Cemil Bayık hat als Ko-Vorsitzender des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) im Fernsehsender Stêrk TV die türkische Invasion in Südkurdistan, die Zusammenarbeit der südkurdischen PDK mit dem AKP/MHP-Regime, die aktuellen Entwicklungen in Rojava und die Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland bewertet. Bayık ging außerdem auf die Bedeutung der Kampagne „Defend Kurdistan“ ein.
„Der türkische Staat kann mit Tausenden Soldaten und Söldnern keine Ergebnisse erzielen“
Was sind die aktuellen Entwicklungen im andauernden Krieg zwischen der türkischen Armee und der Guerilla? Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?
Der türkische Staat greift mit NATO-Waffen Avaşîn, Heftanîn, Zap, Metîna und alle Regionen in Nordkurdistan an. Die Armee setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Waffen ein. Unser Hauptquartier hat wiederholt öffentlich gemacht, dass der Feind chemische Kampfstoffe benutzt. Trotz der eingesetzten Waffentechnologie erzielt er keine Ergebnisse. Deshalb will er die Guerilla mit chemischen Kampfmitteln schlagen. Gleichzeitig belagert die PDK die Guerillagebiete. Das geschieht auf Wunsch von Hulusi Akar [Verteidigungsminister der Türkei]. Der türkische Staat kann mit Tausenden von Soldaten, Söldnern und Chemiewaffen keine Ergebnisse erzielen und fordert deshalb die PDK auf, in den Krieg einzutreten.
„Die Guerilla führt diesen Kampf für die Menschheit“
Es gibt Spezialeinheiten unter dem Kommando der PDK. Das sind keine Peschmerga. Peschmerga sind nicht an dem Krieg beteiligt. Diese Spezialeinheiten belagern die Guerillagebiete. Diese Belagerung dient dem türkischen Staat. Ohne diese Beteiligung würde er schwere Schläge und letztendlich eine Niederlage erleiden. Wir werden den Kampf gegen den türkischen Staat trotzdem weiterentwickeln und die AKP/MHP-Herrschaft beenden. Gegen die Angriffe des türkischen Staates und den Einsatz chemischer Waffen führen Rêber Apo [Abdullah Öcalan], die PKK und das kurdische Volk mit ihrer Guerillaphilosophie und ihrer Verbundenheit mit der Menschheit einen unerbittlichen und epischen Kampf. Die Guerilla hat keine anderen Mittel als mittelschwere Waffen. Mit diesen leistet sie Widerstand gegen die Technologie des türkischen Staates und fügt den Invasionstruppen Verluste zu. Sie lässt es nicht zu, dass der Feind noch weitere Gebiete in Südkurdistan besetzt. Die Guerilla führt diesen Kampf also nicht nur für sich selbst, sondern auch für Südkurdistan, den Mittleren Osten und die Menschheit. Die Angriffe sind gewaltig, aber der Widerstand dagegen ist es ebenfalls.
„Internationale Mächte schweigen, weil die NATO hinter dem türkischen Staat steht“
In vielen Kriegen auf der ganzen Welt gab es Bombardierungen, zum Beispiel in Vietnam. Heute können wir sagen, dass die Bombardierung Kurdistans durch den türkischen Staat, insbesondere in den Regionen Zap, Xakurke, Avaşîn und Heftanîn, zehnmal heftiger ist als die Angriffe auf Vietnam. Alle Arten von verbotenen Waffen werden verwendet. Berge, Weinberge und Gärten werden verbrannt, Tiere getötet. Der Feind will nichts von Kurdistan übrig lassen, weil er Kurdistan und den Kurden feindlich gesinnt ist. Weil die PKK ihn behindert, will er sich am kurdischen Volk für die PKK-Guerilla rächen. Denn diese hat die Errungenschaften des kurdischen Volkes erkämpft und geschützt. Niemand bringt einen Ton gegen diese Aggression des türkischen Staates hervor. Warum wird dazu geschwiegen? Weil die NATO hinter dem türkischen Staat steht. Die NATO hat alle gewarnt, damit niemand seine Stimme erhebt.
„Wer die Demokratie und Menschenrechte verteidigt, muss an der Seite der Guerilla stehen“
Sie haben von der Politik der PDK gesprochen. Es gab ja viele Initiativen und Aufrufe an die PDK, ihr Verhalten zu ändern. Ist eine Verhaltensänderung festzustellen?
Es gibt Maßstäbe des Patriotismus. Was erfordert der Patriotismus von uns? Er fordert, dass wir uns gegen Massaker und Invasion stellen. Er fordert, das Volk und das Land zu lieben und für seine Werte einzutreten. Patriotismus erfordert, sich für die Schönheit der Natur Kurdistans und der Region einzusetzen. Ohne das zu tun, kann von Patriotismus keine Rede sein. Heute sehen wir, dass der faschistische türkische Staat alles, was es an Werten in den vier Teilen Kurdistans gibt, eliminieren will. Er tut das nicht im Geheimen, er tut es sehr offen. Angesichts dessen nehmen Rêber Apo, das kurdische Volk und die Guerillaorganisationen HPG und YJA Star alles in Kauf und leisten Widerstand. Sie schreiben in all dem Leid und den Problemen Geschichte. Die Kämpferinnen und Kämpfer der Guerilla haben nur ein Leben, aber sie haben keine Angst, es zu geben. Sie geben ihr Leben und leisten einen Tribut für ihr Volk und ihr Land. Wir wünschen uns, dass diejenigen, die sich Sozialisten nennen und die Demokratie und Menschenrechte verteidigen, an der Seite der Guerilla gegen den einmarschierenden türkischen Staat stehen.
„PDK-Kräfte haben nichts mit Peschmerga zu tun“
Wir haben erwartet, dass sie mit uns gegen den faschistischen türkischen Staat kämpfen. Das war unser Wunsch und unsere Hoffnung. Leider haben wir besonders in Behdînan gesehen, dass die PDK-Führung sich nicht auf unsere Seite gegen die türkische Besatzung stellt. Warum hat sie ihre Belagerung nicht eingestellt? Dafür kann es viele Gründe geben. Das wissen wir. Ich möchte nicht zu lange darauf eingehen. Wenn sie schon nicht an unserer Seite gegen die türkische Besatzung steht, sollte sie zumindest die Invasion der Türkei nicht rechtfertigen. Das hätte sie tun können und es ist von allen erwartet worden. Aber was haben wir in der Praxis sehen müssen? Es sind PDK-Einheiten unter verschiedenen Namen aufgestellt worden, die nichts mit den Peschmerga zu tun haben.
„PDK dient der Invasion“
Bei ihnen handelt es sich um Söldner, die die Interessen der PDK vertreten. Diese Kräfte versuchen, die Guerilla einzukreisen. Sie rücken immer weiter vor und wollen eine Vielzahl von Problemen für die Guerilla schaffen. Das ist es, was sie tun. Sie versuchen, die Verbindung zwischen den Gebieten abzuschneiden und den Bewegungsradius der Guerilla einzuschränken. Sie sollen die Guerilla davon abzuhalten, sich mit Ausrüstung und anderem notwendigen Bedarf zu versorgen. Damit dienen sie der Invasion. Unsere Forderung war, dass wenn sie uns nicht zur Seite stehen, sie zumindest kein Hindernis darstellen. Doch genau das ist es, was sie versuchen, um die Guerilla unter Druck zu setzen.
„Wichtige zivilgesellschaftliche Initiativen“
Das hat Freundinnen und Freunde der Kurden, kurdische Kunstschaffende und Institutionen und weitere Kreise dazu veranlasst, der PDK gegenüber skeptisch zu werden. Sie haben erklärt, dass sie mit dieser Politik nicht einverstanden sind. Sie stellten sich dem entgegen und protestierten mit Aktionen. So wurde unter dem Namen „Defend Kurdistan“ eine wichtige Arbeit geleistet, die dem kurdischen Volk einen großen Dienst erwiesen hat. Ich möchte bei dieser Gelegenheit all jenen, die dazu beigetragen haben, meine Grüße und meinen Respekt aussprechen.
„Deutschland und die PDK stellen sich gegen die Friedensinitiative“
Mit der Initiative „Defend Kurdistan“ ist Einheit des kurdischen Volkes verteidigt und deutlich gezeigt worden, dass Konflikte unter den Kurden vermieden werden müssen. Sowohl die PDK als auch Deutschland haben sich jedoch gegen diejenigen gestellt, die diese Arbeit geleistet haben. Den Teilnehmenden wurde nicht erlaubt, ihre Arbeit zu machen. Eigentlich hätte die PDK froh über diese Initiative sein müssen. Wenn „Defend Kurdistan“ sagt, gegen eine Besatzung und die Invasion in Kurdistan zu sein, sollte die PDK doch froh darüber sein, dass diese Arbeit geleistet wird. Aber wir haben gesehen, dass sie genau das Gegenteil tut. Warum Deutschland so agiert, ist nachvollziehbar. Die Initiative stellt ein Hindernis für die bundesdeutschen Interessen und Beziehungen mit der Türkei dar. Die Türkei und Deutschland verfolgen eine gemeinsame antikurdische Politik. Aber warum hat die PDK diese Menschen aufgehalten?
„Kunstschaffende können weitere Schritte unternehmen“
Niemand hat das verstanden. Was die PDK getan hat, war ihr selbst nicht dienlich, im Gegenteil es hat ihr geschadet. Für uns war diese Situation sehr bedauerlich, denn es handelt sich um Menschen, die den Kurden freundlich gesonnen sind. Sie sind solidarisch mit dem kurdischen Volk und deshalb nach Kurdistan gekommen. Sie haben versucht, zu einer Lösung des Konflikts zwischen den Kurden beizutragen. Meiner Meinung nach ist das von großem Wert. Warum also stellte sich die PDK dem in den Weg? Niemand versteht es. Außerdem sind Künstlerinnen und Künstler für Gespräche nach Südkurdistan gekommen und haben Erklärungen abgegeben. Ich danke auch ihnen. Sie können weitere und stärkere Schritte unternehmen, weil sie das Gewissen des kurdischen Volkes repräsentieren. Der Kampf, den wir führen, betrifft auch sie. Menschen aus dem Ausland können sagen, dass sie keinen innerkurdischen Krieg wollen und stattdessen für eine Einheit eintreten. Das ist sehr viel wert. Für die kurdischen Kreise reicht es jedoch nicht aus, sich auf Statements zu beschränken. Es ist keine ausreichende Forderung, wenn man sagt, man verteidige die kurdische Einheit und stelle sich gegen den Krieg. Das bedeutet nicht viel. Wenn man sagt, dass man für Einheit ist und keinen Krieg will, müssen stärkere Schritte folgen. Denn trotz all dieser Aufrufe und Erklärungen stellen wir fest, dass es keine Veränderung gibt.
„Deutschland stützt die Türkei auch auf internationaler Ebene“
Am 11. Juli wurde in Deutschland der Kongress des kurdischen Dachverbands KCDK-E verboten. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen gegen die legale politische Arbeit des kurdischen Volkes in Deutschland?
Was Deutschland tut, geschieht auf Wunsch des türkischen Staates. Deutschland hat bereits zuvor die Wünsche des türkischen Staates erfüllt, denn der deutsche Staat hat starke Interessen an der Türkei. Entsprechend dieser Interessen steht Deutschland hinter der Türkei und erfüllt ihre spezifischen Forderungen. Die Türkei hat mit Deutschland stärkere Handelsbeziehungen als jedes andere Land. Deutschland verkauft eine beträchtliche Menge an Waffen an die Türkei. Das ist allgemein bekannt. Deutschland verteidigt die Türkei auch auf der Ebene der Europäischen Union und der NATO. Auf der anderen Seite handelt es sich um zwei Länder, die sich in ideologischen Fragen nahe stehen. Seinerzeit hat bereits Hitler diese Tatsache zum Ausdruck gebracht. Wer sein Buch gelesen hat, weiß das. Es gibt viele Dinge in der Geschichte, in denen Deutschland und die Türkei gemeinsam gehandelt haben.