Kongreya Star: Offener Brief an UNICEF

Der Frauendachverband Kongreya Star appelliert nach dem Tod von acht Kindern in der nordsyrischen Stadt Tel Rifat durch eine türkische Granate an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.

Der Frauendachverband Kongreya Star hat sich nach dem gewaltsamen Tod von acht Kindern in Tel Rifat in einem offenen Brief an „alle UNICEF-Vorstände und Vertreter*innen“ gewandt:

Wir, die Frauen von Kongreya Star, schreiben Ihnen über die schweren Verletzungen der Kinderrechte, die täglich in Nord- und Ostsyrien begangen werden und die mit dem Massaker an den Kindern am 2. Dezember ein neues Niveau erreicht haben. Kongreya Star ist die Koordination von Frauenverbänden und -organisationen im Rahmen der autonomen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens. Als Frauen Nord- und Ostsyriens sind wir von dem anhaltenden Konflikt, insbesondere der Invasion des türkischen Staates und der Besetzung unseres Landes, stark betroffen. Diese Invasion trifft unsere Kinder auf die schrecklichste Weise und wir trauern um ihren Verlust und ihr Leid.

Gestern, am 2. Dezember gegen 13.30 Uhr, wurden acht Kinder getötet, als Kräfte der türkischen Besatzung einen Markt in der Stadt Tel Rifat, Region Şehba, beschossen. Zwei Erwachsene wurden ebenfalls getötet, und zwölf Menschen, darunter acht weitere Kinder, wurden ins Krankenhaus eingeliefert und befinden sich in einem kritischen Zustand. Die Namen und das Alter der getöteten Kinder waren: Aref Jafar Mohammed, 6 Jahre; Mohammed Omer Heme, 7 Jahre; Imad Ahmed Kefo, 9 Jahre, Mustafa Mohammed Majeed, 10 Jahre; Hamodah Mohammed Ali, 11 Jahre; Sameer Abdul Rahman Hesso, 12 Jahre; Mohammed Abdul Rahman Hesso, 15 Jahre.

Sie spielten in einem Innenhof, kurz nachdem der Schultag vorbei war. Zwei ortsansässige Älteste, Herr Ali Mahmoud Osman, 54, und Herr Hussein Abdullah Kuleda, 74, wurden ebenfalls bei dem Angriff getötet.

Wir verurteilen diesen brutalen Angriff auf das Schärfste. Es gibt keine Rechtfertigung für den Mord an Kindern, und dieser wurde kaltblütig begangen. Die Granaten wurden auf ein Wohngebiet abgefeuert.

In einer Erklärung zum Massaker vom 2. Dezember äußerte sich der UNICEF-Regionaldirektor für den Mittleren Osten und Nordafrika, Ted Chaiban, wie folgt: „UNICEF erinnert alle Konfliktparteien in Syrien daran, dass Kinder immer geschützt werden müssen und kein Ziel sind. Diejenigen, die Kinder absichtlich töten, werden zur Verantwortung gezogen”. Wir fordern Herrn Chaiban und seine Organisation auf, formell anzuerkennen, dass der türkische Staat und die von ihm bewaffneten, trainierten und eingesetzten Kräfte die Schuldigen an diesen Verstößen sind. Es gibt bereits umfangreiche Belege dafür, wer zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Dieser Angriff ist Teil einer systematischen Besetzung und eines Völkermords, der vom türkischen Staat und den von ihm eingesetzten dschihadistischen Banden begangen wird, sowie ein weiterer Angriff einer ganzen Serie von Angriffen auf die Region Şehba. Ein Großteil der Bevölkerung in der Şehba-Region sind die schon einmal vertriebenen Menschen aus Efrîn. Seit die türkische Armee und die mit ihr verbündeten Banden im Jahr 2018 die Stadt und die Region Efrîn besetzten, wurden 300.000 Menschen vertrieben, viele von ihnen leben in Lagern. Mehrere Berichte haben festgestellt, dass die Kinder aus Efrîn ernsthafte Probleme in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Stabilität haben. Sie haben nicht die Chance das zu erleben, was UNICEF ein Recht für jedes Kind nennt: eine Kindheit. Und jetzt, als Teil der jüngsten Invasion, haben die gleichen Kräfte das Gefühl, dass sie ungestraft die gleichen Kinder massenhaft töten können.

Am 9. Oktober verlängerte der türkische Staat seine Besetzung Efrîns mit einem koordinierten Angriff über einen Großteil der Grenze zu Syrien. Dies wurde von einem Bodenangriff der türkischen Armee und verbündeter dschihadistischer Kräfte begleitet und führte zur Besetzung eines weiteren bedeutenden Gebietes des syrischen Bodens, die durch ethnische Säuberungen, Kriegsverbrechen, systembedingten Feminizid und Völkermord erreicht wurde. Kinder haben unter dieser Invasion schwer gelitten, wobei Nachrichtenberichte die Gesamtzahl der zwischen dem 9. Oktober und dem 2. Dezember getöteten Kinder mit 159 angeben. Viele weitere wurden verletzt, und weit über 100.000 Kinder gehören zu den Vertriebenen. Darüber hinaus hat die Kommission der Selbstverwaltung für Bildung in den ersten Wochen der Invasion festgestellt, dass über 75.000 Kinder aufgrund von Schulschließungen ohne Ausbildung bleiben. Die Geschichte der Kinder von Efrîn wiederholt und verschärft sich.

Auch Kinder, die in den türkisch besetzten Gebieten bleiben, leben in einem extremen und unvorstellbaren Risiko: Für jede ethnische Minderheit sind sie der Gefahr eines Massakers ausgesetzt; Mädchen sind minderjähriger Ehe oder Vergewaltigung ausgesetzt, die Schulbildung wurde eingestellt und Städte und Dörfer sind nicht sicher.

Das Leitbild von UNICEF ist es, die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes einzuhalten; „zu verlangen, dass Führungskräfte aus Regierung, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Verpflichtungen erfüllen und Maßnahmen ergreifen”, um „jedem Kind jedes Recht zu geben”. Im Moment verletzt eine der größten NATO-Armeen die Rechte von Hunderttausenden von Kindern in Nord- und Ostsyrien. Wir haben ein Dossier über die Auswirkungen der Invasion auf Frauen und Kinder erstellt, auf das wir Sie aufmerksam machen möchten. Es lässt sich auf der Kampagnen-Website www.womendefendrojava.net finden.

Kongreya Star fordert UNICEF auf, eine Haltung für die Kinder Nord- und Ostsyriens einzunehmen. Diejenigen, die Kinder ins Visier genommen haben, müssen angeprangert und zur Verantwortung gezogen werden. Es müssen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, um den Notleidenden zu helfen. Wir fordern UNICEF auch auf, die Forderungen von Kongreya Star nach einer Beendigung der türkischen Invasion zu unterstützen, da dies der einzige Weg ist, um die anhaltenden gravierenden Kinderrechtsverletzungen zu stoppen. Kongreya Star fordert:

Eine Flugverbotszone über Nordsyrien, um ein Mindestmaß an wahlloser Gewalt zu stoppen und es den Selbstverteidigungskräften zu ermöglichen, ihre Bevölkerung und ihre Kinder vor Massakern zu schützen.

Die Beendigung der Besatzung, Völkermordpraktiken und Feminizide sowie der Kinderrechtsverletzungen.

Einen sofortigen Rückzug der türkischen Besatzungsarmee und aller damit verbundenen bewaffneten Gruppen aus dem Gebiet Syriens.

Die Einrichtung einer Friedenstruppe der internationalen Gemeinschaft an der türkisch-syrischen Grenze, um eine weitere Aggression der türkischen Armee zu verhindern.

Sofortmaßnahmen zur humanitären Unterstützung der Region der autonomen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens.