gerechtigkeit zu üben. Das gilt auch für Sara, Rojbîn und Ronahî.“ Aufklärung der Pariser Anschläge forderte auch Abdurrahman Kızıls Verwandter Celal Turan. Danach trat der Mey-Spieler Agît auf die Bühne. Die Klänge des Holzblasinstruments zu kurdischen Volksliedern gingen unter die Haut und berührten das Publikum.


Nachdem sich das Gedenkprogramm zwischenzeitlich in die Räumlichkeiten des Ahmet-Kaya-Kulturzentrums verlagert hatte, gab es ab 18 Uhr wieder eine Zusammenkunft auf der Straße, an der sich auch Persönlichkeiten aus der französischen Politik beteiligten. Alexandra Cordebard, sozialistische Bürgermeisterin des zehnten Arrondissements, bezeichnete die Rue d'Enghien als „Klein-Kurdistan“ und den Bezirk als Heimat vieler Kurdinnen und Kurden. „Doch bedauerlicherweise wurden Angehörige des kurdischen Volks in ihrem eigenen Zuhause Opfer von Massakern. Wir stehen in ihrer Schuld und bekräftigen unser Eintreten für die Rechte der Kurd:innen. Ich fordere die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft ein weiteres Mal auf, die Ermittlungen zum Tod von Evîn, Mîr Perwer und Abdurrahman an sich zu ziehen“, sagte Cordebard.

Die Freiheit der Völker hängt vom Kampf der Kurd:innen ab

Die Bezirksbürgermeisterin verurteilte auch die Ignoranz der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich der Angriffe der Türkei und pro-türkischer Dschihadistenmilizen gegen Rojava und die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien. „Die Freiheit der Völker hängt vom Kampf der Kurd:innen ab“, betonte Cordebard und ergänzte: „Das kurdische Volk braucht unsere Solidarität und Unterstützung. Es verdient unsere Achtung und Wertschätzung für seinen Kampf gegen die Dunkelheit. Ich sage es noch einmal; Frankreich ist auch die Heimat des kurdischen Volkes. Sie sind keine Gäste, sondern Teil dieses Landes. Und nicht nur wir; auch andere Länder in Europa brauchen die Werte, für die die Kurd:innen stehen.“

Garrigos: PKK von der EU-Terrorliste streichen

Die Politikerin Raphaelle Primet sprach für die Kommunistische Partei Frankreichs. „Wir stehen dem kurdischen Volk stets solidarisch bei“, betonte sie. Aminata Niakate von den Grünen war ebenfalls gekommen, um im Namen ihrer Partei Aufklärung und Gerechtigkeit zu fordern. Die Pariser Stadträtin und frühere Präsidentin von Amnesty International Frankreich, Geneviève Garrigos, die ihre Rede mit den Worten „Jin Jiyan Azadî“ einleitete, forderte die Streichung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) von der EU-Terrorliste. Aufgrund dieser Listung würden überall in Europa politisch aktive Kurd:innen kriminalisiert, kritisierte die sozialistische Politikerin. Diese Kriminalisierung trage nicht nur zu Verbrechen an Kurd:innen bei, sondern nehme auch Einfluss auf die Aufklärungspflicht. „Wir fordern Aufklärung für die Morde von Paris.“ Das Gedenkprogramm wurde beendet mit Auftritten der Künstler:innen Meral Alkan, Nuarîn, Farqîn Azad und Ozan Marûf.