Eindrücke aus Shehba – vertrieben ins Nirgendwo

Bericht einer Frauendelegation, die vom 6.–8. Mai 2018 die Geflüchteten aus Efrîn in Shehba besuchte.

Vom 3. bis 10. Mai besuchte eine Frauendelegation die Kantone der demokratischen Selbstverwaltung in Nordsyrien. Überall trafen sie auf „hochmotivierte Frauen, die (sie) an ihren Erfahrungen teilhaben ließen“. Drei Tage ihrer Delegationsreise verbrachten sie in Shehba (Şehba) in den selbstorganisierten Camps „Serdem", „Efrîn“ und „Berxwedan“, in denen mehr als hunderttausend aus Efrîn vertriebene Menschen leben. Dort konnten sie sich über die derzeitige Lebensrealität vor Ort informieren.

Die durch den Krieg und die Besatzung durch die Türkei Vertriebenen wollen nach Efrîn zurückkehren. Sie verabschiedeten die Delegation mit der Aufforderung: „Ihr müsst unsere Stimme sein! Wir wollen wieder zurück nach Efrîn, zurück in unsere Städte und Dörfer. Wir haben niemanden angegriffen, sondern selbst mit vielen Geflüchteten geteilt. Hier geschieht maßloses Unrecht. Unter diesem Unrecht leiden die geschwächten Kleinkinder, Babies, Menschen mit Behinderungen, Alte und schwangere Frauen am meisten. Dieses Verbrechen muss gestoppt werden.“

Im Folgenden der Reisebericht mit den Bildern der Frauendelegation:

Wir, Dr. Swaantje Illig (Kinderärztin), Silvia Hauffe (Büroleiterin der Bundestagsabgeordneten Sylvia Gabelmann, DIE LINKE) und Pastorin Daniela Nischik (Evangelischer Blindendienst, Berlin), folgten dem Aufruf der Initiative „Frauen für Afrin“ an einer Menschenrechtsdelegation zur Überprüfung der humanitären Situation in Nordsyrien teilzunehmen.

Im Rahmen der Kampagne „Women rise up for Afrin“ waren wir vor Ort Gäste des Frauendachverbandes Kongreya Star und konnten uns mit eigenen Augen ein Bild der Lage der Vertriebenen aus Afrin machen, um darüber überall berichten und informieren zu können.

Als wir am Morgen des 1. Mai unsere Reise antraten war allerdings nicht klar, ob wir tatsächlich über Erbil nach Rojava und bis nach Shehba (nördlich von Aleppo) gelangen würden. Am 3. Mai erhielten wir die Genehmigung zum Grenzübertritt von der Kurdischen Autonomie Region im Nordirak in die demokratische Konföderation Nord-Syrien und am 5. Mai erreichte uns endlich die Nachricht, dass es eine Möglichkeit zur Weiterreise nach Shehba gäbe.

Warum nach Shehba?

Seit dem 20. Januar 2018 greift die türkische Armee mit Artillerie, Flugzeugen und Kampf-Drohnen im Verbund mit islamistischen Söldnern (darunter u.a. IS, Ehrar El Sham, El Nusra) das Gebiet von Afrin im Nordwesten Syriens an, in dem seit Beginn des Syrienkrieges Hunderttausende Flüchtlinge aus Aleppo und anderen Teilen Syriens Schutz und Aufnahme gefunden hatten.

Gemeinsam mit den BewohnerInnen hatten die Geflüchteten verschiedenster Religionen und Ethnien die demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen des kurdischen Kantons Afrin mit aufgebaut, allen voran schritten die Frauen.

Seit Ende Januar 2018 zerstört die Türkei gezielt die Infrastruktur der Region, d.h. Trinkwasser- und Stromversorgung, die Kommunikationsnetze, Schulen, Bäckereien, Krankenhäuser und Wohngebiete wurden gezielt angegriffen.

Mitte März stand das Stadtzentrum Afrins, wohin die Menschen aus den zerstörten Dörfern geflohen waren, unter Bombardement. Die Welt schwieg. Am Abend des 16. März wurde das einzige Krankenhaus der Stadt Afrin, das voller verletzter Menschen war, bombardiert. Am 17. und 18. März flohen Hunderttausende vor den türkischen Luftangriffen und den islamistischen Horden aus der Stadt. Die meisten Menschen versuchten in Richtung Aleppo zu entkommen. Auch die Flüchtenden wurden von der türkischen Armee beschossen. Wer nach Aleppo hinein wollte, musste hohe Summen an Bestechungsgeldern an Checkpoints bezahlen. Wer Afrin als Geburtsort im Ausweis stehen hat, wird nicht nach Aleppo hineingelassen, es sei denn er oder sie kann hohe Geldsummen zahlen. So strandeten schätzungsweise 300.000 Menschen im Gebiet zwischen Afrin und Aleppo, vor allem in den Regionen Shehba, Zehraa und einigen arabischen Orten.

Wie viele Zivilisten im Gebiet von Afrin geblieben sind, ist nicht sicher. Sie leiden jetzt unter dem türkischen Besatzungsregime. Die Häuser, Dörfer, Olivenhaine und Felder der Menschen von Afrin werden nach und nach von islamistischen Kämpfern aus Ost-Ghuta und ihren Familien beschlagnahmt, so dass viele Menschen aus Afrin zu Fremden im eigenen Land geworden sind. Jeden Tag erreichen die Menschen Nachrichten von Verschleppungen, Vergewaltigungen und Mord.

Die Situation der Geflüchteten in der Region Shehba

Seit der Evakuierung Afrins leben insgesamt 109.212 Geflüchtete in der Region Shehba in Nordsyrien, von diesen 23.036 Familien, sind etwa 7.982 Kleinkinder und ca. 2.467 Alte und Kranke. Im Gebiet Sherawa leben seither 23.919 Menschen, 4.678 Familien, 1.344 Kleinkinder und 636 Kranke.

Seit Mitte März 2018 sind in Shehba 3 Camps für die Geflüchteten von der demokratischen Selbstverwaltung Nordsyriens aufgebaut worden.

Viele andere Vertriebene haben sich notdürftig in den Ruinen zerstörter Dörfer Shehbas eingerichtet. Das Gebiet ist faktisch unbewohnbar, da es in der Region seit 2013 Kämpfe mit Daesh und anderen Milizen gab. Häuser wurden zerstört, das Gelände ist vermint und das Wasser verseucht. Es besteht die Gefahr von Epidemien. Nach den Angaben des Kurdischen Roten Halbmondes (Heyva Sor a Kurdistanê) sind in den vergangenen Wochen mehr als 1000 Fälle von Leishmaniose und Tuberkulose festgestellt worden. Die Situation der Geflüchteten in den Ruinen-Dörfern ist prekär, da die Gefahr der Vereinzelung und die Unsicherheit noch größer sind. Bis zum 6. Mai, dem Tag unserer Ankunft, wurden im Bereich Shehba 30 Minenexplosionen registriert. Dabei kamen drei Frauen ums Leben, vier Kinder sowie 12 Erwachsene wurden z.T. schwer verletzt. Einige Verletzte konnten wohl sogar nach Aleppo gebracht werden. Nicht alle Zwischenfälle sind der Selbstverwaltung bekannt. Der Bedarf an Elektrizität ist nur zu 20% gedeckt. Wasser wird aus 3 alten Tiefbrunnen gefördert, wobei die Trinkwasserqualität völlig unklar ist.

Brot wurde zunächst aus dem Kanton Cizire herbei geschafft, kommt aber inzwischen auch aus Aleppo und aus kleineren Bäckereien in Dörfern der Umgebung. Es fehlt an Milchpulver für Kinder, an frischem Obst und Gemüse. Dadurch kommt es besonders bei Kleinkindern und Schwangeren zu Mangelernährung. Von der Vertreterin des Bildungskomitees erfuhren wir, dass bisher 42.000 Kinder im Grundschulalter registriert wurden. Hinzu kommen Mittelschülerinnen und Studierende der Universität von Afrin, die erst seit 2 Jahren existierte.

Im ältesten, größten und am besten organisierten Flüchtlingscamp „Berxwedan" wurde mit dem Unterricht für 400 SchülerInnen in 14 Klassen in den Fächern Mathe, Kurdisch und Englisch begonnen. Sie sitzen in Schulzelten auf dem Boden und der gesamte Unterricht besteht zur Zeit vor allem aus auswendig lernen, da weder Schreibhefte noch Stifte oder Schulbücher vorhanden sind.

Berxwedan besteht momentan aus 650 Zelten. Hier leben 3.092 Menschen, davon 990 Frauen, 754 Kinder (202 zwischen 6 Monaten und 2 Jahren alt, 124 sind Säuglinge unter 6 Monaten).

Ein kleiner Markt wurde eingerichtet für Lebensmittel, Hygieneartikel und Spielzeug aufgebaut; es gibt einen Friseur und Schneider.

Das Camp Serdem umfasst ca. 323 Zelte und befindet sich derzeit noch im Aufbau. Hier leben 1.396 Menschen, davon 315 Frauen und 285 Männer. Die Anzahl der Geflüchteten steigt laut Campleitung täglich. Hiervon sind ca. 250-300 ezidische Familien.

Im Camp Efrin leben ungefähr 750 Personen, davon sind mind. 60 Kleinkinder und ca. 50 chronisch kranke Menschen.

Gesundheitssituation in Shehba

Im Camp Berxwedan konnten bereits sanitäre Einrichtungen gebaut werden, es gibt Wassertanks und Zugang zu einem Brunnen. Es gibt eine 24h Gesundheitsstation von Heyva Sor a Kurd, die alle CampbewohnerInnen betreut. Anderen Hilfsorganisationen wird bisher durch das syrische Regime sowie die türkischen Besatzer der Zugang nach Shehba verwehrt. Es gibt eine Apotheke im Camp, aber es mangelt dramatisch an Medikamenten vor allem an pädiatrischen Medikamenten. Es gibt kein Labor für hämatologische oder sonstige medizinische Tests.

Heyva Sor a Kurd unterhält Gesundheitsstützpunkte in den Dörfern und in den Camps (Berxwedane, Shehba, Sedam, Arash, Sherawa, Del Jamal, Am Hosh, Juba, Akibe, Chuba).

Zudem wird derzeit in Fafine ein ziviles Krankenhauses aufgebaut. Die ÄrztInnen des ehemaligen Krankenhauses in Afrin konnten einige Dinge retten und auf der Flucht nach Shehba mitbringen. Aber auch für dieses Projekt mangelt es an Medizin und wichtigen Geräten wie einer Laborausstattung.

Die Vertreterin des Komitees für Gesundheit berichtete, dass die gesundheitliche Gefahren vor allem außerhalb der Flüchtlingscamps durch verunreinigtes Wasser und durch Minen bestehen.

Überall mangelt es an Fachpersonal des Gesundheitswesens, ÄrztInnen und FachärztInnen.

Es fehlen Medikamente und medizinische Geräte. Dies macht eine Diagnostik schwierig. Die Versorgung von chronisch Kranken und Schwerkranke ist kaum möglich. Transporte nach Damaskus und Aleppo werden vom syrischen Regime nicht zugelassen, Passiererlaubnis wird nicht erteilt oder nur gegen hohe Geldsummen. Wenn die Patienten dennoch in Aleppo ankommen, wurde dort bereits mehrfach die Behandlung verweigert und die Verletzten oder Kranken werden wieder zurück geschickt. In den Camps gibt es viele Menschen mit Behinderungen oder Minenverletzte ohne jede Behandlungsmöglichkeit.

Krebsbehandlung ist wohl in ganz Rojava / Nord-Syrien nicht möglich. Obwohl zunehmend Fälle von Lungenerkrankungen auftreten, sind derzeit in Shehba weder TBC-Tests noch eine Therapie mit entsprechenden Antibiotika möglich. Ebenso sind Masernimpfungen außerordentlich wichtig, da es besonders bei Kindern häufig zum Ausbruch dieser Infektion kommt. Andere häufig auftretende Erkrankungen sind Laschmaniose (Hautkrankheit durch Parasitenbefall), Typhus, Fälle von Malaria, Tollwut, Schlangenbissen, Insekten- und Skorpionenstiche.

Die besondere Gefährdung der EzidInnen

Im „Serdem" Camp, in dem viele EzidInnen untergekommen sind, gab es ein Treffen speziell mit Ezidinnen und Eziden. Sie berichteten uns, dass zum Kanton Afrin 22 ezidische Dörfer gehören. Dort lebten bis März 2018 35.000 Menschen. Seit 2012 gab es wiederholt Angriffe des türkischen Staates und jihadistischer Gruppen auf die ezidischen Grenzdörfer. Schon 2012 wurden sie dabei von den Volksverteidigungseinheiten YPG und Frauenverteidigungseinheiten YPJ geschützt, wobei damals schon 10 kurdische KämpferInnen ums Leben kamen.

Nach dem Genozid gegen EzidInnen in Shengal im Nord-Irak hatten auch die EzidInnen aus Afrin verstärkt Angst und Befürchtungen bezüglich ihrer Zukunft. Bei der türkischen Offensive seit Januar 2018 kamen 13 ezidische KämpferInnen ums Leben, 3 Kinder wurden durch Raketenbeschuss getötet.

Viele Eziden flohen zunächst ins Dorf Bospane im Bezirk Sherawa, da dort die „Iraner, Russen und das Regime herrschten", aber auch dort wurden sie von der Türkei angegriffen. 550 ezidische Familien flohen nach Shehba, 275 Familien in andere Regionen, einige schafften es auch nach Aleppo. Für Eziden gibt es auch in Shehba und Umgebung (außerhalb der Camps) Sicherheitsprobleme. So wurde zwei Familien von Schleppern der Weg nach Aleppo versprochen. Unterwegs wurde das Fahrzeug aber von einer Explosion zerstört und nur ein zweijähriges Kind überlebte. Es kam immer wieder zu Entführungen mit Raub und Erpressung von Geld. Da Al Nusra ihre geschichtlichen Zeugnisse in Afrin zerstört, hoffen die EzidInnen, in Fafine ein neues Zentrum aufbauen zu können. In Afrin konnten sie in den letzten Jahren unter der kurdischen Selbstverwaltung frei ihren Glauben leben. Das war eine Zeit des Aufbruchs für sie gewesen - im friedlichen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen. Bei einer internationalen Konferenz 2015 im Libanon hatte man ihnen versprochen, alles für ihre Sicherheit zu tun. Nun aber hatte man sie international angesichts der türkischen Angriffe wieder einmal allein gelassen.

Die VertreterInnen der EzidInnen im Camp äußerten große Angst und Sorge um die noch in Afrin verbliebenen EzidInnen. Sie würden in Moscheen getrieben, die Frauen unter Schleier gezwungen, es herrsche eine große Angst vor Massakern.

Die christliche Minderheit in der Region

Im Camp Berxwedan trafen wir einen christlichen Konvertiten, der seinen Kindern christliche Namen gegeben hat. Auch er betonte die große Religionsfreiheit in Rojava. Die demokratische Selbstverwaltung ist ein Konzept, dass Erdogan und seine Islamisten genau so wenig tolerieren können wie die Gleichberechtigung der Frauen. Leider war es aufgrund der begrenzten Zeit nicht möglich sich einen noch umfangreicheren Einblick in die Situation der ChristInnen vor Ort zu verschaffen.

Die demokratische Selbstverwaltung / Frauenbewegung

In allen Gesprächen mit Geflüchteten in den Camps wurde die zentrale Rolle der Selbstverwaltung hervorgehoben. Die Camps werden vorrangig durch die Frauen, die selbst Geflüchtete aus Afrin sind, getragen. Sie können dabei an die jahrelange Aufbauarbeit in der Region anknüpfen.

2005 gründete sich in Nordsyrien die Frauenbewegung „Yekitiya Star“ und benannte sich 2016 in Kongreya Star um. Die ersten Jahre waren geprägt durch massive Repressionen des Baath-Regimes. Trotzdem gelang eine Organisierung auf allen Ebenen und unter Einbeziehung von Frauen unterschiedlichster sozialer, religiöser und politischer Hintergründe.

Sie kämpfen gemeinsam für eine gesellschaftliche Anerkennung und Partizipation, somit wird auch das Bewusstsein der Männer in der Region zu Frauenrechten verändert.

In Kongreya Star organisieren sich Frauen, Frauenorganisationen, Stiftungen, Räte und Komitees von der kommunalen Ebene bis hin zur überregionalen Rojava weiten Ebene. Die Nachbarschaft, die Kommune ist die Basis für den Erfolg der Arbeit. Die Frauen kennen sich und die sie umgebenden Familien und wissen genau, welche Bedarfe innerhalb der 100-150 Familien einer Kommune bestehen. Sie organisieren sich in Komitees wie Politik, Diplomatie, Ökonomie, Presse, Gesellschaft, Gerechtigkeit, Kunst und Kultur, Gesundheit, Selbstverteidigung und kommunale Angelegenheiten. In den Komitees wird diskutiert, wie sich weiter gebildet und die konkreten Arbeitsaufträge formuliert werden können. Diese wiederum werden durch die „Ministerien“/„Verwaltung“ umgesetzt. So gibt es für jede Frau einen Platz um sich einzubringen.

Die Komitees arbeiten und organisieren sich vor Ort autonom. Es gibt regelmäßige Treffen der Räte, wo aus der Arbeit der einzelnen Komitees und Organisationen berichtet und sich gegenseitig unterstützt wird. Außerdem werden von hier aus gemeinsame Projekte angeschoben.

Selbstverständlich arbeiten die Komitees und Räte auf allen Ebenen unterstützend zusammen.

So trafen wir in Shehba arabische, ezidische und kurdische Frauen aus fast allen Organisationsbereichen, die ihr Kenntnisse und Fertigkeiten nun in die Organisation der Camps und der Neustrukturierung in Shehba stecken. Sie schöpfen gemeinsam Kraft für die politische Arbeit durch den offenen Austausch über erlebte Traumata und Gewalt.

Weitere Delegationsstationen

Insgesamt waren wir vom 3.-10. Mai in allen drei Kantonen der demokratischen Selbstverwaltung in Nordsyrien und trafen überall hochmotivierte Frauen, die uns an ihren Erfahrungen teilhaben ließen. Jede konnte von persönlichem Leid erzählen, aber auch welche Kraft die kollektive Bearbeitung der erlebten Traumata freisetzt. Direkt am 3. Mai führten wir intensive Gespräche mit den Frauen aus verschiedenen Komitees wie der Diplomatie, der Kantonsleitung sowie der Öffentlichkeitsarbeit von Kongreya Star über die Situation in Afrin, das unmenschliche Terrorregime von Daesh und den heldenhaften Widerstand der Selbstverteidigungseinheiten. Mit Dayka Halabja (Mutter von Halabja) besuchten wir den Gefallenenfriedhof in Qamishlo, wo sich jeden Donnerstag die Angehörigen der Gefallenen treffen - eine schöne Form der kollektiven Schmerzbewältigung.

Am folgenden Tag bekamen wir einen umfassenden Einblick in die Organisationsstruktur von Kongreya Star, diskutierten dann aber sehr lange über den politischen Anspruch einer geschlechtergerechten Gesellschaft und den alltäglichen Herausforderungen - auch in den eigenen Familien. Dazu passend konnten wir am Nachmittag Jinwar besuchen ein Frauendorf für u.a. verwitwete und geschiedene Frauen und ihre Kinder. Das Projekt soll eine Alternative für Frauen mit verschiedenen gesellschaftlichen Hintergründen und Altern darstellen. Beeindruckend, dass in so kurzer Zeit bereits 20 Häuser aufgebaut wurden und welchen Rückhalt das Dorf in den umliegenden Gemeinden hat.

Mit den VertreterInnen der PYD diskutierten wir vor allem die aktuelle politische Situation, den Krieg der Großmächte in Syrien und die Selbstverortung der KurdInnen.

Der Samstag stand ganz im Zeichen von „Gesundheit“, die ja nie losgelöst vom gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet werden kann. Wir trafen uns mit Dr. Agiri (Leitung Gesundheitskomitee), Dr. Hassaf (Gesundheitsverwaltung/logistik) sowie mit Dr. Servan und Dr. Hamid von Heyva So a Kurd. Spannend wie ein Gesundheitssystem organisiert werden kann, welches fern ab kapitalistischer Verwertungslogik funktioniert, wer welche Aufgaben übernimmt und vor welchen Herausforderungen sie stehen. Selbstverständlich bekamen wir einen ersten Überblick über die Situation der Gesundheitsversorgung in Shehba.

Die nächsten Tage verbrachten wir gemeinsam mit Maja Hess von Medico International Schweiz in Shehba.

Am Mittwoch hatten wir noch die Gelegenheit zu einem kurzen Stadtrundgang in Kobane, gespickt mit Orten und Erinnerungen von Widerstand, Heimtücke von Daesh sowie Neuaufbau.

Bevor wir am Donnerstag die Grenze in den Irak überqueren mussten, trafen wir uns zu einem letzten Auswertungsgespräch mit den Frauen von Kongreya Star und berichteten von unseren Erfahrungen in Shehba und die Forderungen der Geflüchteten.

Forderungen

Wo bleibt die internationale Hilfe für die Vertriebenen aus Afrin? Wo sind der UNHCR, die WHO (z.B. Impfungen gegen Masern, TBC-Behandlung) wo das Internationale Rote Kreuz? Das Argument für das Ausbleiben ist, dass international nicht mit Regionen oder Minderheiten verhandelt wird, sondern sich an die jeweilige Staatsregierungen gehalten wird. So bleiben jedoch die Schwächsten, verfolgten Minderheiten sowie die Verteidiger von Menschenrechten und Freiheit, auf der Strecke. Sie werden übergangen und den Gefahren von Verfolgung, Vertreibung, Massakern und Genoziden ausgesetzt. Diese tödliche Ignoranz, das Wegschauen der internationalen Öffentlichkeit, erschüttern uns auf dieser Reise zutiefst. Die Menschen aus Afrin sagten uns: „Ihr müsst unsere Stimme sein! Wir wollen wieder zurück nach Afrin, zurück in unsere Städte und Dörfer. Wir haben niemanden angegriffen, sondern selbst mit vielen Geflüchteten geteilt. Hier geschieht maßloses Unrecht. Unter diesem Unrecht leiden die geschwächten Kleinkinder, Babies, Menschen mit Behinderungen, Alte und schwangere Frauen am meisten. Dieses Verbrechen muss gestoppt werden.“

Deshalb schließen wir uns den Forderungen der Menschen in Shehba an:

– Aufhebung des Embargos, freier Zugang für internationale Hilfe für die Vertriebenen von Afrin!

– Sofortige Aktivierung der Impfprogramme durch die WHO (Masern, Typhus) und Behandlung von TBC-Kranken, etc.

– Behandlung verletzter und kranker Menschen der Flüchtlingscamps in Aleppo

– Öffnung der Fluchtwege nach Aleppo und in andere Orte

– Entsendung internationaler BeobachterInnen und JournalistInnen nach Afrin

– Abzug der türkischen Armee, stopp jeglicher Unterstützung der Türkei für diesen völkerrechtswidrigen Krieg

– Beteiligung der VertreterInnen aus Rojava / Nord-Syrien an allen Friedensverhandlungen für Syrien.

– Stopp aller Waffenexporte und Geldtransfers der Bundesrepublik Deutschland an die Türkei!