Wenige Stunden nach der Aktion einer an die Volksverteidigungskräfte (Hêzên Parastina Gel, HPG) angeschlossenen Fedai-Einheit in Ankara hat die türkische Luftwaffe eine Angriffswelle gegen Südkurdistan (Kurdistan-Region Irak) geflogen. Nach Angaben lokaler Quellen galten die Bombardements unter anderem Zielen in Metîna, Biradost, Balekayetî, Amêdî und Qendîl. Dabei seien auch zivile Siedlungsgebiete von Kampfjets erfasst worden, darunter die östlich der Kleinstadt Amêdî liegenden Dörfer Sêgirê und Guherz, hieß es.
Die Luftschläge der türkischen Armee erfolgten am späten Sonntagabend um etwa 21:30 Uhr Ortszeit. Nicht bekannt ist bisher, ob Menschen zu Schaden gekommen sind. Über das Ausmaß der Angriffe lagen zunächst ebenfalls keine gesicherten Angaben vor. Das türkische Verteidigungsministerium begründete die Luftangriffe in einer Mitteilung mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Die HPG, eine von zwei Guerillaorganisationen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), äußerten sich bislang noch nicht zu der türkischen Luftoffensive.
Am Sonntagmorgen hatten zwei Kämpfer der „Brigade der Unsterblichen“ im hochgesicherten Regierungsviertel in der türkischen Hauptstadt die Generaldirektion für Sicherheit des Innenministeriums angegriffen. Einer der beteiligten Kämpfer hatte sich dabei in die Luft gesprengt. Wie das zentrale Hauptquartier der Volksverteidigungskräfte (Navenda Parastina Gel, NPG) später mitteilte, handelte es sich bei der Aktion um eine Warnung an das AKP/MHP-Regime, Verbrechen in Kurdistan und an der kurdischen Bevölkerung zu unterlassen.
Die Fedai-Aktion in Ankara fiel mit der Eröffnung der neuen Legislaturperiode des türkischen Parlaments zusammen und ereignete sich in unmittelbarer Nähe zur Nationalversammlung. Das angegriffene Innenministerium liegt direkt gegenüber vom Parlamentsgelände, wo der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan wenige Stunden nach dem Guerillaangriff seine Eröffnungsrede hielt. Darin trug er eine Art Plädoyer für eine neue Verfassung vor, die der AKP-Vorsitzende schon länger anstrebt, und deutete erneut einen weiteren Angriffskrieg gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien (AANES) sowie eine Fortsetzung der Invasion in Südkurdistan an.
Völkerrechtswidrige Angriffe der Türkei gehören im südlichen Kurdistan seit Jahren zur Routine. Die türkische Luftwaffe bombardiert so gut wie täglich das Territorium der KRI und des Irak, insbesondere dort, wo die Guerilla vermutet wird. Aber auch zivile Siedlungsgebiete wie etwa das ezidische Hauptsiedlungsgebiet Şengal werden regelmäßig von der türkischen Armee angegriffen. Ankara betreibt mit seinem Luftterror eine gezielte Vertreibungspolitik – insbesondere durch die gezielte Zerstörung der zivilen Infrastruktur. Dabei werden Todesopfer willkürlich in Kauf genommen.
Neun getötete Zivilpersonen in 2023
Nach Angaben der christlichen Friedensinitiative Community Peacemaker Teams (CPT-Iraqi Kurdistan) sind in diesem Jahr mindestens neun Zivilistinnen und Zivilisten bei Angriffen der türkischen Armee in Südkurdistan getötet worden, weitere sechs wurden verletzt. Zuletzt hatte die Militärgewalt des Nato-Partners Türkei am vergangenen Mittwoch zivile Opfer gefordert. Bei zwei aufeinanderfolgenden Drohnenangriffen gegen das Dorf Bokrîskan in der Berggemeinde Binarê Qendîl wurde eine 55-jährige Frau getötet. Ein 60 Jahre alter Mann überlebte den Angriff, wurde jedoch schwer verletzt. Konsequenzen für ihre Menschenrechtsverletzungen muss die Türkei jedoch nicht befürchten. Die internationale Staatengemeinschaft lässt Ankara in seinem Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden folgenlos gewähren, nicht nur im Irak. Auch in Syrien erhält die Türkei dauerhaft grünes Licht für Kriegsverbrechen.