Bundesregierung: Peschmerga sind in Şengal „ausgewichen“
Die Bundesregierung beantwortet eine Kleine Anfrage der Bundestagesfraktion DIE LINKE zur Lage von Ezid*innen im Irak, Syrien und Deutschland.
Die Bundesregierung beantwortet eine Kleine Anfrage der Bundestagesfraktion DIE LINKE zur Lage von Ezid*innen im Irak, Syrien und Deutschland.
Die Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE „Die Lage jesidischer Schutzsuchender“ beschäftigt sich mit ausgewählten Aspekten zur Lage der ezidischen Bevölkerung im Irak, der KRG (Autonome Region Kurdistan), Efrîn und von ezidischen Schutzsuchenden in Deutschland und der Einordnung der Kriegsverbrechen und des Genozids von Şengal durch die Bundesregierung. Besondere Brisanz birgt die immer noch hohe Schutzquote von ezidischen Schutzsuchenden angesichts des angeblichen „Skandals“ beim BAMF in Bremen.
Bremer Skandal ist nicht das BAMF, sondern die Diskussion darüber
Im Moment findet in der öffentlichen Debatte eine heftige Diffamierung von Mitarbeiter*innen in der Außenstelle des Bundesamts für Flucht und Migration in Bremen und dort anerkannten Flüchtlingen statt. So ist die Rede von angeblich 1.200 oder gar zweitausend „zu Unrecht“ anerkannten Asylbewerber*innen. Vergessen wird bei der Debatte immer wieder, dass es sich bei diesen 1.200 Personen mehrheitlich um Ezid*innen aus dem Irak und Syrien, also um Genozidflüchtlinge handelt. Betrachten wir angesichts dessen die von der Bundesregierung in ihrer Antwort dargelegten bereinigten Schutzquoten von Ezid*innen, so lagen diese für den Irak 2015 bei nahezu 100 Prozent und sank dann über die Jahre auf 91,6 Prozent im Jahr 2017 ab, für Syrien liegt die bereinigte Schutzquote kontinuierlich seit 2015 bei über 99 Prozent. Das bedeutet in der Konsequenz, dass weit über 90 Prozent der angeblich zu Unrecht anerkannten Asylbewerber einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Fragestellerin, nimmt dazu folgendermaßen Stellung:
„Nun wird deutlich wie verlogen das Geschrei um 1.200 möglicherweise formal fehlerhaft anerkannte Jesiden beim BAMF in Bremen ist. Es ist offensichtlich, dass fast alle diese Fälle sowieso anerkannt worden wären. Statt diese Tatsachen anzuerkennen wird immer weiter Wasser auf die Mühlen der rechten Hetzer gegossen.“
Allerdings muss festgestellt werden, dass die Schutzquote insbesondere bei Ezid*innen aus dem Irak zwar immer noch hoch ist, aber kontinuierlich fällt. Die Bundesregierung geht von sicheren Gebieten in der KRG aus und sieht trotz vieler anders lautender Berichte keine Diskriminierung von Ezid*innen dort. Mit Widerrufsverfahren wie in Bremen oder auch durch die sinkenden Anerkennungsquoten werden hochtraumatisierte Flüchtlinge jedoch einer permanenten Zermürbung ausgesetzt. Obwohl die Bedrohungslage weiterhin insbesondere aufgrund der neuen asymmetrischen Kriegsführung des IS in den Regionen Mosul, Hawice und Kerkûk hoch sei, geht die Bundesregierung von keiner Gruppenverfolgung von Ezid*innen aus.
Bundesregierung – noch 3.210 Ezid*innen in der Hand des IS
Unter Berufung auf ezidische Vertreter spricht die Bundesregierung von immer noch 3.210 Ezid*innen in IS-Gefangenschaft.
Strukturermittlungsverfahren wegen Völkermord – „Wer die Täter anklagt, muss auch die Unterstützer in Ankara zur Rechenschaft ziehen“
Gegen „unbekannte Vertreter des IS“ werde in Deutschland ein Strukturermittlungsverfahren nach den Paragrafen 6 Völkermord, 7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 8 Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch geführt. Dabei geht es insbesondere um die auf dem Şengal seit dem 1.8.2014 begangenen Verbrechen. Ulla Jelpke hierzu:
„Es ist richtig, dass gegen IS-Mitglieder wegen Völkermord ermittelt wird. Doch wer die Täter anklagt, muss auch ihre Helfer und Unterstützer in Ankara zur Rechenschaft ziehen. Die türkische Regierung steht in direkter Mitverantwortung beim Aufbau und der Unterstützung der IS-Terrormiliz. Daher wäre eine Ausweitung des Verfahrens auf das Erdoğan-Regime und seine Funktionäre konsequent.“
Bundesregierung spricht vom „Ausweichen“ der Peschmerga in Şengal
Während die Bundesregierung in vorherigen Anfragen keine Antworten zum Rückzug von Tausenden Peschmerga machte, beschreibt die Bundesregierung das Überlassen von Hunderttausenden Männern, Frauen und Kindern den IS-Banden als „Ausweichen“ unter „dem Eindruck des Ansturms von IS“. Ulla Jelpke kommentiert diese Antwort der Bundesregierung wie folgt:
„Endlich gibt die Bundesregierung zu, dass die Peschmerga der KPD die jesidische Bevölkerung 2014 im Stich gelassen haben. Während die Peschmerga aber dann erneut von der Bundesregierung mit Ausbildung, Waffen und Militärgerät hochgerüstet wurden, werden die wirklichen Verteidiger von Şengal, die YPG, YPJ und auch die PKK, weiterhin geächtet und kriminalisiert. Das ist einfach nur zynisch.“
Eine Frage zur Zusammenarbeit der Demokratischen Partei Kurdistan mit dem türkischen Geheimdienst MIT stuft die Bundesregierung als Geheim ein, während sie aber berichtet, dass die Miliz Hashd i Watani von der Türkei trainiert wurde. Auch eine Zusammenarbeit des deutschen Geheimdienstes BND mit den südkurdischen Diensten gegen die PKK räumt die Bundesregierung indirekt ein.
Bundesregierung: 137.070 Menschen aus Efrîn geflohen
Die Bundesregierung spricht mit Bezug auf Zahlen des UNHCR von einer Zahl von 137.070 Flüchtlingen aus Efrîn, die sich in Arfet (Til Rifat), Nubul, Zahra, Fafin und Kafr Naseh aufhalten. Die Bundesregierung behauptet keine eigenen Erkenntnisse zu Übergriffen auf Ezid*innen in der Region Efrîn zu haben. Widerspricht sich aber offensichtlich selbst, wenn sie zwei Fragen weiter erklärt, dass Ezid*innen von salafistischen-dschihadistischen Kreisen bedroht werden.
Ulla Jelpke kommentiert ihre Anfrage abschließend: „Deutschland trägt für die Vertreibung der Menschen aus Afrin eine bedeutende Mitverantwortung. Denn die Menschen wurden mit Hilfe von deutschen Leopard II Panzern und anderen deutschen Rüstungsgütern vertrieben. Doch die Bundesregierung kommt nicht einmal zu einer halbherzigen Verurteilung für den Angriff eines NATO-Partners auf einen friedlichen, demokratischen Kanton von dem keinerlei Bedrohung ausging. Die Parole von protestierenden Flüchtlingen ‚Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört‘ hat sich ein weiteres Mal bitter bewahrheitet.“
Die Kleine Anfrage kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2018/06/1902603-Lage-Eziden.pdf