Der türkische Staat versucht offensichtlich, an der prominenten kurdischen Politikerin Leyla Güven ein Exempel zu statuieren. Ein regionales Berufungsgericht in Amed (tr. Diyarbakir) hat eine Beschwerde der 57-Jährigen gegen das Urteil über 22 Jahre und drei Monate Haft abgewiesen. Zu der drakonischen Freiheitsstrafe wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft war Güven, der vor einem Jahr das Abgeordnetenmandat entzogen wurde, kurz vor Weihnachten verurteilt worden.
Zu den Anklagepunkten gehörten unter anderem „Bildung und Führung einer Terrororganisation“, „Anstachelung der Bevölkerung zu rechtswidrigen Versammlungen“ und „die unbewaffnete Teilnahme an illegalen Demonstrationen, die sich trotz Aufforderung nicht auflösen“. Bei den letzteren Anklagepunkten geht es insbesondere um Proteste während der Efrîn-Invasion.
Neben dem Berufungsantrag hatte Güvens Rechtsbeistand auch ein Haftentlassungsersuchen eingericht. Auch diese Forderung ist abgelehnt worden. Nun ist noch eine Berufung vor dem Obersten Gerichtshof gegen die Entscheidung möglich.
Wer ist Leyla Güven?
Leyla Güven ist nicht zum ersten Mal im Gefängnis: 2009 wurde sie im Rahmen der international kritisierten „KCK-Operationen” verhaftet und kam erst nach fünf Jahren wieder frei. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war Güven Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Wêranşar (tr. Viranşehir).
Im Januar 2018 wurde sie erneut in Untersuchungshaft genommen, diesmal wegen ihrer Kritik am Angriffskrieg gegen Efrîn. Damals erlangte sie auch internationale Bekanntheit, als sie im November desselben Jahres eine insgesamt 200-tägige Hungerstreikbewegung für die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen für den seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan initiierte. Vergangenen Juni wurde sie erneut verhaftet, nur wenige Stunden nachdem das Parlament in Ankara ihr Mandat und damit auch die Immunität entzogen hatte. Als Begründung wurde das inzwischen rechtskräftige Urteil im KCK-Verfahren herangezogen.
Güven ist trotz ihrer Inhaftierung weiterhin die Ko-Vorsitzende des KCK (Demokratischer Gesellschaftskongress). Die Organisation fungiert als Dachverband politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Einrichtungen, religiöser Gemeinden sowie Frauen- und Jugendorganisationen. Der KCD versteht sich als gesellschaftlicher Gegenentwurf zu staatlichen Strukturen, der – gestützt auf Räte- und Basisdemokratie –Konzepte zur Selbstorganisierung der Bevölkerung und Alternativen der kommunalen Selbstverwaltung erarbeitet.