Riyad Selahaddin stammt aus Qamişlo in Rojava und migrierte mit seiner Familie 1980 nach Südkurdistan. Er war jahrelang Peschmerga-Kommandant der PDK, zwischen 2003 und 2011 kommandierte er kurdische Kräfte in der irakischen Armee, von 2011 bis 2018 war er ein Kommandant der PDK-Spezialeinheiten Roj-Peschmerga und Zêrevanî. Im Mai 2018 trennte er sich von der PDK und ging nach Rojava, wo er jetzt als Militärspezialist für die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) arbeitet. Im zweiten Teil des in Qamişlo geführten Interviews schildert Selahaddin, wie die Sondereinheiten der PDK unter die Kontrolle des türkischen Geheimdienstes MIT gekommen sind.
Riyad Selahaddin ist 2003 auf Wunsch der PDK in die neue irakische Armee eingetreten. Nach acht Jahren forderte die PDK ihn für die Gründung der Roj-Peschmerga zurück. „Wir haben innerhalb der Zêrevanî-Struktur Ende 2011 unter dem Namen ,Roj-Einheiten' das Xinis-Bataillon gegründet. Danach entstand ein weitere Bataillon in Giveran. Als noch ein drittes Bataillon gegründet wurde, wurden diese in einem Regiment zusammengeführt. Die Leitung übernahmen Bedel Bendi und ich. Für die Ausbildung waren Zêrevanî-Kommandanten zuständig“, so Selahaddin.
Die Zêrevanî waren bereits 2003 unter der Leitung von Eziz Veysi von der PDK gegründet worden, führt Selahaddin aus: „Sie wollten nicht der südkurdischen Regierung unterstehen. Eziz Veysi sammelte einige Leute aus Bakur [Nordkurdistan], ehemalige PKKler, Menschen aus Rojava und Başûr [West- und Südkurdistan] zusammen und gründete diese Einheit. Als sie zahlenmäßig größer wurde, fand später eine Anbindung an das Peschmerga-Ministerium statt. Die Finanzierung und Logistik erfolgt vollständig über das Ministerium, aber die militärische, politische und operative Befehlsgewalt hat die PDK. Es handelt sich um eine Einheit der PDK.“
Mesûd Barzanî bricht sein Versprechen
Von einem Gespräch mit Mesûd Barzanî im Jahr 2012 erzählt Riyad Selahaddin: „Barzanî sagte: ,Ich weiß, dass ihr keine guten Waffen habt und wenig Gehalt bekommt. Ich zahle euer Gehalt aus meiner eigenen Kasse.' Damals bekamen wir hundert Dollar Gehalt und Barzanî sagte, dass er uns aus seinem Privatvermögen finanziert. Wir sagten, dass wir Waffen wollen und kein Geld, und dass wir nicht an die politischen Parteien in Rojava gebunden sein wollen. Er gab uns sein Wort und sagte: ,Ihr werdet Barzanîs Soldaten sein.'
Als wir die Roj-Einheit gründeten, gab es die YPG noch nicht. 2012 wollten wir mit dem 1. Regiment nach Rojava gehen. In dieser Zeit hörten wir von der Gründung der YPG. Damals wussten wir nicht viel über die YPG und die PYD. In den Medien in Başûr wurden sie als PKK-Organisationen bezeichnet. Wir wurden jedoch nicht nach Rojava entsandt, obwohl wir es wollten. Später wurden unser Sold und unsere Bedingungen verbessert. Hunderte junge Männer aus Rojava schlossen sich uns an, weil sie kein Geld hatten und es keine andere Arbeit in Başûr gab. Viele kamen aus dem Lager Dumiz. Einige kamen nur, weil sie nach Rojava zurückgehen wollten. So gründeten wir ein zweites Regiment. In den Jahren 2013 und 2014 drängte der ENKS [„Kurdischer Nationalrat“] sich uns auf. Vor allem die PDK-S [Syrien-Ableger der PDK] übte über den Parastin [Geheimdienst in Südkurdistan] Druck auf uns auf. Im 2. Regiment wurden hundert ihrer Parteianhänger untergebracht. Das 3. Regiment bestand dann vollständig aus ENKS-Leuten. Barzanî hatte uns zugesagt, dass sich diese Leute nicht in unsere Angelegenheiten einmischen würden und wir nichts mit ihnen zu tun hätten, aber dieses Versprechen hat er nicht gehalten.
Gegen die Revolution von Rojava
Als Militärs wussten wir damals nicht viel darüber, warum diese Einheit gegründet wurde und was ihr Zweck war. Wir dachten, dass wir nach Rojava gehen, gegen Assad kämpfen und die kurdischen Gebiete befreien würden. In Başûr gab es keine politische Ausbildung, weder für die Roj-Einheiten noch für die Peschmerga insgesamt. Es gab nur militärische Schulungen, bei denen es hieß: ,Rojava wird in die Hand der PKK fallen, dagegen müsst ihr eigene Kräfte gründen. Ihr müsst die Region übernehmen und eine Regierung bilden.' Es wurde sehr schlecht über die PKK gesprochen. Vor allem die ENKS-Leute erzählten sehr schlimme Sachen über die Revolution von Rojava. Wie gesagt, wir kannten die YPG und PYD damals kaum. In den Medien wurden sie als PKK bezeichnet, genau wie Erdogan es tat.
Doppelstrategie der PDK
Zum Abschluss einer Ausbildung kamen alle fünf bis sechs Monate Verantwortliche des politischen Büros oder aus dem Präsidium der PDK, um Versammlungen mit uns abzuhalten. Sie sagten dann, dass wir Syrer seien und eine eigene Regierung bilden sollten, oder: ,Wir müssen die Regierung sein.' Über die PKK sprachen sie ansonsten nicht viel, aber der ENKS hätte nicht so geredet, wenn er sich damit außerhalb ihrer Befehle bewegt hätte. Die PDK wollte mit der Gründung der Roj-Einheiten zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Zum einen wollte sie Rojava und die Menschen aus Rojava unter ihre Kontrolle bringen, zum anderen wollte sie eine militärische Kraft gegen die PKK aufbauen.
Ausbildung durch türkische Offiziere und den MIT
Als die Zêrevanî und die Roj-Einheiten schließlich von den Türken ausgebildet wurden, war ich dabei. Die türkischen Kommandanten agierten dabei im Namen der Internationalen Koalition. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ein türkischer Kommandant unterrichtete das 3. Regiment der Roj-Einheiten, an seiner Seite war ein kurdischer Übersetzer. Wie ich gehört habe, schickt die PDK in der letzten Zeit auch Gruppen in die Türkei, wo sie vom MIT ausgebildet werden. Ich weiß, dass eine solche Gruppe vor sechs Monaten einen vierzigtägigen Lehrgang in der Türkei absolviert hat. In den letzten sechs bis sieben Jahren sind die Kräfte der PDK fast vollständig unter die Kontrolle des MIT geraten.
Der Widerstand von Kobanê
Nach der Gründung des ersten Roj-Regiments hörte ich, dass die YPG gegründet wurden und die kurdischen Gebiete in Rojava vom syrischen Regime befreiten. Ein Teil meiner Verwandtschaft war in Rojava. Ich hatte Kontakt zu ihnen und sie erzählten von den Heldentaten der YPG. Das beeindruckte auch mich und andere. Ich hatte einige Freunde innerhalb der PDK-Kräfte. Wir trafen uns heimlich und diskutierten darüber, dass wir auch nach Rojava gehen und gemeinsam mit den YPG kämpfen sollten. Der Widerstand der YPG und YPJ in Kobanê wirkte sich stark auf die Bevölkerung von Başûr aus, der Kampfgeist griff aus Rojava über. Die Menschen in Başûr sprachen in dieser Zeit auch über die PKK, sie redeten über die Revolution von Rojava, die YPG und YPJ. Auch wir waren beeindruckt davon, dass die YPG in Rojava ganze Gebiete befreiten. Wir wollten mit ihnen zusammen gegen den IS kämpfen. Mich beeindruckte vor allem der Widerstand von Kobanê und der Mut der Kämpferinnen in dieser Schlacht. In dieser Zeit habe ich meinen Patriotismus entdeckt. Meine Widersprüche zur PDK und zum ENKS wurden immer größer.“
Vier Monate in PDK-Haft
Riyad Selahaddin sagt, dass die Internationale Koalition sich 2015 dafür eingesetzt hat, dass die Roj-Einheiten zusammen mit den QSD in Rojava gegen den IS kämpfen. Die Roj-Kommandanten vom ENKS hätten eine Eingliederung in die QSD für den Kampf gegen den IS jedoch abgelehnt. „Sie wollten als eigene Armee in Rojava sein. Auf die Frage des US-Kommandanten, wo sie stationiert sein möchten, sagten sie: Rimelan und Karaçox. Dort gab es allerdings gar keine Kämpfe, sondern nur Öl, das war es, was sie wollten. Später ernannten sie sich selbst zur Leitung für alle möglichen Stellen, ohne auch nur einen Finger für Rojava gerührt zu haben. Ich sagte, dass ich zusammen mit den YPG dort kämpfen möchte, wo der Krieg gerade stattfindet. Danach wurde ich aus den Versammlungen ausgeschlossen. Der PDK-Geheimdienst blockierte meine Teilnahme. Als ich 2016 mit einigen Freunden über die Grenze nach Rojava wollte, wurde ich in Hewlêr verhaftet. Nachdem ich vier Monate gesessen hatte, wurde mir eine passive Aufgabe in der Zêrevanî-Kommandantur gegeben. Im Mai 2018 ging ich weg und kam nach Rojava.“
Türkische Soldaten in PDK-Kleidung
Riyad Selahaddin hält fest, dass die PDK seit langer Zeit an der Seite des türkischen Staates agiert und bereits vor sechs Monaten Truppen nach Şîladizê entsandt hat, um die Guerillagebiete zu belagern. Im Einsatz sind die Roj- und Gulan-Einheiten. Diese seien noch nicht aktiv in den Krieg eingetreten, würden jedoch von der türkischen Armee benutzt: „Die türkischen Soldaten ziehen ihre Kleidung an und nähern sich in ihren Fahrzeugen den Guerillagebieten, um anzugreifen. Die PDK vertraut am meisten auf die Kräfte Roj, Gulan 1 und Gulan 2. Wenn es zu einem Verräterkrieg kommt, werden diese Einheiten genutzt werden.“