Bêrîtan Cûdî, Mitglied der Koordination der Partei der freien Frau Kurdistans (Partiya Azadiya Jinê ya Kurdistanê – PAJK), hat im Fernsehsender Stêrk TV über die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Invasion der türkischen Armee in Südkurdistan gesprochen. Wir geben hier das Interview exklusiv in Übersetzung wieder:
Der türkische Staat hat in Şîladizê, Kobanê und zuletzt in Kuna Masî Zivilist*innen angegriffen. Was bezweckt er damit?
Der türkische Staat sagt: „Wir greifen die PKK an. Unsere Angriffe richten sich nicht gegen Zivilisten, wir schlagen dort zu, wo es PKKler gibt. Das ist legitim.“ Ist es denn notwendig eine Stadt, wenn sich ein PKKler dort befinden sollte, mit Raketen und Artillerie zu beschießen? Würden wir denn einen großen Sprengsatz mitten auf einer belebten Straße zünden, nur weil sich dort ein Soldat oder ein Polizist befindet? Der türkische Faschismus bombardiert ohne jegliche Gewissensbisse Städte, Ausflugsgebiete und Dörfer. Was auch immer der Grund sein mag, Frauen und Kinder ins Visier zu nehmen und Zivilist*innen zu töten, ist ein großes Verbrechen.
In Kobanê wurden ja drei kurdische Frauen ermordet …
Das Massaker von Kobanê richtete sich gegen die Frauenrevolution. Die Freundinnen Zehra und Hebûn waren Anführerinnen dieser Revolution. Sie waren nicht auf der Suche nach einem individuellen Ausweg, sie kämpften für die Gesellschaft. Die Vernichtung der Gesellschaft durch die Angriffe auf die Frau dauert an. In Efrîn haben sie Frauen vergewaltigt und ihre Leichen an der Grenze liegen lassen. Rêber Apo [Abdullah Öcalan] hat einmal gesagt: „Wenn in einem Land so viele Frauen umgebracht werden, dann möchte ich nicht sein Bürger sein.“ Deswegen sollten alle Frauen auf Demonstrationen und in Erklärungen betonen „Erdoğan ist ein Frauenmörder“.
Im Moment versucht die türkische Armee Heftanîn zu erobern. Die Guerilla leistet heftigen Widerstand. Wie muss man die Geschehnisse dort verstehen?
Der türkische Staat sagt, dass er mit diesen Angriffen die Guerilla-Kräfte unter Kontrolle bekommen und den Weg nach Nordkurdistan verschließen wird. Die Region wird ohnehin schon 24 Stunden durch Aufklärungsflüge überwacht. Die Grenzen nach Kurdistan sind geschlossen. Das bedeutet, dass er Südkurdistan besetzen will. Er will sein Territorium ausweiten. 100 Jahre nach Lausanne will er eine Veränderung in großem Stil durchsetzen. Dass er nach so heftigen Bombardierungen nur ein paar Gipfel einnehmen konnten, kann nicht als Erfolg bezeichnet werden. Der eigentliche Erfolg liegt bei der Guerilla. Trotz so vieler Aufklärungsflüge, den Bombern und den Wärmebildgeräten führt die Guerilla Tag und Nacht Aktionen durch. Hier liegt der Erfolg. Wie Seyîd Riza gesagt hat, der Feind kann nach Kurdistan kommen, aber siegen kann er nicht.
Was kann man gegen diese Aggression unternehmen?
Menschen sind, um ihre Lieder singen zu können, im Hungerstreik gestorben, das türkische Regime fürchtet sich vor 70-jährigen Müttern und wirft diese ins Gefängnis. Der Feind ändert sich nicht, er bleibt feindselig. Das vielmehr Entscheidende ist, was wir tun. In einer solchen Zeit ist Patriotismus von großer Bedeutung. Wenn wir diesen Prozess nicht gut handhaben, werden die Besatzer ihn zu ihrem Vorteil nutzen. Wenn wir effektiv sind, werden wir eine Zeit der Freiheit erleben. So sollte jeder in der Lage sein, die Frage zu beantworten: „Wie freiheitlich bin ich, wie sehr setze ich mich für ein freies Leben ein?“ Niemand sollte pessimistisch sein. Als in der Düsternis des 12. September [Militärputsch 1980] nicht klar war, was morgen kommen würde, siegte die kurdische Freiheitsbewegung in entscheidenden Bereichen. Diese Bewegung hat auch den IS besiegt. Kein Herrscher oder Staat kann gegenüber der Kraft des Volkes bestehen. Das Wichtige ist die Mobilisierung im Geiste des Widerstands und des Aufstands.