Frauenproteste gegen Rückzug aus Istanbul-Konvention

In Istanbul, Izmir und Êlih haben Frauen gegen den Rückzug der Türkei aus der Istanbuler Konvention, die Gewalt gegen Frauen verhindern und bekämpfen soll, protestiert.

Auch eine Woche nach dem Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention, die Gewalt gegen Frauen verhindern und bekämpfen soll, halten die Proteste gegen den Austritt an. In Istanbul organisierte die „Kampagnengruppe Istanbul-Konvention umsetzen“ eine Kundgebung am Hafen von Kadıköy und rief zur Ausweitung des Widerstands gegen den Alleingang von Recep Tayyip Erdoğan aus. Der türkische Staatschef hatte vergangenen Samstag den Austritt aus dem im Jahr 2011 ausgearbeiteten völkerrechtlichen Vertrag per Dekret verfügt. Er setzte sich dabei über die türkische Verfassung hinweg, die dem Präsidenten nicht das Recht einräumt, einen vom Parlament ratifizierten internationalen Vertrag einfach außer Kraft zu setzen.

Wie erwartet, versuchte die Polizei die Zusammenkunft der Frauen in Istanbul zu unterbinden. An vielen Straßen, die zum Hafen führen, wurden Aktivist*innen gruppenweise abgefangen. Einigen Frauen nahmen Sicherheitskräfte die Lautsprecher ab, es kam zu heftigen Wortgefechten. Immer wieder fiel dabei lautstark der Ruf „Nicht Frauen aufhalten, sondern unsere Mörder“. Am Ende setzten sich die Frauen durch und erwirkten die Rückgabe der eingezogenen Megafone. Der Kundgebungsplatz wurde geschmückt mit Transparenten, auf denen zu lesen war: „Die Istanbul-Konvention gehört uns – Wir lassen sie uns nicht nehmen“, „Die Konvention bedeutet Leben“, „Alle Staaten sind männlich – Alle Staaten werden untergehen“, „Frauenmorde sind politisch“ und „Jin, Jiyan, Azadî“ (ku. Frauen, Leben Freiheit).

Im Namen der Kampagnengruppe hielt Irem Kayıkçı eine Ansprache und kündigte an, dass die Frauen des Landes die Barrikaden für die Istanbul-Konvention nicht verlassen werden. „Der Vertrag ist weiter in Kraft und unser Widerstand geht so lange weiter, bis jede einzelne Maßnahme in diesem Land umgesetzt wird. Wir haben schlechte Neuigkeiten für diejenigen, die glauben, dass sie die Konvention auf diese Weise aufkündigen können. Es sind schlechte Nachrichten für diejenigen, die es wagen, Entscheidungen im Namen von uns Frauen zu treffen. Wir sind im Aufstand: hier und überall. Diese Woche wurden an einem einzigen Tag sechs Frauen ermordet. Sie würden noch leben, wenn die Regierung ihre Energie in die Umsetzung des Vertrags kanalisiert hätte, statt in die Aufkündigung. Wir haben keine Geduld mehr und sagen: keine weniger! Wir fordern alle auf, unseren Kampf gemeinsam auszubauen, bis in diesem Land Geschlechtergerechtigkeit herrscht.“

Izmir

In der Küstenprovinz Izmir hat die örtliche Kampagnengruppe für die Umsetzung der Istanbul-Konvention eine Kopie des Präsidialdekrets über den Austritt aus der Istanbul-Konvention symbolisch zerrissen. Zuvor war das Transparent mit Nagellack und Lippenstift mit den Worten „Nichtig“ und „Kennen wir nicht an“ beschrieben worden. In einem von zwei Aktivist*innen verlesenen Statement hieß es, die Rechte von Frauen und LGBTIQ-Menschen (lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter und queer) stünden nicht zur Debatte. Die Regierung solle es aufgeben, erkämpftes Recht anzugreifen.

Êlih

Im nordkurdischen Êlih (tr. Batman) gaben Mitglieder der Bewegung Freier Frauen (Tevgera Jinên Azad, TJA) und des HDP-Frauenrats eine öffentliche Erklärung ab. Die TJA-Sprecherin Gülistan Sönük wies darauf hin, dass die tödliche Gewalt gegen Frauen seit dem Rückzug aus der Istanbuler Konvention landesweit angestiegen sei. „Männer werten den Austritt offenbar als Freifahrtschein für die Auslebung ihrer patriarchalen Mentalität“, sagte Sönük. „Die Konvention fiel nicht vom Himmel, sondern wurde unter großen Opfern hart erkämpft. Wir lassen es nicht zu, dass sie uns vom Ein-Mann-Regime in einer Nacht- und Nebelaktion genommen wird, sondern werden auf Angriffe gegen die Errungenschaften von Frauen reagieren. So hart der Kampf für die Konvention war, wird auch die Verteidigung dafür sein.“