Fast 400 Feminizide in der Türkei

In der Türkei sind nach Angaben der Plattform KCDP 2024 mindestens 394 Frauen von Männern ermordet worden. In fast allen Fällen stammte der Täter aus dem engsten Bekanntenkreis. 259 weitere Frauen wurden auf verdächtige Weise tot aufgefunden.

Patriarchale Gewalt

Die Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) hat ihren Feminizid-Bericht für 2024 veröffentlicht und dabei erneut auf die alarmierende Lage hinsichtlich der Gewalt gegen Frauen in der Türkei aufmerksam gemacht. Laut dem Report wurden im vergangenen Jahr mindestens 394 Frauen von Männern ermordet, weitere 259 Frauen kamen unter verdächtigen Umständen ums Leben. Der Bericht wurde am Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz im Istanbuler Kulturzentrum Zübeyde Ana vorgestellt.

„Feminizid bleibt eines der größten Probleme“

Zu Beginn der Veranstaltung erklärte die Sprecherin der KCDP-Frauenräte, Esin Izel Uysal, dass Feminizid nach wie vor eines der dringendsten gesellschaftlichen Probleme sei. Sie betonte, dass junge Feministinnen zunehmend an Universitäten aktiv werden und sich organisieren, um das gesellschaftliche Bewusstsein über Feminizide zu schärfen: „Wir arbeiten daran, die Hoffnung auf eine Lösung lebendig zu halten. Immer mehr junge Feministinnen schließen sich zusammen und gründen Vereine. Wir sind guter Dinge, dass das Jahr 2025 bei der Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt Fortschritte bringt.“

Die Täter: Ehemänner, Intimpartner, männliche Verwandte

Im Anschluss stellte Fidan Ataselim, Generalsekretärin der KCDP, den Bericht vor und hob hervor, dass die Gewalt gegen Frauen in der Türkei im zurückliegenden Jahr erschreckend hoch gewesen sei. „71 Prozent der Frauen wurden von Männern aus ihrem familiären Umfeld ermordet, 42 Prozent aller Feminizide wurden von Ehemännern verübt. In den weiteren Fällen waren Intimpartner, Ex-Partner und andere männliche Familienangehörige die Täter. Entgegen unseren Warnungen priorisiert die Regierung weiterhin eine familienorientierte Politik, die Frauen nicht schützt, sondern Frauen über ihre Stellung innerhalb der Familie definiert. Die Mehrheit der Feminizid-Opfer wurde in den eigenen vier Wänden ermordet – an Orten, die als sicher gelten sollten.“

Pressekonferenz der KCDP © MA

Ataselim kritisierte zudem den fehlenden politischen Willen, Gewalt effektiv zu bekämpfen, und forderte strengere Maßnahmen gegen den Einsatz von Schusswaffen, die bei vielen Feminiziden zum Einsatz kamen.

Kritik an Straflosigkeit und mangelnder Aufklärung

Ein weiteres großes Problem sei die Straflosigkeit der Täter, erklärte Ataselim. Sie prangerte an, dass Männer, die häusliche Gewalt ausüben, oft nur milde Strafen erhalten und dass die Regierung patriarchale Strukturen eher festigt als aufbricht. Dabei hat die Türkei durchaus die notwendigen Gesetze zum Schutz der Frauen und der Sanktionierung von Tätern, wie etwa das Gesetz Nr. 6284. Es beinhaltet ein Annäherungsverbot für Gewalttäter und Schutzmaßnahmen für die Opfer, die von materieller Unterstützung bis zu einer neuen Identität reichen und von Frauenorganisationen in langem Kampf durchgesetzt worden sind.

Diese Bestimmungen werden von den Behörden aber nicht ausreichend angewandt. „Wir sehen immer wieder, dass Frauen von Männern getötet werden, die trotz zahlreicher Vorstrafen auf freiem Fuß waren. Demgegenüber werden wir, sobald wir auf die Straßen gehen und gegen diese Morde protestieren, festgenommen“, bemängelte Ataselim. Sie betonte zudem, dass viele Morde an Frauen vorschnell als Selbstmord oder Unfall abgetan würden, ohne ernsthaft untersucht zu werden.

Darüber hinaus herrsche eine „große Diskrepanz“ zwischen den Feminizid-Zahlen der Regierung und der KCDP, ergänzte Ataselim. Sie warf den zuständigen Stellen vor, Statistiken zu beschönigen, und wies Darstellungen zurück, wonach die Zahl der Frauenmorde in der Türkei nach dem Austritt des Landes aus der Istanbul-Konvention zurückgegangen sei. „Die Regierung soll sich endlich zum Gewaltschutz für Frauen bekennen und das tatsächliche Ausmaß der Frauenmorden offenlegen. Unsere Daten zeigen deutlich, dass patriarchale Gewalt eben nicht abnimmt.“ Für das neue „Kampfjahr“ beabsichtige die KCDP laut Ataselim daher, den Fokus noch intensiver auf die praktische Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes Nr. 6284 zu legen.

Anstieg bei Morden an Mädchen und jungen Frauen

Die Sprecherin der Föderation junger Feministinnen, Güneş Şahin, wies auf den besorgniserregenden Anstieg von Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen hin: „Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der von ihren eigenen Vätern getöteten Mädchen vervierfacht. Man versucht uns einzureden, dass Familien sichere Orte sind, aber die Realität sieht anders aus. Wir haben immer wieder davor gewarnt, dass familienzentrierte Maßnahmen die Gewalt fördern und Mädchen sowie Frauen noch stärker gefährden.“ Şahin betonte, dass das Engagement junger Feministinnen ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Gewalt sei: „Ich fühle mich als junge Feministin verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen. Die Hoffnung dieses Landes sind die jungen Frauen, die für ihre Freundinnen auf die Straßen gehen. Wir werden diesen Kampf fortsetzen, bis wir Gleichstellung und Sicherheit für alle Frauen erreicht haben.“

Foto: Frauen protestieren in Istanbul gegen die Annullierung der Istanbul-Konvention, März 2021 © Zeynep Kuray / ANF