Abschlusserklärung der ersten Konferenz kurdischer Parlamentarierinnen

Auf der ersten Konferenz der kurdischen Parlamentarierinnen haben die Teilnehmerinnen eine gemeinsame Abschlusserklärung verabschiedet. In ihr wird der historische Beschluss festgehalten, Einheits- und Organisationsnetzwerke zu bilden.

Jin, Jiyan, Azadî!

Die erste Konferenz kurdischer Parlamentarierinnen, die am 28. und 29. Mai im Kongresszentrum Çand Amed in Amed (tr. Diyarbakır) von der Bewegung Freier Frauen (TJA) organisiert wurde, ist heute Abend mit der öffentlichen Verlesung der Abschlusserklärung geschlossen worden. Die Konferenz endete mit der Verkündung eines historischen Beschlusses: der Bildung von Einheits- und Organisationsnetzwerken auf mehreren Ebenen.

Nachdem sich am ersten Tag in verschiedenen Panels über die unterschiedlichen sowie verbindenden Erfahrungen der Frauen ebenso ausgetauscht wurde, wie über die Bedeutung und Ausformung einer kurdischen Einheit, war der heutige Tag noch interaktiver gestaltet. In vier verschiedenen Workshops wurden konkrete Probleme, Vorschläge und Lösungen diskutiert.

An der Konferenz nahmen Frauen aus alles vier Himmelsrichtungen Kurdistans sowie aus der Diaspora teil. Aufgrund staatlicher Repressionen, die die Bewegungsfreiheit einschränken, gab es für die Teilnehmerinnen auch die Möglichkeit, der Konferenz online beizuwohnen. Bereits zu Beginn wurde außerdem darauf verwiesen, dass aufgrund der staatlichen Unterdrückung viele Parlamentarierinnen inhaftiert sind und daher nicht physisch, wohl aber im Geiste an der Konferenz teilnehmen würden.

Die Abschlusserklärung

Nach der Workshop-Phase verlas die DEM-Abgeordnete Semra Çağlar Gökalp die gemeinsame Abschlusserklärung. Zu Beginn wird auf die lange Unterdrückungsgeschichte gegen das kurdische Volk eingegangen und darin vor allem betont, dass dieser Krieg „als Völkermord an den kurdischen Frauen geführt“ wird. Weiter heißt es in dem Abschlussdokument: „Als Frauen, die nie einen Schritt vom Kampf um unsere Sprache, Kultur und Identität zurückgewichen sind, haben wir dem gesamten Nahen Osten und der Welt unseren Widerstand als Weg zum Aufbau eines neuen Lebens gezeigt.

Die kurdische Fraueneinheit

Der Kampf der Frauen aus Bakur (Nordkurdistan) ist zu einem Modell für ein neues Leben in Rojava (Westkurdistan) geworden. Während der Aufstand der Frauen gegen die Massaker in Başûr (Südkurdistan) wächst, ist die Frauenorganisation in Şengal zu einer Antwort auf die Frauenmorde geworden. Durch Jina Amini hat der Slogan der kurdischen Frauen „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) von Rojhilat (Ostkurdistan) aus Frauen in aller Welt erreicht.

Anders als im vergangenen Jahrhundert erweitern die kurdischen Frauen heute die Schritte und Wege zum Aufbau ihrer Freiheit mit Modellen der Frauenverteidigung. Von Mina Qazi bis Leyla Qasim, von Sakine Cansız bis Hevrîn Xelef... Durch sie zeigt die Geschichte der Rebellion und der Freiheit der Frauen in vier Teilen (Kurdistans) der ganzen Welt, dass wir beginnen, das 21. Jahrhundert zu einem Renaissance-Jahrhundert für Frauen zu machen.“

Bedeutung der Konferenz

Im Folgenden wird die historische Bedeutung dieser ersten Konferenz kurdischer Parlamentarierinnen vor dem Hintergrund der aktuellen Veränderungsprozesse in Kurdistan und dem gesamten Nahen Osten hervorgestellt. „Die Erinnerung und die Erfahrungen der kurdischen Frauen, die getötet, inhaftiert und ins Exil getrieben wurden, sind die Geschichte des Kampfes der kurdischen Frauen gegen Rassismus, religiösen Fundamentalismus und Sexismus in dieser Region. Diese Konferenz war auch eine Demonstration unserer Entschlossenheit und Einigkeit, unsere gemeinsame Zukunft zu gestalten.“

Auf der Konferenz diskutierten die kurdischen Frauen über Möglichkeiten, einen Wandel in der demokratischen Politik herbeizuführen und die Dominanz der Männer darin zu verändern. Bei den Diskussionen bildeten vor allem die autonome Zusammenkunft sowie die geteilten Erfahrungen Brücken zwischen den Teilnehmerinnen.

Solidarität unter den Parlamentarierinnen für eine erfolgreiche Politik

Die Rolle der Frauen in den verschiedenen Parlamenten ist angesichts patriarchal geprägter Politik und Lebensverhältnisse von entscheidender Bedeutung. Die Abschlusserklärung legt dies eindrücklich dar: „Der Kampf, den die Frauen im Parlament gegen die Gewalt des männlichen Staates und die Politik des Feminizids führen, spielt eine führende Rolle bei der Verteidigung des Lebens der Frauen. Es ist wichtig, dass die kurdischen Frauen geschlossen gegen sexistische und diskriminierende Gesetze vorgehen und sich in den parlamentarischen Gremien, in denen sie vertreten sind, füreinander einsetzen.

Wir werden uns gegenseitig verteidigen und aneinander erinnern angesichts von Angriffen wie den Gesetzen zur Frühehe, der Polygamie, der sexuellen Gewalt, dem politischen Völkermord an Frauen, der gewaltsamen Entführung von Ezidinnen und der Genitalverstümmelung von Frauen. Wir werden uns organisieren, um unsere Errungenschaften zu verteidigen und auszubauen, darunter die Istanbul-Konvention, CEDAW, die Dokumente der Frauenrevolution von Rojava, die UN-Resolution 1325, das Prinzip des Ko-Vorsitzes und die gleichberechtigte Vertretung.“

Wirkung der Einheit von Frauen

Im Weiteren wird auch die Bedeutung der kurdischen Frauen und im Spezifischen der kurdischen Parlamentarierinnen bezüglich der Umsetzung des von Abdullah Öcalan am 27. Februar vorgebrachten „Aufrufs für Frieden und eine demokratischer Gesellschaft“ ausgeführt. Herrscht zwischen den kurdischen Frauen eine Einheit in „Wort, Tat und Kampf“, so werde sich dies nicht nur auf das gesamte kurdische Volk auswirken, sondern auch die „Lebensfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft“ in den vier Teilen Kurdistans garantieren.

Ebenfalls bringen die Frauen in ihrer gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck, dass ihr Kampf intersektional sei und verschiedene Klassen-, Identitäts-, Glaubens- und ökologische Kämpfe vereine. Aus diesem Grund spiele die Vertretung von Frauen in der Politik auch für die Verständigung und den Frieden zwischen all diesen Gruppen eine tragende Rolle.

Einheits- und Organisationsnetzwerke auf mehreren Ebenen

Die Konferenzteilnehmerinnen fassen abschließend einen weitreichenden Beschluss und zeigen sich überzeugt: „[Wir können] die Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen sichern, indem wir unsere Kräfte im Kampf gegen alle Formen des Krieges vereinen, die vom globalen kapitalistischen System und von männlich dominierten Regimen geführt werden, die versuchen, reaktionäre, sexistische und gewalttätige Praktiken zu legitimieren.

So wie die männliche Dominanz Frauen umfassend und einheitlich angreift, können wir Frauen dieses System durch einen Frauenkampf und eine Frauenorganisation bezwingen, die Zersplitterung und Spaltung überwindet. Unsere Konferenz wird ihre Arbeit fortsetzen, indem sie einen historischen Beschluss fasst, um die Einheit und die organisatorischen Netzwerke der kurdischen Parlamentarierinnen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene zu etablieren.“

Nach der Verlesung der Abschlusserklärung stimmten die Frauen gemeinsam in die Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ ein.