YPJ verurteilen Vergewaltigungsmord in Indien

„Vielleicht ist hier die Schnittstelle zwischen der Kultur der Gewalt und des Missbrauchs und einer neuen, notwendigen Kultur des gesellschaftlichen Wandels, um Frauen in allen Lebensbereichen zu schützen.“

Solidarität für Proteste und Streiks

Die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) in Nord- und Ostsyrien haben sich solidarisch mit den Protesten in Indien gezeigt. Seit dem Vergewaltigungsmord an einer jungen Ärztin am 9. August im ostindischen Kolkata (früher Kalkutta) ist das Land in Aufruhr. Hunderttausende Menschen ziehen seit Tagen mit Kerzenmärschen unter der Losung „Reclaim the Night“ durch indische Städte, um gegen die mangelnde Sicherheit für Frauen zu protestieren und höhere Strafen für Gewalttaten einzufordern. Dabei wird auch die kurdische Parole „Jin Jiyan Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) gerufen. Am Wochenende rückten schließlich mehr als eine Million Ärztinnen und Ärzte in ganz Indien in einen Generalstreik aus. Auch jetzt streiken in mehreren Regio­nen noch Beschäftigte von Krankenhäusern. Den Protestierenden geht es neben der Bestrafung der Täter auch um mehr Sicherheit in Kliniken.

Das patriarchale und kapitalistische Herrschaftssystem eskaliert seine Angriffe auf Frauen

Der Mord an der 31-jährigen Ärztin in Ausbildung ereignete sich in einem Krankenhaus. Zunächst hieß es von Seiten der Verwaltung, sie habe Suizid begangen, doch inzwischen scheinen die Indizien eindeutig. Der Abschlussbericht wurde zwar noch nicht veröffentlicht, doch die Polizei geht davon aus, dass die junge Frau Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden ist, bevor sie getötet wurde. Von diesem Dienstag an wird der Oberste Gerichtshof in Delhi sich mit der Tat beschäftigen.

Der Fall der Ärztin erinnert an die Gruppenvergewaltigung in einem Bus in Delhi im Jahr 2012, bei der eine 23-Jährige so misshandelt wurde, dass sie an ihren Verletzungen starb. „Vielleicht ist hier die Schnittstelle zwischen der extremen Kultur der Gewalt und des Missbrauchs und einer neuen, notwendigen Kultur des gesellschaftlichen Wandels, um Frauen in allen Lebensbereichen wirklich zu schützen“, betonte die Generalkommandantur der YPJ in ihrer Stellungnahme. Zwar würde auch in Indien der Kampf von Frauen um Freiheit, Gleichheit und ein Leben in Würde größer und stärker werden. „Doch parallel zu diesem Streben eskaliert das patriarchale und kapitalistische Herrschaftssystem seine Angriffe auf Frauen.“

Dieses System versuche, durch Gewalt, Vergewaltigung, Femizid und Genozid seine Souveränität zu verteidigen. „Als YPJ verurteilen wir den Vergewaltigungsmord an der jungen Ärztin und rufen alle Frauenorganisationen und -bewegungen auf, ihre Stimme gegen alle Formen von Unterdrückung, Gewalt, Missbrauch, physischem und psychischem Druck gegen Frauen zu erheben. Mörder und Vergewaltiger müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Dies sei überall auf der Welt notwendig, da die missbräuchliche Kultur des patriarchalischen Systems eine globale Epidemie mit einer uralten Vergangenheit sei. „Noch heute werden Frauen in Indien belästigt, in Iran werden Revolutionärinnen gehängt, im Irak ist die Verheiratung von Mädchen legalisiert. In Afghanistan werden den Frauen alle Menschenrechte vorenthalten. Deshalb muss der Kampf gegen dieses System global, multilateral und unbezwingbar sein.“

Sozialer Wandel kommt aus der Gesellschaft

Die gesamte Gesellschaft müsse diese Realität anerkennen und sich mit einer Stimme gegen die Angriffe erheben, so die YPJ. „Je besser eine Gesellschaft organisiert ist, desto mehr kann sie ihre Selbstverteidigungskraft entwickeln. Natürlich müssen sich Frauen mehr als alle anderen schützen. Auch das ist durch Organisation möglich. Eine organisierte Frau ist eine Frau, die sich selbst, alle Frauen und die Gesellschaft verteidigen kann. Wir Frauen müssen uns gegenseitig mehr schützen, wir müssen zusammen sein, wir müssen uns gegenseitig unterstützen. In diesem Sinne finden wir den Zorn der Frauen und Menschen in Indien sehr bewundernswert und inspirierend. Wenn sich dieser Aufstand zu einer starken Organisation entwickelt, wird er diesem unterdrückerischen Machtsystem ein Ende setzen.“

Kampf gegen den IS

„Als YPJ haben wir einen unerbittlichen Kampf gegen das patriarchalische System geführt, das in unseren Regionen in der Gestalt des IS und anderer Gruppierungen Besatzung, Völkermord, Schikanen und Plünderungen durchführte. Unter Daesh, wie das arabische Akronym für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ lautet, wurden Frauen brutal misshandelt, als Sklavinnen auf Märkten verkauft und aller ihrer Rechte beraubt. Die schwere Tragödie, die die ezidischen Frauen erlebt haben, ist im Gedächtnis der gesamten Menschheit verankert. Wir haben mit Mut, Glauben und einer starken Organisierung gegen diese Banden gekämpft, Widerstand geleistet und sie besiegt. Wir haben einen großen Kampf ausgetragen, um ezidische, christliche, kurdische und arabische Frauen vor der Brutalität des IS zu retten.

Mit „Jin Jiyan Azadî“ zur Befreiung

Diese Frauen, unsere Kämpferinnen und Kommandantinnen, werden heute von fliegenden Tötungsmaschinen des türkischen Staates ins Visier genommen. In den von der Türkei und ihren Partnern besetzten Gebieten Nord- und Ostsyriens wird von Soldaten und Söldnern ein Regime praktiziert, das sich aus Vergewaltigungen, Entführungen und Massakern an Frauen nährt. Gegen diese Brutalität führen wir einen vielschichtigen Kampf, der unsere Verteidigungskraft stärkt. Es steht außer Zweifel, dass uns die Philosophie „Jin Jiyan Azadî“, die uns Frauen nach einem langen und opferreichen Widerstand von Rêber Apo – Abdullah Öcalan – übermittelt wurde, den Weg aufzeigt, wie wir uns von einem Männerverständnis, das auf Unterdrückung und einer Vergewaltigungskultur basiert, befreien können.

Als YPJ haben wir diese Philosophie zur Grundlage unseres Frauenbefreiungskampfes genommen. Im Laufe der Zeit wuchs diese Philosophie: Sie wurde der Ruf der Revolution nach dem Tod von Jina Mahsa Amini und fand auch in anderen Aufständen von Frauen ihren Widerhall, so auch in Indien. „Jin Jiyan Azadî“ ist der Beweis dafür, dass sich die Frauenrevolution globalisiert. Jetzt ist es an der Zeit, den Weltfrauenkonföderalismus aufzubauen.

In diesem Sinne würdigen wir den wertvollen Widerstand der indischen Frauen und bringen unsere volle Solidarität mit ihnen zum Ausdruck. Wir rufen Inderinnen und alle Frauen der Welt auf, in ihrem Kampf nicht nachzulassen, ihre Organisierung auf der Basis des Paradigmas von „Jin Jiyan Azadî“ zu formen und ihre Selbstverteidigung aufzubauen.“