Gestern Abend fand in Hamburg eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zu dem völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei in Efrîn statt. Im Mittelpunkt standen dabei die kurdische Frauenbewegung und die Frage, wieso dieser Krieg auch ein Angriff auf die Revolution der Frauen ist. Die AG Queer Studies lud hierfür die Ethnologin, Autorin und Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung Anja Flach ein und veranstaltete den Abend im Rahmen der Vorlesungsreihe „Jenseits der Geschlechtergrenzen“.
Anja Flach leitete ihren Vortrag mit einigen Informationen zur aktuellen Lage in Rojava ein. Seit dem 20. Januar wird dieses einzigartige Projekt durch die türkische Armee und mit ihr verbündete Dschihadisten bedroht. Unter dem Deckmantel „FSA" führen diese einen Angriffskrieg gegen die Demokratische Föderation Nordsyrien/Rojava durch und haben einen der selbstverwalteteten Kantone, nämlich Efrîn, überrannt. Für die Bevölkerung Efrîns hat dies gravierende Folgen: Menschen müssen fliehen, Bauten von großem historischen und kulturellen Wert werden zerstört. Die ezidischen Dörfer werden in eine besonders dramatische Lage gebracht.
Das Bild kurdischer Frauen hat einen radikalen Wandel durchlebt
Dieser Krieg ist als ein Angriff auf die Revolution in Rojava und die Befreiung der Frauen als einen fundamentalen Bestandteil zu werten. Diese begann im Juli 2012, als die Bevölkerung das geschwächte Baath-Regime weitgehend unblutig vertrieb. In Anlehnung an das Konzept des demokratischen Konföderalismus, verfasst von Abdullah Öcalan, organisiert sich die Bevölkerung seither in einem Räte- und Kommunesystem selbst. Das Bild kurdischer Frauen hat in der westlichen Öffentlichkeit seitdem einen radikalen Wandel durchlebt. Wurden Frauen im Mittleren Osten bisher überwiegend als unterdrückt dargestellt, stehen vor allem die Kämpferinnen der YPJ, der unabhängigen Fraueneinheiten, im Fokus des Interesses. Frauen in Rojava kämpften von Anfang an mit, parallel zu Volksräten wurden Frauenräte aufgebaut. Frauen haben eine Verfassung auf der Basis von Frauenrechten durchgesetzt, haben eigene militärische Einheiten und sind mit einer Geschlechterquote von 40 Prozent in jeder Institution vertreten.
Anja Flach stellte in ihrem Vortrag verschiedene Projekte vor, in denen sich Frauen selber organisieren. So sprach sie zum Beispiel von der Basisorganisation der Frauen in Rojava, Yekîtiya Star, und der Presseakademie der Frauen in Rojava, die sich als Ziel gesetzt hat, jenseits patriarchaler Berichterstattung zu agieren. Dabei spielt Bildung eine zentrale Rolle. Patriarchale Hegemonien müssen überwunden werden und die Frauen Rojavas nehmen diese Aufgabe selbst in die Hand, indem sie politische Bildung, Medien und auch die Schreibung von Geschichte eigens organisieren und bereitstellen.
Ökonomische Unabhängigkeit und Selbstverteidigungsstrukturen
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der durch die Revolution ermöglicht wurde, ist die neue ökonomische Unabhängigkeit, welche sich Frauen durch eigens aufgebaute Frauenkooperativen nehmen. Es werden Beispiele von Käseproduktionen, Bäckereien, landwirtschaftlichen Betrieben und auch Kindergärten, die von Frauen geführt werden, gezeigt. Dabei konnte Anja Flach viele anschauliche Bilder von den Frauen vor Ort zeigen, die durch ihre Aufenthalte in Rojava entstanden sind. Diese Informationen aus erster Hand waren sehr beeindruckend.
Zum Schluss des Vortrages berichtete Anja Flach von der Selbstverteidigung, ohne diese es Rojava nicht gebe, in denen auch Frauen mit der YPJ selbst organisiert und vertreten sind und seit Wochen an vorderster Front für den Erhalt einer realen Alternative zum patriarchalen Kapitalismus kämpfen.
Die Veranstaltung war mit etwa 40 Personen gut besucht. In einer anschließenden Diskussions- und Fragerunde zeigte sich das Publikum sehr interessiert und stellte beispielsweise Fragen zu weiteren kurdischen Widerstandsgruppen, zu der Frage, wie Männer mit der neuen Selbstbestimmtheit der Frauen umgehen sowie zu Herausforderungen der Selbstverwaltung nach der Revolution. Eine der vermutlich wichtigsten Fragen ging auf die Schuld der deutschen Regierung, die die Türkei mit Waffen ununterbrochen versorgt, ein und fragte, was Menschen in Deutschland tun können. Die Unterstützung von Hilfsorganisationen, die vor Ort agieren, sei dabei von großer Bedeutung. Weiterhin wichtig bleibt allerdings die Verbreitung von Informationen über Rojava. Viele Menschen seien sich noch immer nicht bewusst darüber, was in Rojava geschehen ist, dass eine Alternative zu den vorherrschenden kapitalistischen und patriarchalen Systemen aufgebaut wurde, die Basisdemokratie, Ökologie und die Frauenbefreiung tief verankert hat. Wie auch, dass diese einzigartige Alternative bedroht wird, während die Welt schweigend dabei zusieht. Das Wissen über Rojava muss weiterhin verbreitet und der Protest aufrechterhalten werden.
Die Veranstaltung mit Anja Flach war die erste Veranstaltung des neuen Programms der Vorlesungsreihe „Jenseits der Geschlechtergrenzen“ der die AG Queer Studies an der Hamburger Universität.