Alle Frauen der Welt sollten Rojava verteidigen

Die Autorin und Aktivistin Rahila Gupta ruft zum Türkeiboykott auf. „Frauen auf der ganzen Welt müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Revolution von Rojava zu verteidigen“, fordert sie.

Die bekannte Autorin und Journalistin Rahila Gupta von der Initiative „Southall Black Sisters“ unterstreicht im ANF-Interview die Bedeutung der Revolution von Rojava für den Kampf gegen Rassismus und Patriarchat. Das Interview wurde im Rahmen der internationalen Frauenkonferenz „Unsere Revolution: Das Leben befreien“ des Netzwerks „Women Weaving the Future“ in Berlin geführt.


Es gibt immer noch keine Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft auf die systematischen Chemiewaffeneinsätze des türkischen Staates. Was denken Sie dazu?

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass dies absolut absurd ist. So etwas passiert, und niemand auf internationaler Ebene äußert sich dazu ... Kein Staat scheint sich darum zu kümmern, obwohl der Einsatz von Chemiewaffen verboten ist. Und leider haben wir auch in dieser Frage nicht viel Spielraum, denn die Türkei ist zur Vermittlerin im Krieg in der Ukraine geworden und alle im Westen erwarten von ihr, dass sie mit Putin verhandelt. Bei den Getreideimporten aus der Ukraine wurde beispielsweise ein Kompromiss erzielt, damit die Schiffe türkische Häfen anlaufen, die Türkei ist ebenfalls die Vermittlerin im Energietransport ... Mit anderen Worten: Erdoğan hat alle Karten in der Hand. So stellte die Türkei beispielsweise Schweden und Finnland, die nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs einen Antrag auf Beitritt zur NATO gestellt hatten, Bedingungen wie die Auslieferung kurdischer Aktivisten und die Aufhebung des Waffenembargos – und hatte damit Erfolg. Das ist wirklich unvorstellbar. Jeder, der nicht mit Erdoğan übereinstimmt, wird als Terrorist bezeichnet, und der Westen zieht sofort nach. In der geopolitischen Situation, in der wir uns befinden, ist unser Handlungsspielraum sehr eng. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir uns nicht zu diesen Themen äußern, nichts tun, keine Kampagnen führen sollten. Wir müssen all diese Dinge tun. Natürlich sollten wir Druck auf die Behörden ausüben, damit sie Maßnahmen ergreifen, um die Türkei von ihrem Tun abzuhalten, und vor allem, um Sanktionen zu verhängen. Aber ich glaube nicht, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.

Die Türkei bombardiert Rojava. Was können die Völker der Welt, die internationale Öffentlichkeit dagegen tun? Was kann getan werden, um Rojava zu verteidigen?

Ich bin sehr aktiv in der feministischen Bewegung in Großbritannien. Ich spreche dieses Thema auf verschiedenen Konferenzen an, ich schreibe Artikel in verschiedenen Zeitungen darüber. Dies ist ein feministisches Thema, wir müssen die Türkei boykottieren, wir müssen aufhören, türkische Waren zu kaufen, wir müssen verhindern, dass die Türkei weiterhin ein Urlaubsziel ist, denn die Türkei will die Rojava-Revolution zerstören und die Revolution von Rojava ist eine Frauenrevolution. Alle Frauen der Welt sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Revolution von Rojava zu verteidigen.

Die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan dauert an und die Kriminalisierung der PKK in Europa treibt immer neue Blüten. Trotz richtungsweisender Urteile wird die PKK nicht von der Terrorliste gestrichen. Was können Sie dazu sagen?

Vor kurzem wurde ein britischer Aktivist strafrechtlich verfolgt, weil er bei einer Protestdemonstration eine PKK-Fahne trug. Es ist erstaunlich, dass so etwas in einem Land wie Großbritannien passieren kann, in dem Meinungsfreiheit herrscht. Es ist erstaunlich, dass die Behauptung der Türkei überall akzeptiert wird, dass Öcalan ein „Terrorist“ sei, dass die PKK eine „terroristische“ Organisation sei und dass jeder, der sie unterstützt, verfolgt werden solle. Aber wir sollten darüber nicht allzu überrascht sein, denn wir wissen, wie heuchlerisch westliche Staaten sein können, wenn es um Demokratie und Meinungsfreiheit geht. Ich werde also auf diese Frage die gleiche Antwort geben wie auf die Frage nach dem Einsatz von Chemiewaffen: Die Türkei ist jetzt der Liebling des Westens. Das Einzige, was in dieser Frage funktionieren kann, das Einzige, was die Türkei abschrecken kann, sind westliche Sanktionen, die nicht kommen werden. Der Westen ist nicht in der Lage, die Türkei von ihren Angriffen gegen das kurdische Volk abzuhalten.

Die Parole der kurdischen Frauenbewegung „Jin Jiyan Azadî“ hat sich weltweit verbreitet. Was bedeutet diese Parole für Sie?

Diese Losung ist heute die Grundlage des Kampfes für die Befreiung der Frauen. Diese drei Worte fassen den Befreiungskampf der Frauen weltweit sehr prägnant zusammen. Die Frauen verteidigen das Leben und fordern ein freies Leben. Sie kämpfen für ein freies Leben. Ich bin eine Frau indischer Herkunft, und Azadî bedeutet auf Hindi auch Freiheit. Daher ist „Jin Jiyan Azadî“ eine Parole, die ich gerne und bereitwillig übernommen habe. Und heute ist sie zu einer internationalen Parole geworden. Vor zwei Wochen war ich auf der FiLiA-Konferenz, der größten feministischen Konferenz in Europa, an der 15.000 Frauen teilnahmen. Und ich beendete meine Eröffnungsrede, indem ich über Rojava sprach, ich sprach über diese Konferenz, ich sprach über das Modell des demokratischen Frauenkonföderalismus. Die meisten der Teilnehmerinnen waren weiße britische Frauen, die meisten von ihnen waren neu in der Auseinandersetzung mit dem Feminismus, sie hörten dort zum ersten Mal die Parole „Jin Jiyan Azadî“ und der ganze Saal war am Ende meiner Rede von ihr erfüllt. Daher muss ich sagen, dass es sich um eine sehr erfolgreiche Parole handelt.