„Töchter der Sonne“ – Lesung in Celle

Der Arbeitskreis Internationalismus Celle hat am Sonntag zu einer Buchvorstellung von „Töchter der Sonne“ eingeladen. Die Herausgeberinnen Claudia Ruhs und Sebra Xaltî lasen aus dem Werk mit den Geschichten geflüchteter ezidischer Frauen.

Der Arbeitskreis Internationalismus Celle hat am Sonntag zu einer Buchvorstellung des Werkes „Töchter der Sonne“ im Bunten Haus eingeladen. Die Herausgeberinnen Claudia Ruhs und Sebra Xaltî lasen aus dem Buch mit den Geschichten geflüchteter ezidischer Frauen und erläuterten die darin abgedruckten Gemälde des Künstlers Ravo Ossman.

Zu Beginn der Veranstaltung wurde auf die aktuellen türkischen Angriffe in Kurdistan eingegangen und auf die Kampagne „Justice for Kurds“ hingewiesen, die ein Ende der Kriminalisierung politischer Aktivitäten von Kurd:innen und Ezid:innen in Deutschland und Europa zum Ziel hat.

Zunächst berichteten Sebra Xaltî und Claudia Ruhs von ihrer Begegnung mit geflüchteten ezidischen Frauen hier in Deutschland. Schnell kamen sie zu der Idee, die Erzählungen der beeindruckenden Frauen in einem Buch zusammenzufassen. Sie wollten nicht über sie schreiben, sondern sie selbst berichten lassen und ihre Geschichten übersetzt den Leser:innen auf Deutsch zur Verfügung stellen.

Ergänzt wird das Buch mit Werken des im Şengal geborenen Künstlers Ravo Ossman, die sowohl das Leben der Ezid:innen als auch den anhaltenden Genozid durch den sogenannten IS künstlerisch verarbeiten.

Sebra Xaltî und Claudia Ruhs lasen Ausschnitte aus dem Buch, beispielhaft für vier Etappen im Leben der Frauen: Ihr Leben in der Heimat, der Überfall und die Massaker des „IS“, die Flucht nach Deutschland und ihr Leben hier.

Das Leben in der Heimat

Die fünf Frauen, die sich im Buch Xatun, Hevi, Xanê, Nergiz und Sosin nennen, erzählen über ihr weitestgehend einfaches Leben, in dem sowohl die Arbeit auf dem Feld als auch die Familie eine wichtige Rolle spielte. Sie geben insbesondere den deutschen Leser:innen Einblicke in eine Kultur, in der der Alltag nach kollektiven Bedürfnissen organisiert wird. Wenn gearbeitet wurde, ging alles in einen Topf, die Familie war das wichtigste. Statt staatlicher Altersvorsorge kümmerten sich die Jüngeren um die Ältesten, so waren alle füreinander da. Hevi sagte: „Es gab keinen Grund, den Şengal zu verlassen“.

3. August 2014: Angriff des „IS“

Der Überfall durch den sogenannten IS war ein drastischer Einschnitt im Leben der Frauen. Es ist nicht möglich diesen zu beschreiben, ohne zu benennen, dass die ezidische Bevölkerung im Şengal von den Peschmerga des Barzanî-Clans im Stich gelassen wurde, nachdem diese zuvor versicherten, die Menschen vor dem „IS“ zu schützen, und die Bevölkerung sogar teilweise entwaffneten. Das Buch schildert eindrucksvoll, wie die Menschen sich dennoch den Dschihadisten entgegenstellten, um die Flucht ins Gebirge zu ermöglichen. Doch Orte wie Koço wurden umzingelt vom „IS“, der sie zwingen wollte, zum Islam zu konvertieren. Für den „IS“ gelten die Ezid:innen aufgrund ihrer Jahrtausende alten Religion als Ungläubige. Mit dieser Abwertung aufgrund ihres friedlichen und naturverbundenen Glaubens begründet der „IS“ die besonders brutale Verfolgung, Massaker, Sklaverei und sexualisierte Gewalt gegen Ezid:innen. In Koço gab der Bürgermeister nach einigen Tagen bekannt, dass die Menschen sich nicht durch den „IS“ brechen lassen und nicht konvertieren werden.

Durch die Massaker des „IS“ im August 2014 wurden viele tausend Menschen ermordet, entführt und tausende Frauen als Sklavinnen verkauft. Jungen wurden aus der Familie entrissen und als Kindersoldaten ausgebildet. Noch immer sind weit über 1000 Frauen nicht in Freiheit.

Im Buch wird ebenso die wichtige Rolle von Kämpfer:innen der Frauenverteidigungseinheiten bzw. Volksverteidigungseinheiten (YPJ/YPG) aus der demokratischen Konföderation Nord- und Ostsyrien hervorgehoben. Sie ermöglichten die Flucht der verfolgten Ezid:innen gegen eine Übermacht an „IS“-Dschihadisten und retteten ihr Überleben.

Flucht nach Deutschland

Obwohl dieser Genozid vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattfand, gab es für die „Töchter der Sonne“, die im Buch erzählenden Frauen, keine sicheren Wege nach Deutschland. Sie verbrachten Monate oder sogar Jahre auf der Flucht, überquerten das Meer im Schlauchboot, fuhren im Laderaum von LKWs über die Balkanroute und irrten teilweise wochenlang zu Fuß durch Grenzgebiete. In Deutschland angekommen, müssen sie weiter damit rechnen, von „IS“-Mitgliedern erkannt zu werden, weshalb sie sich im Buch andere Namen geben.

Angekommen in Deutschland

Angekommen in Deutschland sind sie mit einer Realität konfrontiert, die sich stark von ihrem bisherigen Leben unterscheidet. Sie sind umgeben von einer anderen Kultur, einer anderen Sprache und vermissen das Leben und die Arbeit auf dem Land. Während sie in der Heimat fast alle Menschen um sich herum kannten, sind sie hier umgeben vom Fremden und oft fast allein gelassen. Dazu kommen die grausamen Erlebnisse und Erfahrungen in Gefangenschaft, die sie mit sich tragen müssen. Es ist schwer, unter diesen Umständen in Deutschland eine neue Heimat zu finden und die deutsche Sprache zu lernen. Doch es sind genau diese Frauen, die „Töchter der Sonne“, die Sebra Xaltî und Claudia Ruhs so beeindruckten und dazu brachten, ihre Geschichten in deutscher Sprache zugänglich zu machen.

Die etwa 30 Besucher:innen waren sichtlich bewegt von der Lesung, die durch die projizierten Gemälde von Ravo Ossman veranschaulicht wurde, und nutzten die Möglichkeit, im Anschluss gemeinsam Zeit zu verbringen.

Anfragen für Lesungen können über [email protected] gestellt werden.