Frauenkonferenz in Gedenken an Sakine Cansız in Indien

In der Stadt Bangalore in Indien hat ein dreitägiges internationales Frauenseminar stattgefunden, auf der Frauenbefreiungsperspektiven diskutiert wurden. Ein Schwerpunkt war die Frauenbefreiungsbewegung Kurdistans.

In der südindischen Stadt Bangalore versammelten sich etwa 200 Frauen aus 16 verschiedenen Ländern, um sich über Perspektiven zur Frauenbefreiung auszutauschen. Das Seminar, an der Frauen aus Basisbewegungen weltweit teilnahmen und das auf Beschluss der zweiten Weltfrauenkonferenz 2016 in Nepal stattfand, wurde der 2013 in Paris ermordeten kurdischen Revolutionärin Sakine Cansız und der 2017 von Faschisten ermordeten indischen Journalistin Gauri Lankesh gewidmet.

In einem Eingangsreferat klagte Sharmistha Choudhury als Generalsekretärin der Revolutionären Frauenorganisation Indiens (AIRWO) das „epidemische Ausmaß“ der Gewalt gegen Frauen an. Gewalt gegen Frauen dürfe nicht getrennt von den allgemeinen Bedingungen betrachtet werden. Insbesondere in Indien habe patriarchale Gewalt erschreckende Ausmaße angenommen. Sharmistha Choudhury fragte nach den Wurzeln der Gewalt und sagte: „Als Frauen in Indien führen wir die größten Protestaktionen durch, aber wir können keine Änderung erwirken. Das bedeutet, dass wir anders kämpfen müssen.“ Choudhoury forderte, den Klassenkampf und den Kampf gegen das staatliche System mit dem Frauenkampf zu verbinden und den Feminismus in alle linken Organisationen zu tragen. Es bestehe weiterhin großer Bedarf nach autonomer Frauenorganisierung.

Überwindung des patriarchalen Systems als Grundsatz des Sozialismus

Am zweiten Tag der Konferenz wurde von den Erfahrungen und ideologischen Feststellungen der kurdischen Frauenbewegung berichtet. Gemeinsam referierten Meral Çiçek als Vorsitzende des Kurdischen Frauenzentrums für Außenbeziehungen (REPAK) in Silêmanî und Dilar Dirik von der internationalen Vertretung der kurdischen Frauenbewegung. In ihrem Beitrag berichteten sie zunächst von Sakine Cansız und ihrer Bedeutung für den kurdischen Befreiungskampf. In dem Vortrag wurde die Rolle Abdullah Öcalans als Architekt der Frauenbefreiung in Kurdistan hervorgehoben und auf die Bedeutung eines radikalen Geschlechter- und Klassenkampfes hingewiesen. Das patriarchale System müsse durch einen entschlossenen Frauenfreiheitskampf aufgelöst werden, so die kurdischen Referentinnen. Sie erklärten weiter: „Die Überwindung des patriarchalen Systems muss einer der Grundsätze des Sozialismus sein.“

Meral Çiçek und Dilar Dirik berichteten von ihren Erfahrungen mit Bildungsprogrammen für Männer und stellten die Bedeutung einer autonomen Frauenorganisierung heraus. Die Frage der Frauenbefreiung dürfe nicht auf irgendeinen Zeitpunkt nach der Revolution vertagt werden: „Jede Suche nach Befreiung muss die Freiheit der Frau zur zentralen Frage machen. Die Frauenfrage ist weder zweitrangig noch ein Nebenwiderspruch. Sie ist die Mutter aller politischen Probleme.“

„Selbstständige und autonome Organisierung ist notwendige Bedingung“

Die Referentinnen berichteten von den praktischen Mechanismen, mit denen die ideologischen und theoretischen Feststellungen der Frauenbewegung Kurdistans umgesetzt werden. Sie sagten: „Ein Ende des Patriarchats ist möglich. In der Menschheitsgeschichte stellt es nur eine kurze Zeitspanne dar. Ohne eine radikale Frauenrevolution wird eine Befreiung des Lebens von allen Formen der Ausbeutung nicht möglich sein. Mit versklavten Frauen kann keine Revolution gemacht werden. Deswegen sind die Freiheit und Gleichberechtigung von Frauen die Messlatte, an der sich die Freiheit und Gleichheit innerhalb einer Gesellschaft messen lassen.“

Kleinbürgerliche Denkweise als Hindernis

Am dritten Tag des Seminars wurde ein Referat von Monika Gärtner-Engels, der Generalkoordinator von ICOR, und der DKK-Europakoordinatorin Halinka Augustin vorgetragen. Da Monika Gärtner-Engels aufgrund einer Gerichtsverhandlung, in der sie wegen einer YPG-Fahne während eines Protestes gegen die türkische Militärinvasion in Efrîn angeklagt war, nicht nach Indien reisen konnte, wurde das Referat nur von Halinka Augustin gehalten. Sie führte aus, dass Frauen die größten Erfolge innerhalb einer revolutionären Einheit erzielt hätten und ging auf den doppelten Produktionsbegriff von Marx und Engels ein. In einer sozialistischen Gesellschaft sei die Möglichkeit einer Befreiung von Frauen und Männern gegeben, das größte Hindernis sei jedoch die kleinbürgerliche Denkweise, von der auch der bürgerliche Feminismus geprägt sei.

In dem Referat wurde der Auffassung der kurdischen Befreiungsbewegung widersprochen, dass die Frauenfrage die zentrale Frage ist und Frauen als die erste Klasse in der Geschichte gelten. Ausbeutung sei erst mit der Entstehung von Privateigentum entstanden, so Halinka Augustin.

Bedarf nach undogmatischer Diskussion

Gegenüber ANF erklärte die REPAK-Vertreterin Meral Çiçek im Anschluss an das Seminar, dass für die Teilnehmerinnen der Weltfrauenkonferenz weiterhin Bedarf nach grundlegenden Diskussionen über Theorie und Begrifflichkeiten bestehe. Begriffe wie Geschlechterfrage, Klassenkampf und Revolution würden unterschiedlich aufgefasst. „Als organisierte Frauen müssen wir hinterfragen, inwieweit wir vom Dogmatismus beeinflusst sind. Wir müssen sehr offen diskutieren, aber dabei müssen wir eine Sprache und eine Diskussionskultur entwickeln, die von patriarchalen Einflüssen befreit ist“, so Meral Çiçek.