Exilpolitiker Sarıyıldız: „Kurd:innen müssen sichtbarer werden“

„Wahlen sind von entscheidender Bedeutung“ – Der kurdische Exilpolitiker und Ko-Vorsitzender der DEM-Vertretung in Deutschland, Faysal Sarıyıldız, ruft stimmberechtigte Kurd:innen zur Teilnahme an der Bundestagswahl auf.

Bundestagswahl am 23. Februar

In Deutschland leben schätzungsweise zwei Millionen Kurd:innen, doch ihre politische Sichtbarkeit entspricht nicht ihrem tatsächlichen Einflusspotenzial. Warum ist es für die kurdische Gemeinschaft so wichtig, sich aktiv an Wahlen zu beteiligen? Welche Herausforderungen gibt es, und wie kann eine stärkere politische Partizipation die gesellschaftliche Stellung der Kurd:innen in Deutschland verbessern? Der kurdische Exilpolitiker Faysal Sarıyıldız, der Ko-Vorsitzender der DEM-Partei in Deutschland ist, meint: „Demokratische Wahlen sind von entscheidender Bedeutung, da sie den Einzelnen ermöglichen, in der Gesellschaft mitzubestimmen.“ Im Gespräch mit ANF spricht er über die politischen Themen, die die kurdische Community besonders betreffen, und erklärt, welche Schritte die DEM-Partei unternimmt, um Kurd:innen in Deutschland zur Wahl zu mobilisieren. 

Warum ist es besonders wichtig, dass kurdische Wähler:innen in Deutschland an den Bundestagswahlen teilnehmen? 

Da wir Kurd:innen aus einer politischen Tradition kommen, die im Kampf für Gleichheit, Freiheit und Demokratie große Opfer gebracht hat, ist es uns wichtig, als aktive Akteur:innen an demokratischen Wahlen teilzunehmen. Demokratische Wahlen sind von entscheidender Bedeutung, da sie den Einzelnen ermöglichen, in der Gesellschaft mitzubestimmen. Für die kurdischen Wähler:innen hier in Deutschland ist die aktive Teilnahme an den Bundestagswahlen besonders wichtig, da sie sowohl Teil eines Volkes sind, das weiterhin einen hohen Preis für den Kampf um Demokratie zahlt, als auch direkt von der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland betroffen sind. Eine hohe Wahlbeteiligung der kurdischen Wähler:innen stärkt ihre Einflussmöglichkeit auf politische Entscheidungen, die sie direkt betreffen. Themen wie Migrant:innenrechte, Kriminalisierung, Integrationspolitik, doppelte Staatsbürgerschaft, Minderheitenrechte und Außenpolitik haben einen unmittelbaren Einfluss auf die kurdischen Wähler:innen.

Welche politischen Themen betreffen die kurdische Community in Deutschland besonders, und wie können diese durch eine hohe Wahlbeteiligung stärker vertreten werden? 

Bei allen Fragen, die unter dem Titel „Wahlen in Deutschland und die Kurd:innen“ gestellt werden, muss ich eine zweidimensionale Antwort geben: Zum einen aus der Perspektive der kurdischen Individuen als Teil eines Volkes, das für seine Freiheit kämpft, und zum anderen in Bezug auf ihre Betroffenheit von der gesellschaftlichen und politischen Situation in Deutschland. Deutschland hat aufgrund seiner wirtschaftlichen und politischen Macht eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Innen- und Außenpolitik der Europäischen Union. Die Beziehung zwischen der EU, dem deutschen Staat und der Türkei hat erheblichen Einfluss darauf, dass die Repressionen des türkischen Staates gegen das kurdische Volk fortgesetzt werden können. Daher ist es wichtig, dass die kurdische Gemeinschaft in Deutschland bei Wahlen ihr Potenzial und ihre politische Subjektivität sichtbarer macht. Falls dieses Potenzial genutzt wird, müssen ihre Forderungen bei der Gestaltung der Innen- und Außenpolitik berücksichtigt werden. Die größere Sichtbarkeit der kurdischen Gemeinschaft als Wähler:innen und Gewählte in allen Regionen kann auch die Beziehungen Deutschlands zur Türkei, zum Irak, zu Syrien und zum Iran zugunsten der Kurd:innen beeinflussen. Gleichzeitig beeinflusst dies auch die kulturelle, politische und gesellschaftliche Stellung der kurdischen Gemeinschaft in Deutschland. 

Welche Schritte hat die DEM-Partei unternommen, um die kurdische Community in Deutschland zur Wahl zu mobilisieren oder ihre Interessen politisch zu vertreten? 

Die DEM-Partei führt in Deutschland diplomatische Aktivitäten auf Repräsentationsebene durch. Die Organisation der kurdischen Gemeinschaft hier erfolgt über kurdische Gemeinschaftszentren und andere Institutionen. Wie in vielen Bereichen liegt es auch in der Verantwortung dieser Institutionen, die kurdischen Wähler:innen zu informieren und ihr Interesse an den Wahlen zu fördern. Unsere Repräsentanz nimmt als Sprecher:in an Treffen, Demonstrationen und Seminaren teil, die von kurdischen Institutionen organisiert werden, um unsere Gemeinschaft über aktuelle Entwicklungen in Deutschland zu informieren und ihr Bewusstsein für das Land zu stärken. 

Sehen Sie besondere Herausforderungen oder Hindernisse, die kurdische Wähler:innen in Deutschland davon abhalten könnten, ihre Stimme abzugeben? 

Wie bekannt ist, ist die Staatsbürgerschaft des Landes eine Voraussetzung für das Wahlrecht. Obwohl Kurd:innen im Vergleich zu anderen migrantischen Gruppen häufiger die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, gibt es immer noch eine bedeutende Anzahl von Menschen, die diesen Status nicht erlangen konnten. Dies wirkt sich negativ auf den Einfluss der kurdischen Gemeinschaft auf die Wahlen aus. Zudem haben Teile der kurdischen Gemeinschaft in Deutschland Sprachbarrieren, die es ihnen erschweren, die politische Agenda des Landes zu verfolgen. Dies hat ebenfalls einen negativen Einfluss auf ihre Wahlbeteiligung. Darüber hinaus führt die prekäre Situation in Kurdistan dazu, dass viele Kurd:innen ihren Fokus eher auf ihre Heimatregion richten, was sich ebenfalls auf ihr politisches Engagement in Deutschland auswirkt.

Wie könnte sich die politische Landschaft in Deutschland verändern, wenn sich mehr Kurd:innen aktiv an Wahlen beteiligen? Gibt es bereits Fortschritte oder konkrete Erfolge in dieser Hinsicht?

Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa zwei Millionen Kurd:innen leben. Angesichts dieser Zahl kann jedoch nicht gesagt werden, dass die politische Willenskraft der Kurd:innen in dem erwarteten Maße in den Wahlergebnissen zum Ausdruck kommt. Wenn die genannten Hindernisse überwunden werden, könnten Kurd:innen sowohl als Wähler:innen als auch als Gewählte sichtbarer werden und somit eine politische Kraft entwickeln, die die politischen Gleichgewichte beeinflussen kann. Eine höhere Wahlbeteiligung und eine bewusste Stimmabgabe der Kurd:innen könnten dazu beitragen, dass die kurdische Frage und die mit Migration verbundenen Probleme stärker in der deutschen Politik thematisiert werden. Indem unsere Gemeinschaft ihre politische Willenskraft weiterentwickelt, kann sie zum einen linke und demokratische Parteien stärken und zum anderen rechte Parteien, die mit staatszentrierten Denkmustern agieren, zu Veränderungen zwingen. In den letzten Jahren wurde beobachtet, dass das politische Bewusstsein der Kurd:innen gestiegen ist und sie sich stärker organisiert haben. Einige kurdische Politiker:innen haben begonnen, in der deutschen Politik sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene aktiv zu werden. Solche Entwicklungen können als hoffnungsvolle Schritte für die Zukunft betrachtet werden.