Die Lage von Flüchtlingen in der Türkei – Teil 1

Teil 1 beschreibt die Lage von geflüchteten Kindern in der Türkei.

Erst gestern beim herzlichen Empfang des Außenministers des türkischen Regimes ist einmal mehr die enge strategische Beziehung zwischen der deutschen Bundesregierung und dem staatsterroristischen türkischen Regime deutlich geworden. Im Vordergrund stehen dabei Profite aus Waffenverkäufen, aber auch die Rolle der Türkei als Brückenkopf in den Mittleren Osten und als Torwächter der EU. Ein Kapital, mit dem die Türkei immer wieder versucht Druck aufzubauen, sind die fast 3,7 Millionen Schutzsuchenden, ein Großteil aus Syrien, in der Türkei. Das Erdoğan-Regime wiederholt immer wieder voller Selbstlob sich um diese fast 3,7 Millionen Flüchtlinge zu kümmern. Allerdings erhält, wie Zahlen aus einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. belegen, nur ein Bruchteil dieser Schutzsuchenden staatliche Versorgung. Die Mehrheit kommt bei Stadtverwaltungen und Familien unter oder lebt in Slums auf der Straße und bedienen den informellen Arbeitsmarkt in der Türkei, an dem auch europäische und US-amerikanische Textilhersteller massiv profitieren.

Das EU-Türkei-Abkommen, dass die Zurückschiebung von in Griechenland ankommenden Schutzsuchenden aus Drittstaaten garantiert und der geschwächten türkischen Kriegsökonomie Milliarden im Austausch für die Schließung der Grenzen einbringt, ist ein zentraler Eckpfeiler der EU-Abschottungsagenda gegen Schutzsuchende. Die Zurückschiebungen in die Türkei machen selbst vor Familien nicht Halt, fünf Prozent der im Rahmen dieses Abkommens in die Türkei zurückgeschobenen Flüchtlinge waren Kinder und Jugendliche. Dabei wird immer wieder sowohl von EU-Regierungen als auch der türkischen Regierung angeführt, wie gut man sich um die Schutzsuchenden in der Türkei kümmere. Die Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Abgeordneten Ulla Jelpke, DIE LINKE. weisen auf eine andere Realität hin.

Die Situation von geflüchteten Kindern in der Türkei

Nach UNICEF Angaben lebten zum 31. Dezember 2017 1,6 Millionen geflüchtete Kinder und Jugendliche aus Drittstaaten, vor allem aus Syrien, in der Türkei. Etwa eine Million dieser Kinder und Jugendlichen befindet sich im schulpflichtigen Alter. Nach Angaben der Bundesregierung werden allerdings nur 608.095 dieser Kinder und Jugendlichen beschult. Nach Angaben von NGOs bedeutet das, dass etwa 400.000 geflüchtete Kinder in Vollzeit zu Kinderarbeit gezwungen sind, und auch bei den anderen kann Kinderarbeit ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Weiterhin leben über 500.000 geflüchtete Kinder aus Syrien und etwa 30.000 Kinder aus anderen Ländern unter fünf Jahren in der Türkei. Davon leben 223.773 geflüchtete Kinder aus Syrien und 6.953 geflüchtete Kinder aus dem Irak in Flüchtlingslagern der türkischen-staatlichen Organisation AFAD. Die Lage der restlichen gut 1,4 Millionen Kinder und Jugendliche ist statistische nicht erfasst, klar ist aber, dass viele auf der Straße leben und sich als Tagelöhner durchschlagen.

Kinderarbeit weit verbreitet

Die Bundesregierung bestätigt, dass Kinderarbeit insbesondere an der Schwarzmeerküste in der Haselnussernte praktiziert wird. Dreiviertel der weltweiten Haselnussproduktion stammen aus der Türkei. Die Haselnussernte wird nach Recherchen von correctiv vor Allem von Kindern eingebracht. Kinderarbeit ist im Agrarsektor unter bestimmten Voraussetzungen ab 14 Jahren legal, bei landwirtschaftlichen Betrieben mit weniger als 50 Angestellten gibt es nicht einmal diese Einschränkung. Immer wieder kommt es dabei zu tödlichen Arbeitsunfällen. Selbst im Falle einer Anklage wegen Kinderarbeit sind die Strafen lächerlich gering, so wurden in den 236 Fällen von Verurteilungen zwischen 2011 und 2016 Strafen in einer Höher von durchschnittlich etwa 412 Euro erteilt. Das zeigen Statistiken des türkischen Ministeriums für Arbeit und Soziales. Nach offiziellen Angaben der türkischen Organisation für Arbeitssicherheit ISIG sind allein im Jahr 2013 145 Kinder am Arbeitsplatz tödlich verunglückt. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, da bei Todesfällen von Kindern meistens keine entsprechenden Meldungen erfolgen. Regimechef Erdoğan hatte 2012 einen Plan angekündigt, die Landwirtschaft besonders zu fördern. Das Volumen der Agrarproduktion stieg massiv an, zum Vergleich, 2002 waren es drei Milliarden Dollar, im Jahr 2015 12,3 Milliarden. Ein Teil dieses erhöhten Bedarfs an Arbeitskraft wurde mit Kinderarbeit abgedeckt. Todesfälle scheinen von der AKP-Regierung systematisch verschleiert zu werden. So hat die AKP 2014 die Einrichtung einer Kommission zur Untersuchung der Todesfälle von Kindern in Fabriken und Geschäften verhindert. Es wurden sogar im Rahmen des allgemeinen Schulbesuchs Pflichtpraktika eingeführt, die ebenfalls die Kriterien von Kinderarbeit erfüllen. Ein tragisches Beispiel ist hier der 17-jährige Schüler Oğuzhan Çalışkan, der bei einem tödlichen Arbeitsunfall während eines solchen „Praktikums“ getötet wurde. Seine Mutter berichtet, er sei auf der Arbeit massiv ausgebeutet worden.

Kurdische Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge aus anderen Kriegsländern Ziel von Ausbeutung

Besonders betroffen sind hier zwei Gruppen. Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern und kurdische Binnenflüchtlinge. Etwa 500.000 Menschen befinden sich aufgrund der Vernichtung kurdischer Städte in den Jahren 2015, 2016 und 2017 auf der Flucht und viele von ihnen werden gerade in der Schwarzmeerregion in saisonaler Arbeit ausgebeutet.

Deutschland auf Platz zwei der türkischen Agrarexporte

Im ersten Halbjahr 2017 betrug das Importvolumen von landwirtschaftlichen Produkten aus der Türkei etwa 110 Millionen US-Dollar. Dennoch beschäftigt sich die Bundesregierung weder mit der Produktionsweise dieser Waren, noch mit der der Kinderrechtskonvention widersprechenden rechtlichen Lage in der Türkei. Gerade auch internationale Textilkonzerne und ihre Subunternehmen und Vertragspartner sind immer wieder in Skandale um Kinderarbeit in der Türkei verwickelt. Gefragt nach Berichten über die Profite von Textilkonzernen wie Zara, Asos, M&S und Mango, bzw. ihrer Zulieferer an Kinderarbeit in der Türkei, erklärt die Bundesregierung „Die Zuständigkeit für die Ahndung etwaiger Rechtsverstöße im Bereich des Arbeitsrechts liegt bei den türkischen Behörden“. So macht es sich die Bundesregierung einfach und schiebt denjenigen, die systematische Ausbeutung von Kindern ermöglichen, die Verantwortung zu. Die Bundesregierung zeigt ihre bewusste Ignoranz gegenüber dieser Situation unter anderem durch die offene Darstellung ihrer Unkenntnis, ob Produkte aus Kinderarbeit aus der Türkei nach Deutschland importiert werden. Die Abgeordnete der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Ulla Jelpke bezeichnete dies als „eine Schande“, die Bundesregierung dürfe die Kontrolle solcher Betriebe nicht dem türkischen Staat überlassen“, denn Kinderarbeit sei in der Türkei unter bestimmten Bedingungen legal.

Sunnitischer Zwangsunterricht für geflüchtete Kinder

Auch geflüchtete Kinder werden nach Kenntnis der Bundesregierung ab der vierten Klasse dem vom AKP-Regime eingeführten Unterrichtsfach „Religionskultur und Morallehre“ unterzogen. Dabei werden die Kinder und Jugendlichen systematisch in den sunnitischen Islam indoktriniert. Dieses Vorgehen stellt insbesondere für êzîdische, christliche und alevitische, aber auch für Kinder ohne Angehörigkeit zu einer Religion, eine schwere Rechtsverletzung dar.

Bundesregierung: Keine Einschränkung von Kurdisch-Unterricht

Beim Unterricht verschließt die Bundesregierung beide Augen und behauptet, es habe keine zunehmenden Einschränkungen hinsichtlich des Kurdisch-Unterrichts gegeben. Hunderte geschlossene kurdische Kindergärten, Sprachschulen und Bildungszentren sind der Bundesregierung hier offensichtlich keine Erwähnung werden.

Unterricht in den AFAD-Camps von Bundesregierung bezahlt

Die Bundesregierung gibt an, 12.000 syrische Lehrkräfte in den AFAD-Camps zu finanzieren. Diese unterrichten orientiert am syrischen und türkischen Rahmenplan. Ob die Bundesregierung damit auch den Zwangsreligionsunterricht finanziert, bleibt offen.

Die Bundesregierung scheint ähnlich wie in der Rüstungspolitik im Sinne ihrer eigenen Interessen beide Augen vor den Zuständen in der Türkei aus politischen und ökonomischen Interessen zu verschließen.

Die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. kann unter folgendem Link abgerufen werden:

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/005/1900511.pdf