Brief aus Şengal an Internationalistinnen

Die von der ezidischen Frauenbewegung initiierte Kampagne „Gegen Femizid – Seid die Stimme der Selbstverteidigung“ richtet sich an kämpfende Frauen auf der ganzen Welt. Die Fraueneinheiten Şengals (YJŞ) begrüßen die internationalistische Beteiligung.

Gegen Femizid – Seid die Stimme der Selbstverteidigung

Die Fraueneinheiten Şengals (YJŞ) haben sich der von der ezidischen Frauenbewegung TAJÊ ins Leben gerufenen Kampagne für Selbstverteidigung gegen Femizid angeschlossen und in diesem Zusammenhang einen Brief an teilnehmende Internationalistinnen geschrieben: „Liebe Frauen voller Schönheit und Klarheit: Grüße und Respekt für alle freiheitssuchenden und schönen Frauen. Als YJŞ schicken wir unsere endlosen Grüße und Liebe von den widerständigen Bergen Şengals an euch.“

Weiter heißt es in dem Brief: „Als YJŞ existieren wir im Namen des Kampfes und eines großen Widerstands für die Freiheit. Es sind nun zehn Jahre, in denen wir große Entwicklungen eines großen Kampfes vollbracht haben. Um als Frauen eine Kultur der Selbstverteidigung auf allen Ebenen aufzubauen, haben wir viel gearbeitet und einen hohen Preis gezahlt, bis wir dieses Niveau erreicht haben. Und wir werden diesen Kampf, unseren Kampf bis zum Ende weiterführen.“

Die Rose verteidigt sich mit ihren Dornen

Der nach dem 2014 vom IS begangenen Genozid und Femizid in Şengal aufgebaute Frauenmilitärverband YJŞ bezieht sich in dem Brief auf Abdullah Öcalan, der gesagt habe: „Verteidigung ist ein legitimes Recht.“ Er habe auch gesagt, die Rose verteidige sich mit ihren Dornen, so die YJŞ: „In der Geschichte tauchen viele widerständige Frauen wie zum Beispiel Rosa und Clara auf. Dayê Gulê und Cîlan haben wie tausende ihren Namen in die Geschichte der Menschheit geschrieben. Jede einzelne von ihnen war eine Rose der Freiheit. Besonders in diesem Jahrhundert sehen wir, dass Frauen täglich allen Arten von Gewalt und Angriffen durch das patriarchale System ausgesetzt sind. Aus diesem Grund ist Selbstverteidigung vor allem für Frauen notwendig und durch einen gemeinsamen Kampf möglich. Selbstverteidigung hat es immer gegeben, durch Selbstverteidigung können wir unsere Existenz und unsere Freiheit bewahren und den Femizid verhindern. In unserer Überzeugung ist die Freiheit der Frau die Freiheit der Gesellschaft.

Die Kampagne, die die Freiheitsbewegung der êzidîschen Frauen (TAJÊ) am 8. März mit dem Titel ,Gegen Femizid – Seid die Stimme der Selbstverteidigung' gestartet hat, ist für Frauen weltweit eine wichtige Botschaft. Wir haben mit Wärme und großem Interesse die Aktionen mit dem Slogan ,Die YJŞ sind unser Stolz' verfolgt. Sie haben uns Kraft und große Moral gegeben. Sie haben uns sehr glücklich gemacht.

Im Namen der YJŞ umarmen wir euch mit Wärme, wir grüßen euch erneut und sind voller Hoffnung, dass eure Haltung und euer Kampf für Freiheit immer weiter gehen wird. Mögen alle Momente unseres Lebens Momente des Kampfes und Widerstands sein. Wir sind überzeugt, dass das 21. Jahrhundert mit der Philosophie von Jin, Jiyan, Azadî und der Einheit und dem gemeinsamen Kampf von Frauen zum Jahrhundert der Freiheit der Frauen werden wird. Bei eurer weiteren Arbeit wünschen wir Euch endlosen Erfolg. Jin Jiyan Azadî! Für ein Ende der patriarchalen Mentalität!“

Hintergrund: Kampagne von TAJÊ

Die internationale Selbstverteidigungskampagne gegen Femizid wurde am 8. März dieses Jahres ausgerufen. Der Beginn der Offensive fiel damit auf den Weltfrauentag, der auch als internationaler Frauenkampftag bekannt ist. Die Kampagne hat fünf zentrale Forderungen: Femizid muss als Kriegsverbrechen anerkannt und alle Täter und Unterstützer müssen verurteilt werden. Das Recht von Frauen auf organisierte Selbstverteidigung muss gesellschaftlich und institutionell Akzeptanz finden. Das vom IS vor zehn Jahren in Şengal begangene Massaker muss auf allen Ebenen offiziell als Völkermord eingestuft und entsprechend verfolgt werden. Weiter fordert die TAJÊ die Anerkennung der nach 2014 in Şengal etablierten Selbstverwaltung und Sicherheitskräfte als legitime Vertretung und Verteidigung der Gemeinschaft. Als überlebensnotwendig fordert die Bewegung zudem die Einstellung aller Angriffe auf die ezidische Gesellschaft ein, vor allem der Luftangriffe durch den türkischen Staat. Bis zum 3. August, dem zehnten Jahrestag des Genozids und Femizids in Şengal, sollen Stimmen von Frauen und Frauenorganisationen in dieser Kampagne zusammengebracht werden. Die TAJÊ lädt dazu ein, sich mit vielfältigen Methoden daran zu beteiligen, so etwa durch Fotos, Videos, Texte, Lieder, Gedichte, Kundgebungen und Demonstrationen.

Der 74. Ferman

Am 3. August 2014 überfiel die Terrormiliz „Islamischer Staat“ Şengal mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Mindestens 10.000 Menschen fielen Schätzungen nach den Massakern des IS zum Opfer. Mehr als 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden 2.800 Frauen und Kinder vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.