Duran Kalkan hat sich als Exekutivratsmitglied der PKK bei Medya Haber TV zu aktuellen Themen geäußert. Hinsichtlich der Entwicklungen in Syrien sagte Kalkan:
Ende November hat eine entscheidende Veränderung der Machtverhältnisse in Syrien begonnen. Jetzt wird über die Konsequenzen diskutiert. Es gibt ein passendes türkisches Sprichwort: „Hoffen wir, dass man sich nicht nach dem sehnen wird, was überwunden wurde.“ Im Moment kann man nur diesen Wunsch äußern. Denn man weiß, was gerade überwunden wurde, aber man weiß auch, wer alles an der Gestaltung des Neuen beteiligt ist. Sie versprechen einiges und versuchen auch, gewisse Erwartungen zu wecken. Angeblich soll es ein neues Syrien geben, ein demokratisches Syrien, ein pluralistisches Syrien. Wir können nur hoffen, dass dies der Fall sein wird. Dafür haben wir immer gekämpft. Der Kampf der Kurd:innen und sogar der Kampf der PKK zu diesem Thema waren nicht unbedeutend. Aber es ist nicht klar, was wirklich passieren wird.
Was ist bisher geschehen? Die Situation, die wir derzeit erleben, ist die Folge eines Weltkrieges. Sie begann mit dem Zusammenbruch der Baath-Regierung im Irak. Jetzt hat sie mit dem Sturz des Baath-Regimes in Syrien im 61. Jahr seines Bestehens eine neue Dimension erreicht. Hinzu kommen die Folgen des Gaza-Krieges seit dem 7. Oktober 2023. Wir haben bei vielen Gelegenheiten deutlich gemacht, dass nach Gaza der Libanon an der Reihe sein würde, nach dem Libanon Syrien und nach Syrien Zypern.
Die Situation, die sich derzeit in Syrien entwickelt, wird unter der Führung der Türkei vorangetrieben. Jetzt schmeicheln verschiedene Kreise Tayyip Erdogan und klopfen ihm auf die Schulter. Trump ist noch nicht einmal im Weißen Haus und beginnt bereits, Erdogan zu loben. Und der bläht sich auf wie ein Frosch.
Aber was hat er wirklich getan? Hat er etwas zum Wohle der Türkei getan? Oder hat er es für andere getan und dabei auch seine eigene Regierungszeit verlängert? Hat er persönlich davon profitiert? Das wird sich in der kommenden Zeit zeigen. Diese Siegesrufe sind nicht sehr aussagekräftig. Sie wollen sich selbst aufblähen. Wir haben es einen Pyrrhussieg genannt, einen falschen Sieg. Einen Sieg, der dem gewaltsamen Einmarsch Saddams in Kuwait ähnelt. Sie haben viele Menschen dazu gebracht, das zu tun, und jetzt benutzen sie Tayyip Erdogan auf die gleiche Weise. Sie haben ihn im Gaza-Krieg eingesetzt. Durch ihn haben sie die Hamas dazu gebracht, den Krieg zu beginnen, die Hisbollah ermutigt, in den Krieg zu ziehen, und jetzt in Syrien haben sie Tayyip Erdogan das Kommando über den Krieg übertragen. Und jetzt blasen sie ihn auf, weil er einen tollen Job gemacht hat. Wie sehr liegt das im Interesse der Türkei? Einige türkische Intellektuelle stellen dies in Frage, denken und diskutieren darüber. Aber das bleibt immer noch auf einem sehr schwachen Niveau.
Die aufgeblasene Propaganda und psychologische Kriegsführung der AKP-MHP sind so umfassend, dass andere nicht einmal gehört werden. Sie unterdrücken alle. Tatsächlich war die Situation vor nicht allzu langer Zeit völlig anders. Tayyip Erdogan war begierig darauf, sich mit Baschar al-Assad zu treffen. Heimlich, öffentlich, er versuchte ständig, ein Treffen zu erzwingen. Er sprach viele Male mit Putin, damit dieser vermittelt. Alle gingen davon aus, dass die USA an der Seite von Baschar al-Assad stehen würden. Und das waren nicht nur leere Worte. Doch plötzlich stellten einige Entwicklungen diese Situation auf den Kopf. Niemand hatte erwartet, dass die Hisbollah so hart und schnell getroffen und Syrien so bald an der Reihe sein würde. Die Macht und Unterstützung der Hisbollah waren für das Überleben des Assad-Regimes in Syrien von entscheidender Bedeutung. Als sie getroffen wurde, wurde auch Syrien geschwächt. Die Ergebnisse des Gaza- und des Libanonkrieges haben diese Situation in Syrien herbeigeführt.
Sie erkannten, dass Syrien früher an der Reihe kommt, weil die Unterstützung des Assad-Regimes ernsthaft geschwächt war. Nur Russland war noch übrig. Und mit Russland haben sie sich geeinigt. Danach gab es keine Unterstützung mehr für die Regierung von Baschar al-Assad. Es stellte sich nur noch die Frage, wer diese Arbeit ausführen würde, wem sie anvertraut werden sollte. Sie brachten Israel dazu, gegen die Hisbollah und die Hamas in Gaza und im Libanon zu kämpfen. Das Assad-Regime war eine Regierung, ein Staat, der einen Platz in den Vereinten Nationen hatte. Es sollte nicht Israel sein, das dieses Regime zerstört. Stattdessen wurde Tayyip Erdogan dazu gebracht, die Strippen zu ziehen. Sie brachten Tayyip Erdogan dazu, eine der UNO angebundene Regierung mit Waffengewalt zu stürzen, und er jubelt: „Ich habe sie zerstört; ich habe einen Sieg errungen.“
Er ist glücklich, als hätte er einen großen Sieg errungen. Doch wer weiß, was ihm morgen deswegen widerfahren wird? Es gibt keinen Grund für ihn, sich zu früh zu freuen. Er wurde dazu ermutigt. Der NATO-Generalsekretär reiste in die Türkei und danach startete der Angriff von Idlib aus. So kam dieses Ergebnis zustande.
Es ist jedoch kein endgültiges Ergebnis. Das Bestehende wurde zerstört, aber es ist immer noch nicht klar, was es ersetzen wird oder was als Nächstes passieren wird. Was das Ersatzinstrument sein wird, ist überhaupt nicht klar. Jetzt ist eine Person da, gegen die von den Unterstützern dieses Umbruchs ein Haftbefehl als Terrorist ausgestellt wurde. Es sind die Mitglieder einer als terroristisch eingestuften Organisation, mit denen jetzt gesprochen wird. Es wird geradezu um Treffen mit ihnen gewetteifert, man fällt sich in die Arme. Ihnen wurden Krawatten umgebunden und Anzüge angezogen. Jetzt wird versucht, eine passende Regierung zu schmieden. Aber alle heucheln. Diejenigen, die das Ganze leiten, heucheln ebenso wie die Kräfte dahinter. In islamischen Kreisen gibt es viel von dieser Art Heuchelei. So sind solche Gruppen am Anfang entstanden.
Man kann also momentan sagen, dass die Situation in Syrien eher unklar ist. Auf diese Weise ist die Bildung von etwas Neuem in Syrien schwierig. Das ist weder in Gaza oder im Libanon geschehen, noch im Irak. Sie zerstören das Alte, und die neue Formation bleibt auf regionaler Ebene. Was jetzt geschaffen wird, ist vorübergehend. Sie werden auch in Syrien nur vorübergehende Dinge etablieren, wenn sie es überhaupt können. Denn es gibt zu viele Widersprüche in Syrien. Die ethnische Struktur ist sehr vielfältig. Es gibt viele verschiedene Religionen und Konfessionen und viele sehr unterschiedliche Menschengruppen. Nur pluralistische, demokratische, konföderale Systeme können eine Einheit unter ihnen schaffen. Undemokratische Systeme können sich nicht halten. Sie können nichts Neues oder Gutes schaffen. Daher wird die derzeitige Situation anhalten.
Syrien war ein Schritt. Es heißt, dass nach Syrien auch im Irak Kräfte ins Visier genommen werden, die sich dem Monopol des Kapitals widersetzen. Auf der einen Seite wird der Iran das Ziel sein. Er befindet sich bereits unter Belagerung. Der Druck auf den Iran wird zunehmen. Das andere ist die Türkei. Das globale System des Kapital-Monopols versucht, im östlichen Mittelmeerraum auf der Grundlage von Energie- und Handelsrouten die Kontrolle zu erlangen. Dafür ebnen sie den Weg. Zypern wird das nächste sein. Die Türkei ist das Zentrum dieses Krieges. Daher sind Aussagen wie „Die Türkei hat diesen Krieg gemacht“ und „Tayyip Erdogan hat ihn gewonnen“ leere Sprüche. Es sind nur Worte der Täuschung, um die öffentliche Meinung in der Türkei zu beeinflussen. Tayyip Erdogans Regierung war sehr geschwächt. Er stand bereits kurz vor dem Sturz. Sie taten es, um ihn zu stützen. Sie sahen, dass sie ihn noch stützen mussten, um ihn bei derartigen Ereignissen als Provokateur zu benutzen. Offensichtlich wollen sie ihn noch länger einsetzen, und deshalb haben sie ihm einen solchen Pyrrhussieg beschert, um ihn auf den Beinen zu halten. Aber was wird an den Grenzen der Türkei geschehen? Der Krieg ist näher an die Türkei herangerückt, und es ist nicht klar, was auf das Land zukommen wird.
Wir haben die Türkei gewarnt, keine Zeit zu verschwenden. Diejenigen, die heute Gespräche mit Rêber Apo [Abdullah Öcalan] als Teil ihrer besonderen Kriegsführung benutzen, werden morgen feststellen, dass es zu spät ist. Die Türkei verpasst die Gelegenheit, sie erschöpft die Möglichkeiten. Die einzige Rettung der Türkei ist eine Demokratisierung des Landes auf Grundlage der Freiheit der Kurdinnen und Kurden. Ohne diese hat die Türkei keine Zukunft. Und die einzige Person, die das bieten kann, ist Rêber Apo.
Die heutige Situation ist nicht von der Türkei oder Tayyip Erdogan und seiner Regierung geschaffen worden. Es sind dieselben Leute, die den Krieg in Gaza und bereits in den 1990er Jahren am Golf begonnen und geführt haben. Die Geschehnisse in Syrien entstanden nach ihrem Plan. Die Türkei wurde nur benutzt, um eine ausführende Rolle zu spielen. Sie wurde zu der Kraft gemacht, die Baschar al-Assad den Boden unter den Füßen wegziehen sollte. Das ist nicht Tayyip Erdogans Erfolg. Sie haben ihn dazu gebracht, es zu tun. Die Kräfte, die ihn dazu gebracht haben, sind dieselben, die den vorherigen Krieg geführt haben. Sie stehen auch hinter den Kräften, die jetzt in Damaskus sitzen. Die Türkei wurde einbezogen, um die neuen Machthaber in Syrien unter Kontrolle zu bringen. Und die derzeitige türkische Regierung gibt ihnen alles, was sie wollen, im Gegenzug dafür, dass sie an der Macht bleibt. Was danach mit der Türkei geschehen wird, ist völlig unklar. Was wird geschehen, wenn ein neues Syrien geschaffen wird?
Sie haben die Türkei ins Spiel gebracht, um Druck auf die Kurdinnen und Kurden auszuüben. Es gibt jeden Tag Angriffe, zuerst auf die aus Efrîn vertriebene kurdische Gemeinde in Tell Rifaat, dann auf Minbic und die Demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES). Die Türkei befiehlt diese Angriffe. Sie nennen es die „Syrische Nationalarmee“, aber es gibt keine solche Truppe. Sie wird von der Türkei gesteuert, das ist allgemein bekannt.
Wie wird das neue Syrien aussehen? Welche Rolle werden die kurdische und andere Gemeinschaften spielen? Diese Fragen müssen geklärt werden. Das Syrien, wie es bis heute existierte, wurde zerstört und es ist nicht so einfach, ein neues aufzubauen. Es kann nicht wie das alte errichtet werden, das würde niemand akzeptieren. Im Laufe der Jahre sind alle etwas bewusster und organisierter geworden. Es gibt viele ethnische Strukturen und verschiedene Religionen. Hier leben nicht nur sunnitische Araber.
Die DAANES wird unter Druck gesetzt und bedroht. Wenn sie standhält, kann sie ein helles Licht in Syrien sein. Sie ist eine einflussreiche Kraft, und sie hat Menschen, sehr bewusste und organisierte Menschen, die Widerstand leisten und auf die man sich verlassen kann. Ich begrüße diesen Widerstand und gedenke der Gefallenen mit Respekt, Liebe und Dankbarkeit. Sie leisteten heldenhaften Widerstand und leisten ihn immer noch am Euphrat und in Kobanê. Genau wie der IS und die YPG/YPJ in der Vergangenheit kämpfen dort jetzt dieselben Kräfte.
Das Modell und die Erfahrung der DAANES können ein Beispiel für ganz Syrien sein. Sie haben ein demokratisches System geschaffen, das viele verschiedene Ethnien vereint. In über zwölf Jahren haben sie eine Tradition der Selbstverwaltung und entsprechende Erfahrung erworben. Tatsächlich haben sie damit eine Antwort auf die Frage gefunden, wie die neue Verwaltung in Syrien aussehen sollte. Sie sollten keine Angst haben. Sie sind die am besten organisierte und stärkste Gruppe, wenn sie Widerstand leisten. Als sie sich gegen den IS zur Wehr setzten, erhielten sie die Unterstützung aller Völker und demokratischen Kreise der Welt, und jetzt haben sie wieder die Unterstützung des kurdischen Volkes; sie haben die Unterstützung aller Völker, Frauen, Jugendlichen und demokratischen Kreise. Und es wird noch mehr Unterstützung geben.
Es ist nicht klar, wie sich die gegnerische Macht entwickeln wird. Sie könnten versuchen, daraus ein neues Afghanistan zu machen. Aber es ist klar, dass die DAANES das grundlegende Modell, der Kern des neuen demokratischen Syriens ist. Die Menschen werden sie unterstützen. Wer sich für die Freiheit der Frauen einsetzt, wer die Freiheit der Völker, Demokratie, Gedanken- und Organisationsfreiheit will, findet all das in der DAANES wieder. Sie hat ein solches Modell demokratischer Regierungsführung geschaffen. Es wurde ein Modell dafür geschaffen, wie Syrien ein demokratisches konföderales System im Sinne einer demokratischen Nation sein könnte. Wenn es wirklich eine Demokratie geben soll, ist die Erfahrung Nord- und Ostsyriens ein Modell für das ganze Land. Sie können es nutzen und an Syrien anpassen.
Die Syrische Nationalarmee ist eine Gruppe von Rekruten aus Zentralasien und anderen Teilen der Welt. Es wird so getan, als wäre die SNA eine nationale Streitmacht, während auf der anderen Seite „die Kurden“ stehen. Immer wieder heißt es, dass die PKK das Problem ist. Das wurde zu einem Schlagwort gemacht, um Druck auf die DAANES auszuüben. Es gibt jedoch keine organisatorische Verbindung. Es gibt Einzelpersonen, die dort beratend tätig sind. Wenn es nicht-syrische Kurdinnen und Kurden gibt, die mit der PKK in Verbindung stehen, und die DAANES sagt, dass sie ihr Gebiet verlassen sollen, dann werden sie gehen. Insbesondere für PKK-Mitglieder ist das kein Problem. Viele sind damals aus Nordkurdistan gekommen, um in Rojava gegen den IS zu kämpfen. Tayyip Erdogan weiß das besser als jeder andere. Es ist nicht möglich, die DAANES damit unter Druck zu setzen. Ich verneige mich vor allen Völkern Nord- und Ostsyriens und insbesondere vor dem kurdischen Volk für den geleisteten Widerstand und gedenke ihrer Gefallener mit Respekt. Ich wünsche ihnen viel Erfolg in ihrem historischen Freiheitskampf.