Peyman Viyan: Frauen führen den Kampf an

„Wir durchleben Zeiten, die beispiellose Veränderungen und Umwälzungen mit sich gebracht haben, mit Frauen als Vorreiterinnen“, sagt Peyman Viyan (PJAK) mit Blick auf den kürzlich durchgeführten Kongress der Gemeinschaft der freien Frauen Ostkurdistans.

Frauenbewegung in Ostkurdistan/Iran

Die Gemeinschaft der freien Frauen Ostkurdistans (KJAR) hat kürzlich ihren 4. Kongress abgehalten. An dem Kongress in den Bergen Kurdistans nahmen Delegierte aus verschiedenen Arbeitsbereichen teil. Zentrales Thema waren die „Jin Jiyan Azadî“-Revolution und die organisierte Selbstverteidigung von Frauen in Rojhilat (Ostkurdistan) und Iran. Peyman Viyan, die Ko-Vorsitzende der Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) ist, bewertet den Kongress als wichtiges Vernetzungstreffen vor allem für die Frauenbewegung. Gegenüber ANF fasste sie die wichtigsten Ergebnisse der Diskussionen zusammen.

„Unser Kongress fand in einer politisch sehr wichtigen Zeit statt“, sagte Viyan. „Er fiel in eine Phase, in der der Frauenbefreiungskampf sowohl in Kurdistan als auch im Nahen Osten und anderen Teilen der Welt prägende Spuren hinterlassen hat. Wir durchleben Zeiten, die beispiellose Veränderungen und Umwälzungen mit sich gebracht haben, mit Frauen als Vorreiterinnen. Sie kämpfen auf höchster Ebene; gegen die nationalstaatliche Mentalität, das männerdominierte System und Besatzung. Sie tragen den radikalsten Kampf aus und führen den Widerstand in allen Bereichen an. Diese Frage bildete den Kern unseres Kongresses.


Kritik und Selbstkritik

Wir mussten jedoch feststellen, dass wir den Erwartungen der Frauen nicht immer gerecht wurden und auf Kritik nicht den Erfordernissen entsprechend reagiert haben. Als KJAR haben wir uns selbstkritisch reflektiert und die Kritik als Anregung zu wichtigen Diskussionen angenommen. Die Gemeinschaft der freien Frauen Ostkurdistans hat ein großes Erbe des Widerstands und hunderte Gefallene wie Şîrîn Elemhûlî, Zîlan Pepûle, unseren großen Kommandantinnen Aryen Arê, Sara, Bîşeng und Şîlan Bane, die die KJAR wachsen ließen und ihr Kraft gaben. Sie haben bis zu ihrem letzten Atemzug hingebungsvoll für die Identität der freien Frauen gekämpft. Sie wurden zu einem Beispiel und einer Hoffnung für Frauen, die kämpfen. Auf unserem Kongress haben wir eine breite Diskussion darüber geführt, wann unser Handeln lückenhaft war, welche Ziele wir verfehlt haben und was wir ändern wollen, damit unsere Strategien realisiert werden und nicht wirkungslos bleiben. Wir haben unsere Ziele klarer formuliert.

Wir sind uns einig, dass in diesem historischen Prozess nur Frauen als maßgebliche Avantgarde agieren können. Unter ihrer Federführung können die Gesellschaft, das Land und die gesamte Geografie befreit werden. Frauen sind in der Lage, Lösungen für alle Probleme und Krisen zu finden. Die Befreiung aller Religionen, Weltanschauungen und Nationen hängt von der Revolution der Frauen, der Befreiung der Frauen und der Freiheit der Frauen ab. Diese Themen sind zu unserer wichtigsten Agenda geworden. KJAR ist hier führend. Als Bewegung müssen wir deshalb in politischer, sozialer und organisatorischer Hinsicht eine Vorreiterrolle spielen. Wir haben dies als Kritik aufgefasst und Selbstkritik geübt. Gleichzeitig haben wir unsere neuen Pläne und Projekte für die bevorstehende Zeit bekannt gemacht. Wir sind entschlossen, auf einem höheren Niveau zu kämpfen, um den Erwartungen der Frauen gerecht zu werden. Wir haben die Kraft dazu.“

Die KJAR ist im Sinne des von Abdullah Öcalan geprägten Paradigmas einer auf Basisdemokratie, Frauenbefreiung und Ökologie basierenden Gesellschaft, dem demokratischen Konföderalismus, organisiert. Auf dem Kongress wurde beschlossen, die bestehenden Arbeitsbereiche mit verschiedenen Komitees zu erweitern, etwa Selbstverteidigung, Bildung und gesellschaftliche Organisierung. „Durch diese Ausschüsse wollen wir gewährleisten, dass wir unserer Verantwortung gegenüber den Frauen in Rojhilat und Iran auf einem noch höheren Niveau gerecht werden. Das Bildungskomitee der KJAR beispielsweise wird sich von nun an intensiver mit dem patriarchalen Bildungssystem auseinandersetzen und die Jineolojî wird eine größere Rolle im Bereich der Frauenbefreiung spielen, damit die Frauen und die Gesellschaft Vertrauen und Willen entwickeln. Darüber hinaus haben wir ein Komitee für Kommunikation gegründet, das alle politischen Aktivitäten des iranischen Regimes im Blick hat und in die Öffentlichkeit bringt.  Eine weitere Kernaufgabe dieses Gremiums wird es sein, die Ideologie der KJAR zu verbreiten. Das Umweltkomitee wird sich schließlich mit Herzblut der Verteidigung der Natur Kurdistans widmen, die gnadenlos geplündert wird, und alles in seiner Macht Stehende tun, um die Angriffe auf unsere Umwelt zu beenden.

Neue Plattform für Frauen aller ethnischen Gruppen Irans

An unserem Kongress nahmen auch Delegierte der Hêzên Parastina Jin [Frauenverteidigungskräfte, kurz HPJ] teil. Die HPJ als Organisation der Frauenguerilla sind für die Selbstverteidigung aller Frauen verantwortlich. Sie übernehmen Aufgaben wie die Ausbildung von Frauen in Selbstverteidigung und den Aufbau einer größeren Frauenarmee. Bei der Konferenz betonten die HPJ ihren Anspruch, die Bildung und Organisation von Frauen zu gewährleisten.“

Ein weiteres Komitee widmet sich den Familien von Gefallenen. „Sie sind es, die den höchsten Preis für die Revolution der Freiheit zahlen“, erklärte Viyan. Besonders bei der „Jin Jiyan Azadî“-Revolution, die sich im Herbst 2022 am gewaltsamen Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei entzündete, hätten die Angehörigen von Gefallenen, ihre Mütter und Väter, eine prägende Rolle gespielt. „Sie lebten den Geist der Revolution auf höchster Ebene. Als KJAR haben wir beschlossen, eine Angehörigeninstitution unter dem Dach der KJAR zu gründen, um den Gefallenen eine würdevolle Erinnerung zu bereiten und die Einheit und Organisierung unter den Familien zu gewährleisten. Unser Ziel in der neuen Periode wird es sein, alle Hinterbliebenen von Gefallenen, insbesondere ihre Mütter, zu erreichen. Die Institution wird auch für die Bildung und Organisation der Familien verantwortlich sein.“

Mit der „Jin Jiyan Azadî“-Revolution sei die Einheit der belutschischen, persischen, gilakischen, aserbaidschanischen, arabischen und afghanischen Frauen gestärkt worden. Im nächsten Schritt sei es wichtig, ein Dach zu formen, unter dem das Band dieser Frauen und ihre Solidarität füreinander weiter gefestigt werden. Laut Peyman Viyan werden dafür gemeinsame Plattformen geschaffen, die im Verantwortungsbereich des Komitees für Diplomatie liegen sollen. „Wir sind entschlossen, alle Pläne und Projekte, die wir auf diesem Kongress vorgestellt haben, zu verwirklichen. Auch werden wir unseren Widerstand ausweiten. Dies ist ein Versprechen an die Gefallenen. Ihr Blut wird nicht umsonst in die Erde geflossen sein. Wir grüßen unsere Genossinnen, die in den Kerkern Widerstand leisten, alle Frauen, und wünschen ihnen Erfolg in ihren Kämpfen.“