Außenminister Maas auf Mittelost-Reise

Über die außenpolitischen Ambitionen Deutschlands im Mittleren Osten. Eine Analyse von Ali Çiçek, Mitarbeiter von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit.

Mit der gegenwärtigen Reise des deutschen Außenminister Heiko Maas in den Mittleren Osten sind Deutschlands Interessen im Nahen und Mittleren Osten einmal mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. So nimmt die Nah- und Mittelost-Politik seit einigen Jahren eine recht konkrete Rolle in der deutschen Außenpolitik ein. Eine energische weltpolitische „Machtentfaltung" Deutschlands und der EU [1] forderte der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel beim „Forum Außenpolitik“ der Hamburger Körber Stiftung und des Auswärtigen Amts vor anderthalb Jahren in Berlin. Es vollziehe sich eine weitreichende „Veränderung der globalen Ordnung“, die durch den partiellen „Rückzug“ der Vereinigten Staaten unter Trump und durch Vorstöße Russlands und Chinas gekennzeichnet sei.

Bei einem Blick in die Gesamtstrategie Deutschlands passen die Themen, die Maas während seiner gegenwärtigen Mittelost-Reise begleiten, sei es die „Rettungsaktion“ für das Atomabkommen mit dem Iran oder die Verlängerung des auslaufenden Anti-IS-Mandats der Bundeswehr ins Bild. »Neue Macht – Neue Verantwortung« – so hieß ein Strategiepapier, das die vom Kanzleramt finanzierte Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) im Oktober 2013 gemeinsam mit dem German Marshall Fund of the United States veröffentlichte. In ihm sind zentrale Elemente einer außenpolitischen Konzeption niedergelegt, die man im Rahmen der Stationen der Reise (Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Iran) des Außenministers in der Politik der Bundesregierung wiedererkennen kann. In dem Papier heißt es, die »deutsche Sicherheitspolitik« müsse sich »in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien konzentrieren« – dem sogenannten »Krisengürtel« rings um die Europäische Union. Ziel des intensivierten Engagements ist hierbei die Entlastung der US-Politik. Während sich Washington mehr auf seine Rivalität mit China (und Russland) fokussiert, was die Außenministerin Hillary Clinton im Jahr 2011 als das „Pazifische Jahrhundert“ ankündigte und vom US-Präsidenten Barack Obama mit der Formel „Pivot to Asia“ (Schwenk nach Asien) ausgebaut wurde, übernimmt Deutschland mit der Europäischen Union (EU) stärker die Kontrolle über die an Europa grenzenden Regionen des Nahen und Mittleren Ostens.

Der (gescheiterte) Versuch in Syrien Fuß zu fassen

In Berlin betrieb die Stiftung Wissenschaft und Politik zusammen mit dem United States Institute for Peace (USIP) im ersten Halbjahr 2012 ein Projekt, das circa 40 syrische Exil-Oppositionelle versammelte und unter dem Titel „The Day After“ Pläne für den Umbau Syriens nach dem erhofften Sturz der Regierung von Bashar al Assad entwickelte. Darüber hinaus war die Bundesrepublik beim Thema Syrien über den BND geheimdienstlich stark präsent. Im Rahmen des syrischen Wiederaufbaus setzt die Bundesregierung darauf, dass die 221 Stipendiaten des größten je initiierten Auslandsprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) nach Syrien zurückkehren, die in den vergangenen Jahren im Rahmen eines staatsfinanzierten Programms in Deutschland studierten. Als „Brückenbauer“ zwischen beiden Ländern soll diese künftige syrische Elite deutschen Einfluss in Syrien sichern. Der Durchbruch des Islamischen Staats (IS) im Jahr 2014, der die US-Streitkräfte wieder stärker im Mittleren Osten band, als auch die russische Intervention an der Seite der syrischen Regierung, die einen Sturz von Assad verhinderte, durchkreuzten vorläufig die die Pläne Berlins, in Syrien künftig eine führende Rolle zu spielen und von dort aus die eigene Stellung im Nahen- und Mittleren Osten zu konsolidieren. Zuletzt hat die Bundesregierung den Syrien-Gipfel in Istanbul im Oktober 2018 genutzt, um sich mit ihrer Nah- und Mittelost-Politik gegen die Vereinigten Staaten in Stellung zu bringen.

Transatlantischer Streit um Iran-Politik

Die Reise von Maas bewegt sich auch im Schatten des Drängens deutscher Außenpolitiker und Regierungsberater auf neue Bemühungen Berlins und der EU um die Bewahrung des Atomabkommens mit dem Iran. Dabei steht unter anderem die Fähigkeit zur eigenständigen EU-Weltmachtpolitik auf dem Spiel. Wenn Brüssel sein „Streben nach einer strategischen Autonomie“ ernst meine, müsse es die dazu notwendigen „Instrumente“ schaffen, verlangt die Stiftung Wissenschaft und Politik. Dazu biete sich der Konflikt um das Nuklearabkommen mit Teheran an. Bereits Anfang Mai forderte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion den Außenminister Heiko Maas (SPD) auf, nach Teheran zu reisen, und erklärte: „Deutschland muss mit lauterer Stimme sprechen.“

Der Streit mit Washington um das Atomabkommen kann als erste Probe aufs Exempel für die mehrfach wiederholten deutschen Ankündigungen, auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten Weltpolitik treiben zu wollen, verstanden werden. Dies erklärt auch die Intensität, mit der die Bundesregierung sich um die Rettung des Vertrags bemüht. Denn das Atomabkommen, das im Jahr 2015 geschlossen wurde, lag weitgehend im deutschen Interesse. Es ermöglichte mit Iran ins Geschäft zu kommen, und dies nicht nur politisch, sondern vor allem auch ökonomisch. Möchte man Fuß fassen auf dem größten und auf lange Sicht wohl auch lukrativsten Markt des Mittleren Ostens, müssen daher die Sanktionen vom Tisch. Schon im Juli 2015 brach der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit einer Wirtschaftsdelegation nach Teheran auf – von Exporten in bald zweistelliger Milliardenhöhe war die Rede. Zugleich war Berlin um den nun notwendigen politischen Ausgleich zwischen Iran und Saudi-Arabien bemüht, und dies – man wollte ja den eigenen Einfluss in Mittelost ausbauen – recht intensiv: Im Herbst besuchte Außenminister Frank-Walter Steinmeier die iranische Hauptstadt, wo er an einem Treffen der »Core Group« der Münchner Sicherheitskonferenz teilnahm – solche Treffen finden immer wieder im Ausland statt, freilich nur in eigens ausgewählten Staaten –, um von dort in einem ungewöhnlichen, aber hochsymbolischen Akt direkt weiter nach Riad zu reisen. Berlin machte sich also an die Arbeit, nur: Verkompliziert wurde dies durch die Folgen des gescheiterten Versuchs, Baschar al-Assad zu stürzen. Denn in Syrien hatte der Iran durch seine Unterstützung für die bedrängte Regierung stark an Einfluss gewonnen und mit Beginn der russischen Intervention sank die Wahrscheinlichkeit, Assads Sturz zu vollenden und damit zugleich auch den Iran aus Syrien zu verdrängen.

Die Zuspitzung des Konflikts um den Iran bringt die Bemühungen der Bundesregierung um eine eigenständige, auch gegen US-Interessen durchgesetzte Weltmachtpolitik ins Straucheln. Berlin und Brüssel kündigten nach der Zuspitzung des US-Sanktionskriegs gegen Iran neue Bemühungen zur Rettung des Atomabkommens mit Teheran an. Der Sanktionskrieg zerstört das gerade neu aufkeimende Milliardengeschäft deutscher Unternehmen, die sich umgehend aus dem Iran zurückzuziehen begannen, um ihre Profite in den USA nicht zu gefährden – und es steigerte die Kriegsgefahr im Mittleren Osten, während Deutschland sich dort auf dem Wege über wirtschaftliche Kooperation eine stärkere Kontrolle sichern wollte. Berlin, ohnehin in einem erbitterten Machtkampf mit Washington steckend, beschloss, am Atomabkommen mit Teheran demonstrativ festzuhalten und zur Umgehung der Sanktionen ein Finanzinstrument zu schaffen, mit dem es möglich sein sollte, den bilateralen Handel trotz der US-Sanktionen aufrechtzuerhalten. Das »Instrument in Support of Trade Exchanges« (INSTEX) wurde Anfang 2019 tatsächlich etabliert und gilt als Beispiel für den Versuch der Bundesrepublik und der EU, eine eigenständige Weltpolitik auch gegen US-Interessen zu betreiben.

Der Deutsche Anti-IS-Einsatz und die deutschen Tornados

Im Kontext der oben geschilderten außenpolitischen Gesamtstrategie verwundert einen auch nicht die Meldung über den gestrigen Besuch von Maas im Irak, wo dieser dem Land seine Unterstützung versicherte und nun auch eine Verlängerung des auslaufenden Anti-IS-Mandats der Bundeswehr nicht mehr ausschließt.[2] Seit dem Besuch von US-Außenminister Michael Pompeo in Berlin vergangene Woche wird über einen Einsatz der Bundeswehr in Nordsyrien diskutiert und berichtet. In geheimen Gesprächen hat die Bundesregierung den USA nach Spiegel-Informationen in den letzten Monaten bereits signalisiert, dass sie bereit wäre, sich an der Absicherung einer Schutzzone in Rojava/Nordsyrien militärisch zu beteiligen. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass Deutschland seit sieben Jahren am Syrienkrieg beteiligt ist. Es wurden sechs Bundeswehrtornados für Aufklärungsflüge im Rahmen der Anti-IS-Koalition eingesetzt. 2017 im Rahmen der Krise mit dem Erdoğan-Regime wurden diese aus der Türkei nach Jordanien verlegt. Auf Beschluss des Bundestags im November 2016 kreuzen deutsche AWACS-Flugzeuge 24 Stunden täglich über Syrien und machen Bodenaufnahmen und sammeln Daten für die NATO.[3] Da der IS größtenteils militärisch geschlagen ist, war das Auslaufen des Bundeswehrmandates am 31. Oktober 2019 gedacht. Seit dem Besuch von Pompei in Berlin wird nun jedoch laut über eine Verlängerung bzw. Erweiterung des Mandats nachgedacht. Auf diese Weise soll die Region vor einer Invasion des NATO-Partners Türkei als auch des Assad-Regimes geschützt werden. Das sind die offiziellen Informationen.

Die deutschen Aufklärungstornados sind die letzten vier Jahre Teil der NATO-Aufklärungsflugzeuge AWACS (Airborne Warning and Control System). Da die Türkei ebenfalls NATO-Mitglied ist, hat sie Zugriffsrecht auf die von der Aufklärung bereitgestellten Daten. Auch wenn die deutsche Bundesregierung dies verleugnet, steht immer noch die Frage im Raum, ob die Türkei bei ihren Angriffen auf Rojava von diesen Geheimdienstinformationen profitiert. Immer wieder wurden Vorwürfe laut, dass das AKP-Regime diese Daten an den IS weitergegeben habe.

Wenn man dies vor Augen führt, dann stellt sich die Frage, wie glaubwürdig es ist, dass Deutschland, als der NATO-Staat mit den engsten Verbindungen zur Türkei, zur Prävention eines möglichen türkischen Angriffs auf die Kurden in Nordsyrien mit seinen Überwachungs- und Tankflugzeugen über Nordsyrien fliegt. Glaubwürdiger ist eher eine Weitergabe der Informationen über die Aktivitäten in Nordsyrien an die Türkei.

Was ist dann das eigentliche Ziel? Die deutschen „Tornado“-Jets bestehen aus den Modellen IDS (Interdiction Strike) und ECR (Electronic Combat Reconnaissance). Flugzeuge vom Typ ECR sind vorgesehen zur elektronischen Aufklärung und Bekämpfung der gegnerischen Luftabwehr. Wessen Luftabwehr stellt für die westlichen Staaten in Syrien und Umgebung die größte Problematik dar? Könnte nicht der Iran das eigentliche Ziel sein, wo jedem klar ist, dass es bei der Debatte um eine „Pufferzone“ nicht um den Schutz der Kurden vor der Türkei oder dem syrischen Regime geht?


1 https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-des-bundesministers-des-auswaertigen-sigmar-gabriel--797044

2 https://www.tagesschau.de/ausland/maas-irak-105.html

3 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/kw45-de-einsatz-is-477846