„Wenn wir unsere Stimme erheben, brechen wir die Isolation“

Die inhaftierte kurdische Politikerin Leyla Güven ruft in einem offenen Brief zur Unterstützung des Gefängniswiderstands auf: „Wenn wir hier drinnen und ihr draußen unsere Stimme erheben, dann brechen wir die Isolation und garantieren die Freiheit.“

Die zu 22 Jahren und drei Monaten Haft verurteilte kurdische Politikerin Leyla Güven macht in einem offenen Brief auf den seit 204 Tagen andauernden Hungerstreik gegen die Isolation in den Gefängnissen der Türkei aufmerksam. Seit dem 27. November 2020 lösen sich tausende politische Gefangene in Fünftagesschichten im Hungerstreik ab und fordern die Aufhebung der Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan und ein Ende der Rechtsverletzungen in den Gefängnissen.

Am Ende dieses Wegs steht das freie Leben“

Der offene Brief von Leyla Güven lautet: „Zunächst möchte ich euch aus dem Kerker von Xarpêt grüßen. Dieser Kerker ist der Ort, an dem die Genossin Sakine [Cansız] aus Dersim zuerst inhaftiert wurde. Dieser Kerker steht in der Region, aus der der moderne Kawa, Mazlum Doğan, kommt.

Mütter, die ihr seit fast 50 Jahren ununterbrochen Widerstand leistet, die ihr großzügig euer wertvollstes materielles und geistiges Gut für diese Sache geopfert habt, die ihr trotz allem die Straßen und Plätze nicht verlasst … Ich schicke euch meinen größten Respekt, ich küsse eure Hände. Werte Mütter, ihr habt einen hohen Tribut geleistet für das freie Morgen, nach dem wir uns sehnen und auf das wir hoffen. Aber es scheint so, als wären diese großen Opfer den Mächtigen nicht ausreichend. Als ob die Mutter Berfo, die bis zu ihrem letzten Atemzug die Knochen ihres Sohnes gesucht hat, der Aufschrei von Sakine Arat angesichts der Grausamkeiten im Gefängnis von Amed, die Mutter Halise, der die Leiche ihres Sohnes im Paket zugestellt wurden, und die herzzerreißende Klage von Emine Şenyaşar nicht ausgereicht hätten, wollen sie neue Opfer von uns. Die faschistische AKP/MHP-Regierung, die mit der ihr zur Verfügung stehenden Macht eine Lösung finden müsste, will stattdessen die kurdische Frage weiter vertiefen, indem sie das Leid der Mütter von Amed ausnutzt. Doch während sie eine Lösung zu verhindern versuchen, werden wir mehr, verwandeln unser Leiden in Kraft und werden zu den politischsten, bewusstesten und organisiertesten Menschen im Mittleren Osten. Wir heilen unsere Wunden und gehen unseren Weg weiter, weil wir wissen, dass am Ende dieses schwierigen Weges ein demokratisches, ökologisches und Leben und die Befreiung der Frauen auf uns wartet.

Wir rufen dazu auf, für den Gefängniswiderstand einzutreten“

Werte Bevölkerung, wie ihr wisst, dauert überall dort, wo Kurd:innen leben, die Kampagne „Zeit für Freiheit“ an. Das kurdische Volk und seine Freund:innen rufen ihre Forderungen über die Straßen und Plätze. Sie schreien heraus, dass es inakzeptabel ist, dass 50 Millionen Kurd:innen weiterhin ohne Status leben sollen. Sie stellen fest, dass sich Herr Öcalan seit 22 Jahren in verschärfter Isolation befindet, aber dennoch auf der Suche nach einem Ansprechpartner für eine dauerhafte Lösung der kurdischen Frage ist. Sie kritisieren, dass der Staat sich nicht aufrichtig verhält. Die Lösungslosigkeit und Vertiefung der kurdischen Frage wird nicht von Herrn Öcalan verursacht, sondern von denen, die davon profitieren. Die mit diesen Forderungen eingeleitete Kampagne wird mit größter Entschlossenheit fortgesetzt. In diesem Rahmen haben Zehntausende politische Gefangene unter dem Motto ‚Zeit für Freiheit‘ am 27. November 2020 einen unbefristeten, rotierenden Hungerstreik gestartet. Ihr wisst, dass die Gefangenen während der gesamten Geschichte unseres Kampfes immer ihre Verantwortung euch gegenüber, unserem wertvollen Volk, erfüllt haben.

Daher hat das kurdische Volk Mazlum Doğan, das große Todesfasten vom 14. Juli, die Vier, Sakine Cansiz, Zülküf, Ayten und Hunderte anderer heldenhafter junger Meschen nie vergessen. Tausende Gefangene sind Teil der todesverachtenden Widerstandskultur der Gefängnisse geworden. Ihr wisst genau, dass Gefangene keine andere Möglichkeit haben, als ihre Körper für Aktionen einzusetzen. Ihr seid es, unser Volk und unsere Familien, die unsere Stimmen draußen hören. Natürlich wissen wir, dass ihr umzingelt seid, wir kennen den Faschismus. Aber wir wissen auch, dass ihr im Laufe der Jahre viele Barrikaden, Hindernisse und die Dunkelheit überwunden habt. Es ist bisher nichts erfunden worden, das der Macht des Volkes standhalten und es besiegen kann. Denn die Völker ziehen ihre Kraft aus der Legitimität ihrer Forderungen. Deshalb werdet ihr unsere Stimme und unser Atem draußen sein. Wir glauben, dass ihr euer Bestes tun werdet, um die gerechten Forderungen unserer Söhne und Töchter auf die Agenda zu bringen. Wir haben größtes Vertrauen in euch. Wenn wir unsere Stimmen drinnen und draußen erheben, werden wir die Isolation durchbrechen und Freiheit schaffen. Diese Tage sind nahe. Wir werden dies mit hoher Moral und Entschlossenheit erreichen. Wir laden unser ganzes Volk ein, mit noch größerer Bemühung für unseren Gefängniswiderstand einzutreten.

Leyla Güven im Namen der gefangenen Frauen in Xarpêt.“