Es war bereits absehbar, jetzt ist es Gewissheit. Die Verhaftung des kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz (offiziell Ayas) auf Zypern aufgrund eines Auslieferungsersuchens aus Deutschland und der 129b-Prozess gegen ihn vor dem Oberlandesgericht Hamburg liegen allein im Interesse der Türkei. „Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoǧan hat bei seinem Deutschlandbesuch im November die deutsche Justiz für das Verfahren gegen Kenan Ayas ausdrücklich gelobt. Er zeigte sich erfreut darüber, dass der kurdische Aktivist auf Betreiben des Generalbundesanwalts von Zypern nach Deutschland ausgeliefert wurde und nun vor dem Oberlandesgericht Hamburg steht“, erklärte das aus der Berliner Rechtsanwältin Antonia von der Behrens, dem Frankfurter Juristen Stephan Kuhn und ihrem zyprischen Kollegen Efstathios C. Efstathiou bestehende Verteidigungsteam von Ayaz nach der letzten Verhandlung in dem Prozess am Donnerstag in einer gemeinsamen Mitteilung.
Die FAZ fasst die Äußerungen Erdoğans in einem Artikel vom 19. November 2023 wie folgt zusammen: „Der Besuch in der deutschen Hauptstadt habe ‚ein neues Kapitel unserer tiefen Beziehungen aufgeschlagen‘, sagte Erdoğan. Er zeigte sich erfreut über einen Strafprozess vor dem Oberlandesgericht Hamburg gegen einen mutmaßlichen Funktionär der kurdischen Terrorgruppe PKK. Der Mann war auf Betreiben der Bundesanwaltschaft in Zypern festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden.“
Kenan Ayaz hatte sich nach seiner Festnahme auf Zypern im vergangenen März gegen seine Auslieferung nach Deutschland gewehrt. „Er hatte dies damit begründet, dass das deutsche Strafverfahren mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK rein politisch motiviert und seine Festnahme allein auf Betreiben der Türkei erfolgt sei. Der Europäische Haftbefehl gegen ihn sei nämlich erst unmittelbar vor dem NATO-Gipfel im Juni 2022 in Madrid beantragt worden, auf dem mit der Türkei über den Beitritt Schwedens und Finnlands verhandelt werden sollte. Die Türkei versuchte und versucht den Beitritt Schwedens zur NATO zu verhindern, um Zugeständnisse bei der Verfolgung von Kurdinnen und Kurden in Europa zu erhalten. Die zypriotischen Richter hingegen konnten sich nicht vorstellen, dass politische Motive für den Haftbefehl eine Rolle gespielt haben und bewilligten die Auslieferung.“
Die Auffassung des kurdischen Aktivisten werde nun jedoch durch das ausdrückliche Lob Erdoğans bestätigt. „Dieses zeigt, welch großes Interesse Erdoǧan persönlich an dem Strafverfahren gegen Ayas hat“, betont das Verteidigungsteam. Eine weitere Bestätigung dafür, dass die Verhaftung und das Strafverfahren gegen den Kurden allein im Interesse der Türkei liegen, habe die gestrige Vernehmung des Polizeibeamten S. vom Bundeskriminalamt (BKA) ergeben. Der Zeuge leitet die PKK-Ermittlungen in Deutschland und hat auch im Verfahren gegen Ayaz ermittelt. „Er konnte trotz mehrfacher Nachfragen des Gerichts und der Verteidigung nicht erklären, warum plötzlich vor dem NATO-Gipfel der Haftbefehl von der Bundesanwaltschaft beantragt worden war. Im Gegenteil gab er an, dass die letzten relevanten Ermittlungshandlungen in dem Strafverfahren rund zwei Jahre vor Beantragung des Haftbefehls erfolgt waren und es seit dieser Zeit faktisch nicht mehr betrieben wurde.“ Und: „Erst vor dem NATO-Gipfel reaktivierte die Bundesanwaltschaft das Verfahren.“
Der Artikel aus der FAZ „Rückkehr in die Türkei: Erdoğan nennt Scholz den ‚anderen‘“ vom 19. November 2023 findet sich unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/rueckkehr-in-die-tuerkei-so-sieht-erdogan-seinen-besuch-in-berlin-19324031.html (mit Bezahlschranke)