Sexualisierte Gewalt gegen Kinder in Şirnex

Nach der Verhaftung eines Mannes wegen des Verdachts auf schwere sexualisierte Gewalt an vier Jungen in Şirnex fordern NGOs, Berufsverbände und Parteien eine lückenlose Aufklärung und ein Ende der Straflosigkeit bei Gewalt gegen Kinder.

Tatverdächtiger in Haft – Zivilgesellschaft fordert lückenlose Aufklärung

In der nordkurdischen Provinzhauptstadt Şirnex (tr. Şırnak) ist ein Mann wegen des Verdachts auf mehrfachen sexuellen Missbrauch an vier Jungen verhaftet worden. Die Festnahme erfolgte bereits am Mittwoch nach Anzeigen der betroffenen Familien. Der mutmaßliche Täter, Yusuf A., wurde auf Anordnung der Staatsanwaltschaft zunächst in Gewahrsam genommen und nach seiner Vernehmung durch das Ermittlungsgericht in Untersuchungshaft überführt.

Der Fall hat in der Stadt und darüber hinaus für Bestürzung gesorgt. Nach Angaben lokaler Organisationen handelt es sich um eines von mehreren bekannten Missbrauchsdelikten in Şirnex. Die Empörung über eine vermeintliche Kultur der Straflosigkeit wächst.

Zivilgesellschaftlicher Schulterschluss gegen Schweigen und Verharmlosung

In einer gemeinsamen Erklärung von 25 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Kammern forderten die Unterzeichnenden eine umfassende Aufklärung aller Fälle und harte Strafen für die Täter. „Kein Kind darf in dieser Stadt mit Angst zur Schule gehen, auf der Straße spielen oder sich in der eigenen Nachbarschaft unsicher fühlen“, heißt es in der Mitteilung.

Die sexualisierte Gewalt gegen Kinder sei nicht nur ein individuelles Verbrechen, sondern „ein Angriff auf das gesellschaftliche Gewissen“, so die Unterzeichnenden, darunter die Rechtsanwaltskammer in Şirnex, die örtliche Ärztekammer, der Menschenrechtsverein IHD und diverse andere Berufs- und Handelskammern, Gewerkschaften sowie lokale Plattformen und Vereine. Der Fall habe in der Stadt große Wut ausgelöst, insbesondere weil die jüngsten Vorfälle Teil einer besorgniserregenden Häufung seien.

Die Organisationen kündigten an, das Verfahren gegen Yusuf A. kritisch zu begleiten. „Die Täter dürfen nicht geschützt, sondern müssen mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen werden“, so der Appell. Gleichzeitig wurde betont, dass der Schutz von Kindern eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Gesellschaft und jeder einzelnen Person sei.

DBP: „Straflosigkeit ermutigt Täter“

Auch die Partei der demokratischen Regionen (DBP) reagierte mit scharfer Kritik. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte die Partei, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder Ausdruck eines tiefergehenden gesellschaftlichen Problems sei. „Die Straflosigkeit, die von staatlicher Seite geduldet oder sogar gefördert wird, ermutigt männliche Täter“, heißt es in der Erklärung. Besonders problematisch sei die gängige Praxis, Kinder lediglich als „schutzbedürftig“ darzustellen, ohne ihnen eine gesellschaftliche Stimme und Subjektrolle zuzugestehen.

Die DBP verwies außerdem auf einen früheren Fall in Şirnex, bei dem ein Lehrer trotz mutmaßlichen Missbrauchs an Dutzenden Kindern weiterhin im Dienst blieb. Solche Beispiele zeigten, wie tief das Problem reiche. „Diese Missbrauchsordnung ist Teil einer patriarchalen Struktur, die sich gezielt gegen die Werte einer demokratischen und ethisch fundierten Gesellschaft richtet.“ Man werde sich gemeinsam mit den Kindern für eine sichere und würdevolle Zukunft einsetzen, so die Partei.

Mangelhafte Strafverfolgung und fehlende Kinderschutzstrukturen

Menschenrechtsorganisationen weisen seit Jahren auf strukturelle Defizite beim Kinderschutz in der Türkei hin. Häufig werde sexualisierte Gewalt nicht ernst genommen, Ermittlungen würden verschleppt oder eingestellt, betroffene Kinder und Familien seien Stigmatisierung und Druck ausgesetzt – insbesondere in den kurdischen Provinzen und in Fällen, bei denen Tatverdächtige nicht selten Staatsbedienstete oder sogenannte Dorfschützer sind. Gefordert werden deshalb neben einer konsequenten juristischen Aufarbeitung auch umfassende präventive Maßnahmen, darunter Sensibilisierung in Schulen, unabhängige Anlaufstellen für Betroffene und die Stärkung kindgerechter Schutzstrukturen.