„Was die Türkei begonnen hat, vollendet Deutschland“

ANF sprach mit der Ehefrau von Yılmaz Acil, der im September unter dem Vorwurf einer Betätigung für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) festgenommen wurde und sich seitdem in der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen in Untersuchungshaft befindet.

Wie berichtet, wurde am 10. September der in Augsburg lebende Kurde Yılmaz Acil aus Amed (türk. Diyarbakır) nach §§129a/b StGB verhaftet. Dem vom Oberlandesgericht München ausgestellten Haftbefehl zufolge soll Acil „der Ideologie der in Deutschland verbotenen PKK“ anhängen und seit August 2016 als sogenannter „Frontarbeiter der PKK im Bereich Südbayern“ tätig gewesen sein. Insgesamt 37 Einzelvorwürfe sind im Haftbefehl aufgelistet, zumeist Tätigkeiten im Rahmen einer normalen Vereinsarbeit wie das Organisieren von Veranstaltungen und Busreisen.

Seit fast zwei Monaten ist auch die Familie von Yılmaz Acil aus der Bahn geworfen. ANF besuchte sie und wollte wissen, wie es der Ehefrau und den vier Kindern mittlerweile geht und wie sie die Zeit ohne Vater und Ehemann erleben.

Ayten Acil erzählt zunächst, warum die Familie in Deutschland lebt: „Wir sind vor der Tyrannei des türkischen Staates geflohen. Kurden wurden verfolgt, ins Gefängnis gesperrt. Kurden haben keine Rechte. Sie können kein menschliches Leben führen.“

Nach Deutschland kam Acil 2011. Er erhielt politisches Asyl und setzte sich im Rahmen legaler Vereinsarbeit für einen Demokratisierungsprozess in Kurdistan ein. In Augsburg fand er Arbeit und lebt dort mit seiner Frau und den vier Töchtern im Alter von fünf und fünfzehn Jahren.

Noch immer sichtlich erschüttert, schildert Ayten Acil den Tag der Verhaftung ihres Mannes, von der sie durch einen Anruf von Nachbarn erfahren hat: „Mein Mann hat nachts gearbeitet. Er kam um 6.30 Uhr morgens von der Arbeit nach Hause. Um 7.30 Uhr verließ ich mit meinen drei ältesten Töchtern die Wohnung. Ich brachte die Kinder in die Schule, dann wollte ich meinen Sprachkurs besuchen. Um 9.30 Uhr riefen mich die Nachbarn an und sagten, die Polizei sei in unserer Wohnung. Als ich nach Hause kam, durchsuchte die Polizei alle Zimmer. Sie haben alles durcheinander gebracht. Ich hatte große Angst und bekam eine Panikattacke. Die Beamten sagten mir, ich solle Wasser trinken. Dann nahmen sie meinen Mann mit und auch einige Gegenstände wie Notizbücher, Schriften und Datenträger. Ich frage mich immer, warum hat mich die Polizei nicht angerufen? Hätten mich die Nachbarn nicht benachrichtigt, wäre meine fünfjährige Tochter alleine zurückgeblieben.“

Zu ihrer jetzigen Situation befragt, spricht Ayten Acil vor allem über die vier Mädchen: „Die Kinder weinen die ganze Zeit, nachdem mein Mann festgenommen wurde. Vor allem die Jüngste fragt immer wieder nach ihrem Vater. Ich kann nicht sagen, dass er im Gefängnis ist. Ich sage, er ist im Krankenhaus. Psychisch geht es meinen Kinder sehr schlecht. Sie wissen nicht, warum ihr Vater, an dem sie sehr hängen, plötzlich nicht mehr da ist. Sie vermissen ihn sehr.“

Über sich selbst redet Ayten Acil nur zögernd. Aber dann gibt sie zu, dass auch sie sich sehr schlecht fühlt und immer wieder in ärztlicher Behandlung ist. „Meine Seele leidet. Ich kümmere mich um das Haus und die Kinder, ich kann jetzt keine Sprachkurse mehr besuchen. Ich muss die Kinder zur Schule bringen, ich kann sie nicht alleine zur Schule schicken, ich kann sie nicht alleine zu Hause lassen. Vorher haben wir uns die Arbeit aufgeteilt. Yılmaz wollte nachts arbeiten und früh morgens nach Hause kommen. Dabei ist er auch krank. In seinem Gehirn sammelt sich Wasser an. Das ist eine Spätfolge der Folter, die er im Gefängnis in der Türkei erlebt hat. Er kann nicht länger als zwei oder drei Stunden stehen. Es gibt Arztberichte aus der Türkei. Trotzdem hat er immer gearbeitet. Er war immer für seine Familie da. Jetzt bin ich mit vier Kindern alleine. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.“

Am Schluss unseres Gesprächs stellt Ayten Acil verbittert fest: „Wir sind aus der Türkei geflohen, aber hier lassen sie uns die gleichen Dinge erleben, die wir vom türkischen Staat kennen. Mein Mann ist nicht schuldig. Er hat immer gearbeitet. Er ist ein Familienmensch und hat sich immer um uns gekümmert. Warum ist er im Gefängnis? Wir sind Kurden und wollen uns nicht verstecken. Warum werden Kurden in Deutschland eingesperrt, wenn sie sagen, dass auch Kurden frei leben wollen? Mein Mann hat niemals Gewalt angewendet. Warum behandeln sie ihn wie einen Terroristen?“