Unter dem Motto „Rojava – Frühling der Frauen“ fand am 15. September eine Veranstaltung in der VHS Werra-Meißner in Eschwege statt. Schon im Frühjahr war die Ausstellung der Freien Frauenstiftung WJAR in Eschwege zu Gast. „Viele Geflüchtete, die hier in unserer Volkshochschule Deutschkurse besuchen, haben Verwandte und Orte auf den Bildern wiedererkannt. Das hat uns sehr berührt“, so Dr. Marion Feld, die die Veranstaltung organisiert hat.
Vor der VHS Eschwege werden Besucherinnen und Besucher von einer Gedenkstatue begrüßt. Sie erinnert an Catharina Rudeloff, die 1657 in Eschwege als Hexe verbrannt wurde. Um sich zu befreien, durchscheuerte sie ein Glied ihrer Gefängniskette. Die Skulptur soll Mut machen, gegen Gewalt einzutreten, heißt es in der Inschrift.
Anja Flach (Ethnologin, Internationalistin, Autorin und Mitglied im Frauenrat Rojbîn in Hamburg) führte mit ihrem Vortrag „Rojava, eine frauenzentrierte Alternative zum Patriarchat im Mittleren Osten“ in die Thematik ein. Sie berichtete über die Demokratische Föderation Nordsyrien und deren Zukunftsaussichten. Dabei ging sie auf die dort realisierten autonomen Frauenprojekte ein, die durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch türkischer Truppen und mit ihnen verbündeter islamistischer Milizen bedroht sind. Sie schilderte den einmaligen Versuch, im Mittleren Osten eine Alternative zu patriarchalen Gesellschaftsstrukturen aufzubauen. Sie wies auch darauf hin, dass der türkische Staat ganz bewusst Orte der matriarchalen Kultur im Mittleren Osten zerstört, so etwa das nordkurdische Heskîf (Hasankeyf), das schon im Neolithikum bewohnt war, oder auch den Tempel der Göttin Isthar in Ain Dara im Kanton Efrîn.
Von der Großen Göttin Mitteleuropas zu Frau Holle
Annette Rath-Beckmann, Matriarchatsforscherin und Historikerin aus Göttingen, zog Parallelen zwischen der Frauenrevolution in Rojava und den Analysen matriarchaler Gesellschaften in der Definition von Heide Göttner-Abendroth. Hier noch genauer hinzuschauen und die Modellhaftigkeit der kurdischen Frauenrevolution im Hinblick auf die Umsetzung matriarchaler Prinzipien zu prüfen, war Ziel der Veranstaltung. Annette Rath-Beckmann führte in einem Kurzreferat in die Wesensmerkmale matriarchaler Gesellschaften ein. Sie führt regelmäßig Seminare zu matriarchalen Orten und der Göttin Holle im Werra-Meißner-Kreis durch. Holle, die Große Göttin Mitteleuropas, ist in den verschiedenen Gegenden, in denen sie heimisch ist, unter unterschiedlichen Namen bekannt: Frau Gode, Frau Herke, Frau Frigg heißt sie im Norden und Nordwesten Deutschlands, Holle in der Mitte (vom Norden Baden-Württembergs bis nach Sachsen), Percht oder Berchta im Süden und in Österreich. Der Berg Meißner ist einer der Kraftorte der Göttin Holle, die in der patriarchalen Rezeption der Märchen der Gebrüder Grimm später zu Frau Holle wurde.
Matriarchale Wurzeln im Mittleren Osten entschlüsseln
Tatsächlich erfüllen Projekte der Frauenbewegung und der demokratischen Selbstverwaltung in Rojava durchaus Kriterien, die auch für Matriarchate zutreffen, so zum Beispiel direkte Basisdemokratie statt parlamentarischer Demokratie und das Konsensprinzip. „In matriarachalen Gesellschaften gibt es keine ‚Religion‘ im heutigen Sinn. Es gibt keine Trennung zwischen Sakralem und Profanem“, so Annette Rath-Beckmann, „vielmehr geht es um Rückbindung (lateinisch religio) mit der Natur.“ Auch die kurdische Frauenbewegung setze sich intensiv mit diesem Prinzip auseinander. Es gebe keine Unter-und Überordnung, zwischen den einzelnen Teilen des Ganzen. Alles, egal ob Tiere, Pflanzen, Elemente und die unbelebte Materie, alles sei gleich wertvoll. Da es keine schriftlichen Quellen gibt, die die Matriarchate beschreiben, müssen wir zum Beispiel Mythenanalyse betreiben, so Annette Rath-Beckman. Eine Methode, die auch Abdullah Öcalan anwendet, um die matriarchalen Wurzeln der Kulturen im Mittleren und Nahen Osten zu entschlüsseln. Anhand des Gilgamesch-Epos erklärt Öcalan den Kampf der Göttin Ishtar gegen den König von Uruk, der sich gegen sie stellt.