Im Rahmen eines von der Staatsanwaltschaft Diyarbakır geführten Ermittlungsverfahrens wurden am 14. Juni viele Mitglieder der Bewegung Freier Frauen (KJA) sowie der DTK, DBP, HDP und HDK festgenommen. 21 der Festgenommenen wurden dem Haftrichter vorgeführt und gegen die meisten von ihnen wurde Haftbefehl erlassen. Unter den Verhafteten befinden sich neben kurdischen Politiker*innen auch Aktivistinnen der Frauenbefreiungsbewegung. In ihren Akten finden sich „Beweise“, die oftmals einen tragikomischen Charakter haben. Eine der Betroffenen ist Zeynep Altınkaynak, eine Aktivistin der per Dekret verbotenen KJA. Zehra Doğan, Herausgeberin der per Dekret verbotenen Frauennachrichtenagentur JINHA, hat mit ihr ein Interview im E-Typ-Gefängnis Diyarbakır geführt.
Du bist schon früher oft festgenommen und auch verhaftet worden. Beginnen wir das Interview mit der Situation von Frauen im Gefängnis…
In der heutigen Türkei ist das Gefängnis sozusagen zur ersten Haltestelle für diejenigen geworden, die sich nach Freiheit und Demokratie suchen. In diesem Land wird bereits nach Verantwortlichen gesucht, wenn sich ein einzelnes Blatt regt. Dabei ist der Orkan nicht weit und diejenigen, die andere verhaften lassen, sind sich dessen nicht bewusst. Das Gefängnis ist sicherlich ein Ort, der der menschlichen Natur widerspricht. Abgesehen von den materiellen oder physischen Umständen kann es jedoch zu einem Zentrum kommunalen Lebens werden. Freundschaft und genossenschaftliche Beziehungen unter Frauen sind etwas Besonderes. Von uns wird erwartet, dass wir Frauen sind, die nicht sprechen, nicht sehen und nicht hinterfragen. Das Gefängnis ist für uns jedoch ganz im Gegenteil zu einem Ort geworden, an dem wir unserem Lachen, unseren Gefühlen und Gedanken freien Lauf lassen. Die Sehnsucht nach Freiheit wird größer und im Zusammenleben wird der Sinn der Frauenbefreiung deutlicher. Ich bin jetzt das dritte Mal im Gefängnis und es wird für mich immer klarer.
Für uns kurdische Frauen bedeutet die Haftzeit auch, dass wir nach unserer eigenen Geschichte suchen. Es gibt uns Kraft, wenn wir uns mit der vorpatriarchalen Zeit beschäftigen. In den vergangenen 5000 Jahren ist immer versucht worden, unsere Realität einzuschränken.
Kommen wir auf deine Akte zu sprechen. Sie ist ein weiteres Beispiel für die Absurdität der türkischen Justiz. Die KJA wird damit kriminalisiert und es wird behauptet, dass du eine sehr wichtige Position innerhalb einer hierarchischen Organisation hast, weil du wohl am Telefon nicht ständig „bitte“ und „danke“ gesagt hast. Wie beurteilst du selbst deine Akte?
Man weiß nicht, ob man darüber lachen oder weinen soll. Als ich festgenommen wurde, wusste ich bereits, dass nicht ich persönlich angeklagt werde, sondern der Frauenkampf. Wir haben entsprechend der Gesetze dieses Staates nach Gesprächen mit dem Gouverneursamt einen Verein mit einer Satzung und einem Vorstand gegründet. Dieser Verein wird jetzt als „strafbare Organisation“ behandelt. Wie viele andere Vereine und Stiftungen auch wurde die KJA nicht aufgrund eines gesonderten Ermittlungsverfahrens verboten, sondern per Dekret. In den Akten wird jedoch so getan, als sei Amerika neu entdeckt worden. Frauen sind in der Öffentlichkeit sichtbar geworden. Ihr politisches Betätigungsfeld ist größer geworden und sie haben sich Rechte erkämpft. Wir wissen, dass diese Entwicklung bestimmte Leute beunruhigt. Wir werden sie jedoch weiter beunruhigen. Die Suche von Frauen nach Freiheit und der Kampf für ihre Rechte haben nicht mit der Gründung eines Vereins begonnen und werden auch nicht mit einem Verbot enden. Die Türkei verletzt im Moment Abkommen, die sie unterzeichnet hat.
In den Akten finden sich viele weitere aufschlussreiche Details. Jedes Gespräch wird als geheimes Codewort und jede Bitte als Befehl gedeutet. Es ist bekannt, dass Kurd*innen kaum Fragezeichen benutzen. Wir drücken eine Fragestellung durch Betonung der einzelnen Wörter aus. Jetzt heißt es, ich hätte eine Position inne, die es mir erlaube, im Befehlston zu sprechen. Es ist ein unglaubliches Organisationsschema entworfen worden, in dem sich mein Name sowohl an der Spitze als auch auf der untersten Hierarchiestufe befindet. Demnach habe ich die Organisation gegründet, geleitet und war gleichzeitig Mitglied. Wenn ich der Name an der Spitze bin, wer ist dann ganz unten? Wenn ich ganz unten bin, wer ist dann die Person mit meinem Namen ganz oben? Ich nehme an, dass das Gericht diese unschuldige Frage bei der Verhandlung am 6. Dezember beantworten wird.
Ein weiterer Beweis, der in das Verfahren eingebracht werden soll, sind deine Profilbilder bei Facebook. Was möchtest du dazu sagen?
Mir wird vorgeworfen, dass ich mich so offen verhalten habe, dass mein Facebook-Profil meiner wahren Identität entsprochen habe. Hätte ich einen Spitznamen verwendet, hätten sie behauptet, es wäre ein Codename. In diesem Land soll inzwischen bestimmt werden, was wir zu sagen, wie wir uns zu verhalten, wie wir zu lachen, wie wir zu weinen und wie wir auf Fotos zu posieren haben.
Möchtest du noch etwas hinzufügen?
Meine Situation ist kein persönliches Problem. Es gibt Tausende ähnlicher Verfahren. Tausende kurdische Frauen sind zurzeit im Gefängnis oder stehen unter Anklage. Als Frauen werden wir unseren Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit unter allen Umständen fortsetzen.
Quelle: JINNEWS (gekürzt und überarbeitet)