Nach der Kritik zahlreicher Menschenrechtsorganisationen hat die Deutsche Welthungerhilfe e.V. von der Restaurierung beschädigter Häuser in der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien Abstand genommen. „Nach Prüfung aller Informationen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, die zerstörten Häuser nicht zu reparieren. Wir hatten berechtigte Zweifel, ob unsere Grundprinzipien der humanitären Hilfe wie etwa Neutralität unter den gegebenen Umständen einzuhalten sind“, teilte die Bonner Hilfsorganisation am Dienstag mit.
Zuvor hatten mehr als zwei Dutzend Organisationen und Medieneinrichtungen mit scharfen Worten gegen das Vorhaben der Welthungerhilfe protestiert, 400 Häuser in der besetzten Region Efrîn herzurichten. Nach Angaben von humanitären Einrichtungen im nordostsyrischen Autonomiegebiet gehörten diese Wohnstätten vertriebenen kurdischen Familien. Nun beherbergen sie dschihadistische Milizionäre und deren Angehörige, die gemeinsam mit der türkischen Armee die ursprüngliche Bevölkerung vertrieben und sich deren Häuser angeeignet haben. Die Unterkünfte sollen zu einem Großteil an Familien von Söldnern vergeben worden sein, die in Libyen oder Aserbaidschan für die Türkei kämpften.
„Diese Häuser zu renovieren würde die Besatzung verstetigen und Erdogans Pläne unterstützen, die Bevölkerung Efrîns zu türkisieren und zu islamisieren“, kritisiert Lina Stotz, Referentin für ethnische und religiöse Minderheiten bei der Gesellschaft für bedrohte Völker, die ebenfalls gegen das Projekt der Deutschen Welthungerhilfe protestiert hatte. „Die Ansiedlung der Milizionäre und ihrer Familien in den Häusern der kurdischen, christlichen und ezidischen Vertriebenen bedeutet eine völkerrechtswidrige Veränderung der Demografie der Region. Wir fordern die Welthungerhilfe daher auf, das Vorhaben umgehend zu stoppen.“
Die Besatzung Nordsyriens durch die Türkei dürfe nicht finanziell unterstützt oder belohnt werden. so die GfbV. Stattdessen solle sich die Organisation auf das Verteilen von Hilfsgütern konzentrieren. Das humanitäre Völkerrecht verbietet An- und Umsiedlungen, die zum Ziel haben, demografische Strukturen in besetztem Gebiet zu verändern. Jegliche Bestrebungen, türkische oder syrische Milizionäre beziehungsweise ihre Familien in Efrîn anzusiedeln, seien darum zu verurteilen.
Der ehemals selbstverwaltete Kanton Efrîn ist seit März 2018 völkerrechtswidrig von der Türkei besetzt. Die meisten der mehr als 250.000 Vertriebenen aus der einst sichersten Region Syriens und einem Ort für multireligiöses Zusammenleben, Solidarität und Mitgefühl, der für intelligente postpatriarchale Strukturen stand, an denen Minderheiten und Frauen beteiligt sind, leben noch immer in provisorischen Camps im wüstenähnlichen Niemandsland Şehba. Die Region zwischen Aleppo und Efrîn unterliegt zudem einem Embargo des Assad-Regimes. Hunderttausende Menschen werden so systematisch von ihrer Außenwelt abgeschnitten.