Die Aufkündigung der Istanbul-Konvention ist ein Angriff auf die Gesellschaft

Frauen aus Ankara bewerten die Zurückweisung der Klagen gegen den Aufhebungsbeschluss der Istanbul-Konvention durch das türkische Oberverwaltungsgericht als „Angriff auf die Gesellschaft“.

Die Klagen von Frauen vor dem Oberverwaltungsgericht in Ankara gegen die Aufkündigung der Istanbul-Konvention wurden im Juli mit zwei zu drei Richterstimmen abgelehnt. Die Istanbul-Konvention ist eine der Errungenschaften der Frauenkämpfe und beinhaltet Artikel zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgericht ruft weiterhin Reaktionen aus vielen gesellschaftlichen Kreisen hervor, insbesondere von Frauen und Frauenorganisationen.

Auf den Straßen von Ankara haben sich Frauen gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) zu dem Gerichtsurteil geäußert.

Aufruf zur Frauensolidarität

Buse Saraç erklärte, dass Männer bei jeder Gelegenheit Entscheidungen über das Leben von Frauen treffen. Sie betonte, dass es in einem Umfeld, in dem Frauen ohne Angst leben und sich sicher fühlen können, keinen Bedarf für Verträge geben würde. Saraç rief alle Frauen auf, miteinander solidarisch zu sein: „Weil es niemanden gibt, der uns versteht, außer uns selbst. Ich glaube, wenn Frauen sich an der Hand halten und sich gegenseitig unterstützen, werden sie viel stärker werden.“

Polizeigewalt gegen die Proteste

Birsen Keleş machte aufmerksam auf die Übergriffe durch die Polizei gegen Frauen, die gegen die Entscheidung auf die Straße gingen: „Die Organisation, die wir die Polizei nennen, sollte die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft schützen und nicht dem Schutz des Systems dienen.“ Auf der anderen Seite hätten diese Ereignisse den Menschen aber auch die Bedeutung von Frauenrechten bewusst gemacht: „Jede sollte das Bewusstsein für Frauenrechte in ihrem eigenen Kreis schärfen. Die Menschen müssen sensibilisiert werden. Wir alle sollten unseren Mitmenschen unsere Rechte erklären, dann wird sich auch etwas ändern.“

Ohne Gerechtigkeit keinen Frieden

Çisem Nurmelli erklärte, dass Frauen unter sehr schwierigen Bedingungen lebten und getötet würden. Die Abschaffung der Konvention werde schlimme Folgen für Frauen haben, so Nurmelli. Im Hinblick darauf, dass die Gesetze des Landes zum Schutz von Frauen beitragen sollten, aber stattdessen die bestehenden Rechte einschränken, sagte Nurmelli: „Die Istanbul-Konvention ist absolut wichtig und sollte umgesetzt werden. Ich habe für mich erkannt, dass ich mich hier nicht schützen kann, darum werde ich dieses Land verlassen und in einem anderen Land studieren. Frauen sollten versuchen, sich zu schützen. Wenn es keinen Frieden gibt, müssen sie kämpfen.“

Gewalt darf niemals akzeptiert werden

Arzu Özkaya sagte, dass Gewalt niemals akzeptiert werden dürfe: „Wir akzeptieren keine Gewalt gegen Frauen, Männer, Tiere, LGBTI+. Wir sehen in den Medien, dass diejenigen, die Gewalt gegen Frauen und Tiere ausüben, sofort freigelassen werden. Die Strafverfolgungsbehörden greifen nicht ein. Es gibt keinen Kontrollmechanismus. Die Menschen haben keine individuellen oder ethischen Hemmungen mehr.“

Die Aufkündigung der Istanbul-Konvention ist ein Angriff auf die Gesellschaft

Elif Bakır erklärte, dass die Konvention eine Vereinbarung zugunsten von Frauen sei und dass sie die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht für richtig halte: „Die Aussage, dass die Istanbul-Konvention Leben rettet, ist absolut richtig. Nicht nur für Frauen, sondern für alle in der Gesellschaft. Es ist ein äußerst wichtiger Vertrag, der die Rechte von Frauen, Kindern, LGBTI+ und allen Menschen verteidigt und schützt. Die Entscheidung, diese Konvention aufzukündigen, betrifft alle Frauen in der Gesellschaft, egal, ob verheiratet oder ledig, mit oder ohne Kopftuch. Es ist kein Vertrag, der das Privileg und die Überlegenheit einer bestimmten Klasse verteidigt. Ich bewerte die Aufkündigung der Konvention als Angriff auf die Gesellschaft. Nicht nur Frauen, sondern auch Männer müssen den Vertrag verteidigen. Jede ermordete Frau bedeutet den Tod der gesamten Gesellschaft.“