Öcalans Odyssee zwischen Athen und Moskau
Im siebten Teil des Dossiers „Kurzgeschichte der Revolution Kurdistans“ geht es um die Tage nach dem 9. Oktober 1998, als Abdullah Öcalan Syrien verlassen musste und über Athen nach Moskau reiste.
Im siebten Teil des Dossiers „Kurzgeschichte der Revolution Kurdistans“ geht es um die Tage nach dem 9. Oktober 1998, als Abdullah Öcalan Syrien verlassen musste und über Athen nach Moskau reiste.
In der Verteidigungsschrift, die Abdullah Öcalan 2003 in seinem Verfahren vor dem Schwurgericht in Athen vorgelegt hat, schildert er die ersten Etappen seiner Reise, nachdem er am 9. Oktober 1998 Syrien verlassen musste. Ausschlaggebend für die Entscheidung, von Damaskus nach Athen und somit nach Europa zu fliegen, waren unter anderem die Versprechungen des ehemaligen griechischen Verkehrsministers und PASOK-Abgeordneten Kostas Baduvas:
„Meine Reise nach Athen war Folge der Kontaktaufnahme unserer Vertreterin Ayfer Kaya mit dem Abgeordneten und ehemaligen PASOK-Minister Kostas Baduvas. Ich hatte zigmal gefragt, ob für die Reise alles vorbereitet sei. Als die Antwort jedes Mal positiv ausfiel, sah ich kein Hindernis für die Entscheidung. Baduvas’ Partei war an der Regierung, er selbst Abgeordneter und ehemaliger Minister. Ich befand mich im Glauben, dass er mit Sicherheit eine Erlaubnis eingeholt hatte. Nach meiner Landung auf dem Flughafen tauchten vor mir Savvas Kalenteridis und der Chef des Geheimdienstes, Stavrakakis, auf. In großer Hektik und unter Drohungen machten sie mir klar, dass ich noch am selben Tage bis fünf Uhr wieder abreisen müsste, andernfalls bekäme ich Schwierigkeiten. Das traf mich völlig unvorbereitet. Baduvas erschien nicht. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass dringend aufgeklärt werden muss, inwieweit das eine Falle war. Wenn es diese Einladung nicht gegeben hätte, wäre nichts von dem passiert, was später eintrat. Als ich die Möglichkeit nicht mehr hatte, in Damaskus zu bleiben, hätte ich in die bergigen Regionen meines Landes gehen können, auch wenn das dem Mittleren Osten Schwierigkeiten eingebracht hätte.“
Von diesem Zeitpunkt an stand Öcalan unter ständiger Überwachung und Kontrolle der NATO und der USA. Nach mehreren Stunden im Transitbereich des Athener Flughafens traf per Fax eine Einladung aus Russland ein. Stavrakakis sagte, dass er Bekannte in der russischen Botschaft habe, und kümmerte sich um das Visum. Am selben Tag wurde Öcalan mit einem vom griechischen Außenministerium organisierten Sonderflug nach Moskau gebracht.
Dort wurde er unter anderem von Wladimir Schirinowski, dem stellvertretenden Präsident der Duma, empfangen. Die erste Nacht verbrachte Öcalan in Schirinowskis Haus, von dort aus wurde er in eine Berghütte gebracht. In dieser Zeit beantragte Öcalan politisches Asyl bei dem russischen Sicherheitsverantwortlichen, der ihm zur Seite gestellt worden war. Wie bereits in Griechenland wurde jedoch auch hier das international und im russischen Gesetzbuch vorgesehene Recht auf Asyl nicht angewendet.
Die Staatsduma in Moskau © AFP
Schmutzige Verhandlungen zwischen Moskau und Ankara
Am zweiten Tag von Öcalans Aufenthalt in Russland äußerte sich der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz auf einem Flug von Antalya nach Malatya Journalisten gegenüber. Auf die Frage eines Journalisten, wo sich „Apo“ aufhalten könne, antwortete Yilmaz: „Möglich wären Russland, Armenien oder Libyen, aber ich glaube nicht, dass Russland Apo akzeptieren würde.“ Informationen über Öcalans Reiseroute und Aufenthaltsorte wurden seit dem 11. Oktober regelmäßig an Ankara weitergeleitet, aber der türkische Staat wollte die Aufmerksamkeit nicht auf Russland lenken, weil die schmutzigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen noch nicht abgeschlossen waren. Während diese Verhandlungen noch andauerten, machten türkische Staatsvertreter Öcalans Aufenthalt in Russland schließlich am 19. Oktober öffentlich. In diesen Tagen hielt sich Mehmet Ali İrtemçelik, Staatssekretär im türkischen Außenministerium, in Moskau auf und übergab einen Brief von Mesut Yilmaz an den russischen Ministerpräsidenten Jewgeni Primakow. In dem Brief ging es um wirtschaftliche Deals im Gegenzug zur Auslieferung Öcalans an die Türkei. Unterdessen stellte Öcalan bei der Duma einen Asylantrag.
Am 29. Oktober 1998 wurde in der Türkei der 75. Jahrestag der Republikgründung gefeiert. Unter den geladenen Gästen befand sich der russische Außenminister Igor Iwanow, der einen Brief von Ministerpräsident Primakow an seinen türkischen Amtskollegen mitbrachte. In dem Brief kündigte Primakow an, dass Öcalan Russland verlassen muss. Yilmaz sagte dazu: „Wir haben die erwartete Antwort von Russland bekommen.“
Am selben Tag brachte der türkischen Generalstabsvorsitzende Kıvrıkoğlu gegenüber den Medien mit folgenden Worten zum Ausdruck, worum es bei dem schmutzigen Deal mit Russland ging: „Wenn Moskau klug ist, wird es Apo nicht unterstützen. Wir haben dort Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Dollar. Während Europa aufgrund der Wirtschaftskrise aus Russland flüchtet, setzen wir unsere Arbeit fort. Wir möchten, dass diese Beziehungen sich weiterentwickeln.“
Abdullah Öcalan in Russland, Oktober 1998 © Serxwebûn/ANF
US-Erklärung: Kein Land darf Terroristen aufnehmen
In diesen Tagen des diplomatischen Hin und Her zwischen dem türkischen Staat und der Primakow-Regierung behandelte die Duma das Gesuch Abdullah Öcalans auf politisches Asyl. Die Entscheidung wurde am 4. November 1998 verkündet. Das Asylbegehren wurde fast einstimmig – 298 zu eins – angenommen, aber jetzt sollten sich weitere internationale Mächte einschalten, um Moskau unter Druck zu setzen.
So entgegnete US-Außenministeriumssprecher James Rubin bei seiner täglichen Pressekonferenz am 5. November 1998 auf die Frage, wie sich die USA zu der Asylgewährung durch die Duma verhalten: „Außenministerin Madeleine Albright hat die PKK zu Terrororganisation erklärt. Wir haben die russische Regierung dazu aufgefordert, festzustellen, ob sich Öcalan in Russland aufhält, und die notwendigen Schritte für eine Abschiebung oder Auslieferung einzuleiten.“
In Bezug auf die Einladung Öcalans durch griechische Abgeordnete sagte Rubin: „Kein Land darf einem Terroristen Asyl gewähren. Ich wiederhole: Kein einziges Land.“
Die Angelegenheit wurde immer eindeutiger. Jetzt hatte sich auch die Regierung in Washington eingeschaltet. Öcalan hatte sich bereits am 19. Oktober in einer Live-Schaltung bei MED TV zum Zeitpunkt des Beginns des internationalen Komplotts gegen ihn geäußert und erklärt: „Es gibt noch eine merkwürdige Sache, vielleicht ist das für die Amerikaner wichtig. Der 9. Oktober ist der Todestag von Che Guevara. Es ist auffällig, dass jetzt dasselbe Datum gewählt worden ist. Ich vermute, dass wir mit dieser Geschichte und dem Gedenken an diesen großen Revolutionär in vereint werden sollen.“
Öcalans Russland-Abenteuer sollte 33 Tage andauern.
Nächster Teil: 66 Tage in Rom und die Rolle Deutschlands