Jinbûn – Kleiner Bruch mit gesellschaftlichen Tabus

Gynäkologische Erkrankungen und weibliche Sexualität sind in der kurdischen Gesellschaft immer noch Themen, die nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden. Serxwebûn Perwîn will das ändern. Ihre Instagram-Seite „Jinbûn“ ist der erste Schritt.

Gynäkologische Erkrankungen und die weibliche Sexualität sind für Viele immer noch Themen, die gar nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden – auch innerhalb der kurdischen Gesellschaft. Doch soziale Tabuisierung und die Missachtung von Frauengesundheit können Betroffene mit Behandlungsbedarf davon abhalten, fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Serxwebûn Perwîn will nicht länger hinnehmen, dass derart wichtige Themen in der kurdischen Gesellschaft so vernachlässigt werden. Auf der Instagram-Seite „Jinbûn“ (dt. Weiblichkeit) klärt sie in kurdischer Sprache über gynäkologische Erkrankungen auf und weist auch auf andere frauenspezifische Gesundheitsaspekte hin. Ihr ist es ein großes Anliegen, durch diese freiwillige Selbstverpflichtung über Frauengesundheit zu informieren und Einiges im gesellschaftlichen Umgang damit zu ändern. Woher die Idee für den Blog kam und welche Ziele Serxwebûn Perwîn außerdem verfolgt, darüber hat die in Deutschland geborene Kurdin in einem Interview gesprochen.

Wie in vielen anderen Kulturen wird auch in Kurdistan nicht offen über gynäkologische Erkrankungen, Intimität oder andere Themen rund um den Körper der Frau gesprochen. Was glauben Sie, woran das liegt?

Unwissenheit, fehlende Aufklärung und vor allem Scham dürften die Hauptgründe sein. Scham hat kulturelle, erzieherische und gesellschaftliche Ursachen und hängt gerade in Bezug auf den weiblichen Körper oft mit fehlendem Wissen oder religiös-sozial geprägten Vorstellungen von Sexualität zusammen, die mit vielfältigen Formen von Stigmatisierung verbunden sind. In der patriarchal geprägten Gesellschaft gilt der Frauenkörper als Tabuzone, als Areal der Beschämung. So sollen Frauen sich zum Beispiel „anständig benehmen“ und sich „ausreichend bedecken“, ihren Blick nach unten senken. Dass es da nicht einfach ist, dass sich Frauen und weiblich gelesene Menschen offen und schambefreit mit ihren Problemen und ihrer Sexualität auseinandersetzen können, dürfte uns allen klar sein. Wichtig ist daher die Frage, wie wir dem entgegenwirken können. Wie können wir unsere Mütter, Schwestern, Cousinen und Tanten, aber auch unsere Väter, Brüder und Partner aufklären?


Viele der in Deutschland lebenden Kurd:innen verwenden deutsche oder auch türkische Begriffe, wenn sie über gesundheitliche Probleme sprechen. Fehlt es dem Kurdischen an medizinischem Fachvokabular?

Die medizinische Fachsprache besteht aus Worten und Ausdrücken, die größtenteils von lateinischen und altgriechischen Bedeutungen abgeleitet wurden, sich jedoch an Nationalsprachen anpassen lassen, so auch an das Kurdische. Allerdings gibt es bis heute nur wenig kurdischsprachige Fachliteratur zum Thema Medizin. Das dürfte hauptsächlich an der kolonialen Realität Kurdistans liegen. Unsere von Besatzung geprägte Geschichte hat uns nie die Gelegenheit geboten, die kurdische „Medizinersprache“ zu entwickeln.

Ihre Instagram-Seite Jinbûn dürfte die erste ihrer Art sein, die auf Kurdisch über gynäkologische Erkrankungen informiert. Wie kam es zu dieser Idee?

Die Idee kam mir nicht plötzlich. Es ist eher ein Bedürfnis, das mich jahrelang gequält hat. Schon im Alter von sechs Jahren musste ich meine Mutter bei allen Arztbesuchen begleiten. Ich lernte also ziemlich früh, gesundheitliche Zusammenhänge zu übersetzen. Auch nach Abschluss meines Studiums und bei der Geburtsbegleitung begegne ich noch immer kurdischen Frauen, die aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse erhebliche Probleme haben. Als ich meinen Frust darüber mal im Bekanntenkreis zum Ausdruck brachte, kam ziemlich schnell der Gedanke auf, etwas dagegen zu unternehmen. Die Seite soll kurdischen Frauen behilflich sein bei der Auseinandersetzung mit ihren Problemen und als kleines gynäkologisches Wörterbuch in ihrer Muttersprache wirken. Ich hoffe, unsere kurdischen Ärztinnen und Ärzte anderer Disziplinen werden das Gleiche tun.

Mit Ihrer Arbeit haben Sie auch einen Einfluss auf die kurdische Sprache und Literatur.

Ja, ich denke wir füllen eine große Lücke und ich hoffe, dass sie sich auf absehbare Zeit schließen wird. Da reicht eine Instagram-Seite zwar nicht aus, es ist aber der erste Schritt in die richtige Richtung.

Die Seite ist noch recht neu. Was für Feedbacks haben Sie bisher erhalten?

Das ist durchweg positives Feedback. Es kommt sehr viel Unterstützung von außen an, was mich sehr freut. Es gibt Kolleginnen anderer Fachgebiete, die diesen Weg schon vor uns eingeschlagen haben und von ihren Erfahrungen berichten. Das ist eine große Unterstützung, die nicht abreißen sollte. Mein Appell richtet sich auch an männliche Kollegen.

Auf Instagram beschränken sich Ihre Aktivitäten hauptsächlich auf bildliche Darstellungen der Strukturen des weiblichen Körpers und Informationen zu eventuellen Erkrankungen. Haben Sie auch weitere Projekte in Planung?

Ja, momentan bereiten wir einen Kanal auf YouTube vor. Die Instagram-Seite werden wir aber nicht vernachlässigen.

Was sind Ihre Hauptziele?

Es geht darum, kurdischen Frauen – unseren Müttern, Tanten, Schwestern – eine Hilfe dabei zu bieten, sich in ihrer eigenen Muttersprache mit gynäkologischen Erkrankungen und der eigenen Sexualität auseinander zu setzen, über ihre Probleme zu sprechen oder professionelle Hilfe zu suchen. Wir wollen dieses gesellschaftliche Tabu aufbrechen, diese Thematik zu verschweigen. Es soll zur Normalität werden, dass Frauen über ihre Probleme sprechen, statt Scham- und Schuldgefühle in Bezug auf den Körper zu haben. Wir sollten keine Angst vor gesellschaftlicher Emanzipation haben und uns entwickeln und weiterbilden. Aber bitte auf Kurdisch.

Hinweis: Jinbûn ersetzt keine ärztliche Beratung. Suchen Sie daher bei Beschwerden oder Fragen unbedingt eine gynäkologische Fachpraxis auf.