Eindrücke aus Bakur – Veranstaltung in Hamburg

Kira Bönning hat im „Gemeinsam Kämpfen“-Café in Hamburg ihre Eindrücke von einer Reise nach Nordkurdistan während der Wahlen geschildert. Trotz enormer Polizei- und Militärpräsenz gab es viel Hoffnung auf Veränderung.

Am Montag fand in Hamburg das monatliche FLINTA-Café der feministischen Organisierung „Gemeinsam kämpfen für Selbstbestimmung und demokratische Autonomie“ statt. Als Referentin berichtete Kira Bönning von ihren Erfahrungen in Bakur, dem nördlichen Teil Kurdistans auf türkischem Staatsgebiet. Die Aktivistin von „Gemeinsam Kämpfen“ hat sich während der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei fünf Wochen in Amed (tr. Diyarbakir) aufgehalten und schilderte die Stimmung der Menschen und ihre Eindrücke vom Faschismus des türkischen Staates und der demokratischen Politik der kurdischen Bevölkerung, die sich nicht nur in den Parteien HDP (Demokratische Partei der Völker) und YSP (Grüne Linkspartei) ausdrückt.

Vorab gab es die Information, dass sich der Vertrag von Lausanne dieses Jahr zum 100. Mal jährt. Mit der Zerschlagung des Osmanischen Reiches nach dem ersten Weltkrieg schlossen die verschiedenen „Siegermächte“ auf Grundlage des Vertrags von Sèvres (1920) am 24. Juli 1923 den Vertrag von Lausanne, der zur Teilung Kurdistans führte.

Der türkische Nationalismus sei in Nordkurdistan sehr präsent, so Kira Bönning. An jedem Laternenpfahl in Amed hingen Bilder von Erdoğan und der türkischen Flagge. Es gebe kaum mehr Begegnungsräume in Amed, da viele Räume als Folge von Repression in den letzten Jahren geschlossen wurden. Dadurch sei das soziale Leben sehr eingeschränkt worden. Das sei ein großer Gegensatz zu der Situation vor der tausendfachen Zerstörung kurdischer Dörfer Anfang der 1990er Jahre. Mit den Dörfern wurde auch der gesellschaftliche Zusammenhalt zerstört. Die Menschen mussten aus ihren Dörfern fliehen und wurden teilweise in Neubaugebieten am Rande von Städten angesiedelt. Sie konnten sich nicht mehr selbst versorgen, so wie es in den Dörfern noch möglich war. Das hatte zu Folge, dass sie vom Staat und Kapitalismus abhängig wurden. Viele der Neubauten wurden mit einem minderwertigen Material gebaut, so dass sie beim Erdbeben am 6. Februar 2023 zum Teil einstürzten oder nicht mehr bewohnbar waren.

Wahlkampf in Amed

Kira beschrieb die Situation im Wahlkampf. Die Bevölkerung sei stark eingeschüchtert worden, doch trotz enormer Polizei- und Militärpräsenz habe es viel Hoffnung auf Veränderung gegeben. Mit Parteiemblemen der YSP geschmückte Busse seien mit Musik durch die Straßen gefahren und hätten Flaggen und Flugblätter verteilt. Auf den Straßen in Amed sah man ständig Menschen, die das Siegeszeichen machten, was zeigte, wie hoffnungsvoll die Menschen waren. Immer wieder habe es allerdings auch Angriffe auf Vertreter:innen kurdischer Organisationen gegeben, vor allem von faschistischen türkischen Banden.

Kira berichtete auch über den Kampf der Mütter gegen die Unterdrückung des faschistischen Staates. Als dann die Ergebnisse der ersten Wahlrunde veröffentlicht wurden, sei die Stimmung in Amed gekippt. Die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) habe im ersten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen erreicht. Mit dem Ergebnis der zweiten Wahlrunde sei die Stimmung noch schlechter geworden.

Im Anschluss an den Vortrag von Kira Bönning berichtete eine Kurdin, die vor kurzem nach Hamburg gekommen ist, von ihren Erfahrungen. Sie erzählte, dass seit 1991 insgesamt acht Parteien nach und nach verboten wurden, weil ihnen Nähe zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unterstellt wurde. Sie machte mehrere Faktoren für den Sieg der AKP verantwortlich. Zunächst habe es massive Wahlfälschung gegeben, Stimmen für die YSP seien als Stimmen für die AKP oder die faschistische MHP gezählt worden. Durch massive Militärpräsenz sei es zu Einschüchterung gekommen. Wahlberechtigte aus insgesamt zehn durch das Erdbeben vom 6. Februar zerstörten Städten mussten fliehen und tauchten mit ihren Namen nicht wieder im Wahlregister auf. Insbesondere in der Provinz Riha (Urfa) seien Frauen von sogenannten Dorfschützern am Wählen gehindert worden. So seien dort Männer mit den Ausweisen ihrer Ehefrauen wählen gegangen.

Hinzu komme, dass der größte Teil der Nachrichtensender in der Türkei unter der Kontrolle der Regierung stünden und diese Medien zur Einschüchterung genutzt hätten. Insbesondere die türkische Bevölkerung sei darauf eingeschworen worden, alles zu verlieren, sollte Erdogan die Wahlen verlieren. Das Schreckgespenst einer Wahl, die dazu führe, dass Männer, die Türkei als Staat und die Stärke der türkischen Nation und die Religion abgewertet würden, habe den Faschismus in der Türkei gestärkt. Auch die NATO, Russland und die regionalen Kräfte hätten zu viel Angst vor einer Demokratisierung der Türkei, was einen Dominoeffekt im Nahen Osten haben könne, als dass sie ihren Einfluss für eine Abwahl Erdoğans stark gemacht hätten.

Die kurdische Genossin beendete ihren Beitrag mit den inspirierenden Worten „Widerstand heißt Leben“ und „Widerstand und auch das Leben kann man nicht verbieten“.