Begegnungen in den Tunneln von Tişrîn

Die Tunnel am Tişrîn-Damm sind Schauplatz eines unermüdlichen Widerstands, der mit jeder Begegnung neue Geschichten offenbart. Unabhängig der Herausforderungen und Entbehrungen, stehen Glaube, Entschlossenheit und Willenskraft im Mittelpunkt des Kampfes.

TIŞRÎN Widerstand

Zermürbender Alltag im Widerstand und die unerschütterliche Moral

Seit einiger Zeit leisten die Kämpfer:innen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) und des Militärrats von Minbic aus Tunneln Widerstand am Tişrîn-Staudamm. Rund um die Uhr herrscht in diesen unterirdischen Gängen reges Treiben und an jeder Wegbiegung wartet eine neue Geschichte. So unterschiedlich die Geschichten der einzelnen Kämpfer:innen sind, so einig sind sie in ihrem Ziel: das Vordringen der türkischen Besatzungstruppen und ihrer dschihadistischen Proxymilizen zu verhindern.

Trotz extremer Bedingungen und fehlender Ressourcen setzen die Kämpfer:innen ihren Einsatz fort. In den Tunneln ist der Mangel an Wasser, Lebensmitteln und anderen notwendigen Gütern ständig präsent; selbst die Versorgung mit Brot, Tee, Zucker und Tahin (Sesampaste) ist schwierig. Dennoch wird der Zusammenhalt vor Ort großgeschrieben: Wo immer Unterstützung nötig ist, springen die Kämpfer:innen füreinander ein. Die zentrale Frage bleibt dabei stets: „Welche Taktik, welche Methoden lassen uns den Feind zurückdrängen?“

Der Wert kleiner Gesten: Solidarität auf engstem Raum

Beim Gang durch die Tunnel zeigt sich eindrücklich, wie jede Begegnung ein Stück Alltag in den Krieg verschiebt. Ob es das Team ist, das Munition vorbereitet, oder die Gruppe, die – trotz Bomben und Drohnen am Himmel – den unterirdischen Bereich sauber und in Ordnung hält: Jede:r übernimmt Verantwortung.

Besonders deutlich wird dies in einem kurzen Moment zwischen zwei YPJ-Kämpferinnen. Beide haben schwere Lasten zu tragen, wichtige Versorgungsgüter für die Front. In den engen Gängen wetteifern sie, wer die schwerere Last übernehmen darf. Keine will der anderen die Bürde aufladen; im Gegenteil, es herrscht ein regelrechter „Wettstreit“ darum, die andere zu entlasten. Diese Szene spiegelt die Entschlossenheit, aber auch die solidarische Haltung wider, die in jedem Winkel der Tunnel zu finden ist.

Nachschub an „Sonnenblumenkernen“

Mit feinem Humor bereiten manche Kämpfer:innen sich auf die Einsätze gegen die Besatzungsmilizen vor. Eine Gruppe, die Munition präpariert, nennt die Patronen im Scherz „Sonnenblumenkerne“. Die Erfolge an der Front stärken ihre Moral und sie verbessern ihre Ausrüstung für den nächsten Fronteinsatz.

Hilfe für Verwundete: Menschlichkeit im Angesicht der Gefahr

Beeindruckend ist auch die Fürsorge untereinander in kritischen Situationen. Eine Gruppe Kämpfer:innen trägt einen Verwundeten rasch in die Tunnel, um ihn in Sicherheit versorgen zu können. Sofort bilden sich kleine Teams: Manche leisten medizinische Erstversorgung, andere versuchen, ihm Mut zu machen und seine Schmerzen zu lindern.

„Es gab kein Zögern“, berichtet ein QSD-Kämpfer, „alle haben sofort geholfen. Manche boten an, die Stellung des Verletzten an der Front zu übernehmen, während er versorgt wird.“ Diese kollektive Verantwortung zeigt, dass der Widerstand in Tişrîn weit mehr ist als eine bloße militärische Koordination: Es ist ein Ausdruck gelebter Solidarität und gegenseitiger Unterstützung.

Zäh, entschlossen und niemals ohne Hoffnung

Wer durch die Tunnel von Tişrîn geht, begegnet einem Gefüge aus schwierigen Lebensbedingungen, Improvisation und dem festen Glauben daran, dass nichts unmöglich ist, solange man an die Sache glaubt. „Schwierigkeit“ und „Unmöglichkeit“ sind keine leeren Worte, sondern tägliche Realität. Doch gerade darin liegt die Kraft dieser Menschen: Das Bewusstsein, dass Entbehrungen und Gefahren untrennbar zum Kampf gehören – und dass nur ein unerschütterlicher Wille zum Erfolg führt. „Wir wissen, was uns hier alles fehlt und was alles gegen uns steht“, erzählt eine YPJ-Kommandantin, „aber wir glauben an unsere Mission und daran, dass wir sie erfüllen können.“

In den Tunneln des Tişrîn-Staudamms wird dieser Glaube greifbar: in kurzen Gesprächen, kleinen spontanen Hilfsaktionen und dem schlichten Willen, jede Aufgabe – so groß oder klein sie auch sein mag – entschlossen anzugehen. Jede Geschichte, jedes Erlebnis wirft ein Licht auf den Geist des Widerstands, der in jeder Geste, jedem Schritt und jedem Lachen spürbar wird.

Ein Ende ist nicht in Sicht

Beobachtet man die Gesamtsituation, so wird klar, dass dieser Widerstand nicht plötzlich abreißen wird. Solange Angriffe aus der Luft oder vom Boden drohen und die freiheitliche Idee der QSD, YPJ und ihrer Verbündeten angegriffen wird, werden die Kämpfer:innen nicht aufgeben. An den Stellungen rund um den Tişrîn-Staudamm und in den unterirdischen Wegen herrscht eine Atmosphäre ständiger Alarmbereitschaft, aber auch ein tiefer Sinn für Gemeinschaft.