Große Teile Nordkurdistans haben sich bei den Wahlen im Mai trotz Repressalien und Wahlbetrug deutlich für die demokratische Opposition und gegen den türkischen Diktator Erdoğan entschieden. Dennoch konnte sich die Opposition in der Türkei nicht durchsetzen und den Diktator stürzen. Zur Erneuerung und Stärkung haben die Grüne Linkspartei (YSP) und die Demokratische Partei der Völker (HDP) gemeinsam mit der Bevölkerung einen Prozess begonnen. Kern dieses basisdemokratischen Erneuerungsprozesses sind Volksversammlungen.
Istanbul: Kritik an Aufstellung der Kandidat:innen
In Istanbul-Bağcılar wurde die Volksversammlung von vielen Menschen besucht. Für die HDP nahm Elif Bulut, Mitglied des Zentralen Exekutivausschusses (MYK) der Partei, an der Versammlung im Gebäude des HDP-Kreisverbands teil. Der Ko-Vorsitzende des Kreisverbands der HDP, Raşit Ertuğrul, erklärte, dass dieses Treffen dazu diene, die Menschen „von Angesicht zu Angesicht“ mit den Vertreter:innen der Partei zusammenzubringen. Er unterstrich, man werde alle Kritikpunkte und Vorschläge der Menschen aufnehmen. Anschließend hob er die Bedeutung des Demokratischen Kongresses der Völker (HDK) als Ausdruck des apoistischen Paradigmas hervor und rief dazu auf, insbesondere die Unzulänglichkeiten bei der Vermittlung dieses Paradigmas zu diskutieren. Er sagte: „Was auch immer das Problem gewesen ist, es hätte rechtzeitig diskutiert werden müssen, und es hätten sofort Vorschläge und Lösungen gemacht werden müssen.“ Die Besucher:innen des Treffens wiesen auf die zunehmende Desorganisierung der Gesellschaft hin, insbesondere die Jugend habe sich entpolitisiert. Daher sei vor allem Jugendarbeit wichtig. Gleichzeitig müsse der Wahlkampf und die Aufstellung von Kandidat:innen bei den bevorstehenden Kommunalwahlen auf den Vorschlägen aus der Bevölkerung basieren.
Pirsûs: Auf der Grundlage von Volksversammlungen neu organisieren
Die HDP-Sprecherin Ebru Günay sowie das Mitglied des Exekutivkomitees des DBP, Faruk Tatlı, und der YSP-Abgeordnete Ferit Şenyaşar besuchten eine Volksversammlung im Gebäude des HDP-Kreisverbands in Pirsûs (tr. Suruç). Nach einer Schweigeminute zum Gedenken an die im Kampf für Demokratie Gefallenen unterstrich Günay die historische Bedeutung der Stadt Pirsûs. Günay betonte, dass die Wahlergebnisse nicht wie erwartet ausgefallen seien. Sie verwies auf den aktuellen Erneuerungsprozess und sagte: „Seit fünf Tagen halten wir in Riha (Urfa) Volksversammlungen ab. Wir werden uns im Lichte Ihrer Kritik und Ihrer Vorschläge neu organisieren.“ Anschließend übergab sie das Wort an die Anwesenden.
Ein Teilnehmer erklärte: „Von Zeit zu Zeit hat es immer wieder solche kritischen Phasen gegeben, aber die Partei hat sich immer wieder aus der Asche erhoben. Auch wenn es Schwierigkeiten gibt, sollten wir die Hoffnung nicht verlieren. Die Partei hat sich immer wieder durch Neustrukturierungen und Offensiven wie die Êdî-Bese-Kampagne erneuert. Wir haben uns schon einmal auf der Grundlage von Nachbarschafts- und Dorfkommissionen restrukturiert, und nach dieser Periode haben sich die Menschen stärker an der Politik beteiligt. Das ideologische Bewusstsein muss stark sein, sonst werden wir den Systemparteien ähneln.“ Ein anderer Anwesender erinnerte an das Abkommen von Lausanne und sagte: „Vor hundert Jahren haben sie unser Land viergeteilt, aber wir müssen weiterhin vereint sein.“
Licê: Kampf zukünftig besser organisieren
In Licê in der Provinz Amed fand ebenfalls eine Volksversammlung statt. An der Versammlung nahmen neben einer großen Zahl von Einwohner:innen der Region der stellvertretende Vorsitzende der HDP in der Provinz Amed, Zeyad Ceylan, die Ko-Sprecher:innen der YSP in der Provinz Amed, Pınar Sakın Tekin und Abbas Şahin, die Abgeordneten der Grünen Linkspartei, Ömer Öcalan und Ceylan Akça, sowie Mitglieder der HDP-Parteirats und der Kreisvorstände teil. Pınar Sakık Tekin wies in ihrer Rede auf die Isolation Abdullah Öcalans hin und sagte, dass sich diese Isolation auf alle Lebensbereiche ausgeweitet habe. Im Anschluss an die Versammlung in Licê trafen sich die Parteivertreter:innen mit Einwohner:innen der Dörfer Elîkeya, Zengê und Tûtê. Während der Treffen machten die Menschen Vorschläge und äußerten auch Kritik an der HDP. Sie forderten einen besser organisierten Kampf in der neuen Phase.
Şirnex: Ausweg ist Durchbrechung der Isolation Öcalans
In den Bezirken Elkê (Beytüşşebap), Cizîr (Cizre) und Silopîya in der Provinz Şirnex wurden Hausbesuche und Volksversammlungen organisiert. Die Volksversammlung fand unter Teilnahme des YSP-Abgeordneten Serhat Eren und einer Delegation des Provinzverbands von Şirnex im HDP-Gebäude statt und stieß auf großes Interesse. Einer der Anwesenden erinnerte daran, dass Abdullah Öcalan während des 2015 durch den türkischen Staat abgebrochenen Verhandlungsprozesses gesagt hatte: „Wenn dieser Prozess nicht erfolgreich ist, wird es einen Krieg hoher Intensität geben.“ Der Teilnehmer kritisierte: „Unsere Politik konnte das nicht verstehen und vorhersehen. Der Ausweg aus der Situation, in der wir uns befinden, besteht darin, die Isolation von Herrn Öcalan zu durchbrechen und die Errungenschaften von Rojava anzunehmen. Dafür müssen wir die Organisation entwickeln und ausbauen.“ Anschließend ergriff der YSP-Abgeordnete Serhat Eren das Wort und sagte: „In diesem Jahrhundert wurden unsere Abgeordneten, Ko-Bürgermeister:innen und Tausende von Vorstandsmitgliedern unter der Regie von AKP und MHP im Rahmen des Niederwerfungsplans inhaftiert. Die Isolierung von Herrn Öcalan wurde in die Tat umgesetzt. Unser Volk sollte genau wissen, dass kein Problem gelöst werden kann, ohne die Isolation von Herrn Öcalan zu durchbrechen. Wir müssen unseren organisierten Kampf verstärken, um die Isolation zu durchbrechen. Von nun an werden wir nicht mehr nur in Ankara Politik machen, sondern wir werden uns mehr auf unser Volk ausrichten.“
Konferenzen im August
Eren erklärte zu dem unter den Erwartungen liegenden Wahlergebnis im Mai: „Obwohl es Angriffe auf unsere Partei gab, müssen wir auch unsere Selbstkritik unserem Volk gegenüber abgeben. Wir werden die Kritik und die Vorschläge unseres Volkes auf unseren Konferenzen im August diskutieren, und dann werden wir im September unseren Kongress abhalten. Die Kritik und die Vorschläge unseres Volkes werden uns leiten.“ In diesem Zusammenhang wurden auch Hausbesuche im Kreis Cizîr organisiert. An diesen Besuchen nahm die YSP-Abgeordnete Ayşegül Doğan teil. Auch bei den Hausbesuchen hörte sich die Delegation die Kritik und Vorschläge der Menschen an.