Verfahren gegen Mehmet Çakas: Stimmauswertung ohne Beweiswert

Im Verfahren gegen den kurdischen Aktivisten Mehmet Çakas am OLG Celle dienen die TKÜ-Berichte als Beweis. Aufgrund der unseriösen und subjektiven Auswertung erklärten die Verteidiger nun, dass ihnen kein Beweiswert zugeschrieben werden kann.

Der kurdische Aktivist Mehmet Çakas steht seit Anfang September vor dem Oberlandesgericht Celle. Dem 44-Jährigen wird von der Generalstaatsanwaltschaft Celle die Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen, nach §129a/b StGB eine „terroristische Vereinigung im Ausland“.

Am Dienstag, dem 11. Hauptverhandlungstag, wurde eine Erklärung der Verteidiger Dr. Björn Elberling und Ulrich von Klinggräff zu den Telekommunikationsüberwachungs-Berichten (kurz TKÜ) abgegeben. In den vorherigen Prozesstagen wurden der LKA-Hauptermittler und der Dolmetscher jener TKÜ-Berichte als Zeugen befragt. Dabei stellte sich heraus, wie ungenau und fehlerhaft die Übersetzungen gemacht wurden. Der Dolmetscher hatte weder wortgetreu übersetzt noch selbst vorgenommene Auslassungen gekennzeichnet. Bereits die Beauftragung des Dolmetschers durch den LKA-Hauptermittler D. wirkte maßgeblich auf die Auswertung der Abhörprotokolle ein: Die TKÜ-Auswertung sollte die vermeintliche Gebietsverantwortung des Aktivisten Mehmet Çakas beweisen. Der Beamte habe dem Dolmetscher hierzu mitgeteilt: „Alles was der Sache nicht dient, soll nicht übersetzt werden.“ Damit wurde die gesamte Übersetzung suggestiv beeinflusst.

Darüber hinaus hatte der Dolmetscher nicht genannte Namen in die Berichte eingefügt, sofern er eine Vermutung hatte, welche Person gemeint sei. An manchen Stellen habe sogar der Sachbearbeiter die Namen im Nachhinein hinzugefügt. Zur Identifizierung der Stimme wurde keine Stimmenanalyse genutzt, sondern der Zeuge habe „ein gutes Stimmengedächtnis“. Allerdings erwähnte der Dolmetscher vor Gericht selbst teilweise große Unsicherheiten und Zweifel in der Zuordnung der Stimme. In diesen Fällen setzte er die Namen in Klammern oder ergänzte ein Fragezeichen. Im Nachhinein lassen sich die Zuordnungen nicht auf ihre Richtigkeit überprüfen, auch nicht, wann der Dolmetscher gemutmaßt oder gezweifelt hat.

Darüber hinaus ist nicht dokumentiert, wann die Erstzuordnung der Stimme durch den Zeugen durchgeführt wurde. Es ist somit nicht möglich, diese Erstzuordnung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Der Verteidiger von Klinggräff fand deutliche Worte, als er die Auswertung in der Erklärung als unwissenschaftlich, unseriös und nicht überprüfbar bezeichnete. Nehme man hinzu, dass sogar der Zeuge selbst Zweifel an seinen Zuordnungen der Stimmen habe, sei diesen Berichten kein Beweiswert zuzuweisen.

Nach der Erklärung wurde der einzige Zeuge dieses Prozesstages geladen. Ein BKA-Polizeibeamter aus Meckenheim. Im Jahr 2018 und 2019 hatte er eine „Anschlags-Chronologie“ der HPG (Volksverteidigungskräfte) erstellt, indem er in einer Liste aufführte, welche Aktionen die HPG durchgeführt hatten. Dabei bezog er sich auf die Internetseite der HPG und die Liste wurde ergänzt, wenn sich die türkischen Medienberichte unterschieden haben. Der Senat versuchte in der Vernehmung insbesondere zu klären, was die HPG machen und wie sie sich bzw. wozu sie sich bekennen. Immer wieder wurde der Frage nachgegangen, nach welchen Kriterien die HPG zwischen Zivilisten, Kollaborateuren und Militärangehörigen unterscheiden.

An mehr Informationen als in der Liste aufgeführt, konnte sich der Zeuge jedoch nicht erinnern, und aufgrund fehlender Türkisch-Kenntnisse habe er die Liste nicht durch eigene Recherchen zusammengestellt. Die Verteidigung bezweifelte daher im Anschluss an die Befragung durch den Senat, dass diese als Zeugenvernehmung im Sinne der Strafprozessordnung gewertet werden könne. Der Zeuge sei an dieser Stelle eher als „Urkundenvorlese-Gehilfe“ aufgetreten.

Im Anschluss an die Aussage des BKA-Zeugen haben die Verteidiger von Mehmet Çakas einen Beweismittelantrag gestellt. Dr. Elberling bezog sich auf die eingangs vorgetragene Erklärung von Mehmet Çakas und beschrieb in kurzen Sätzen, wie jung dieser war, als er die Gewalt vom türkischen Staat ganz unmittelbar mitbekommen hat.

Als der Angeklagte sechs Jahre alt war, wurde sein Vater Mustafa Çakas mit einem weiteren Freund vom türkischen Staat ermordet. Zunächst wurden Mustafa Çakas und sein Freund in türkischen Medien als „Terroristen“ bezeichnet. Mit dieser medialen Hetze hätte sich sogar die lokale Polizei derartig unwohl gefühlt, dass sie das Massaker meldete. Die damals im Parlament vertretene MDP hatte der Darstellung daraufhin widersprochen und veranlasst, dass der Fall in der Großen Nationalversammlung der Türkei (Parlament) thematisiert wurde. Als Resultat wurde offen bekundet, dass es sich bei der Tötung um einen geplanten Hinterhalt durch die Polizei gehandelt habe und weder Mustafa Çakas noch dessen Freund Terroristen gewesen seien.

Die Verteidigung beantragte sowohl das entsprechende Sitzungsprotokoll des türkischen Parlaments als auch einen diesbezüglichen Artikel der Zeitung „Cumhuriyet“ als Beweismittel in den Prozess einzuführen. Die Dokumente würden belegen, wie die ANAP die Tötung als Akt der Verteidigung darstellte. Außerdem zeigten sie, das die Polizei-Aktion gezielt gewesen sei. Die Generalstaatsanwältin wird sich beim nächsten Gerichtstermin dazu äußern.

Die nächsten Prozesstermine sind:

28.11.23 10:00 Uhr
29.11.23 9:30 Uhr
5.12.23 10:00 Uhr
6.12.23 9:30 Uhr
12.12.23 10:00 Uhr
13.12.23 9:30 Uhr
19.12.23 10:00 Uhr
20.12.23 9:30 Uhr
9.01.24 10:00 Uhr
10.01.24 9:30 Uhr

Die Termine werden regelmäßig auf der Internetseite des OLG Celle aktualisiert und Ausfälle werden bekannt gegeben.