Thomas Schmidinger stellt Afrin-Buch in Hamburg vor

Thomas Schmidinger berichtete im Hamburger Völkerkundemuseum über die Situation in Efrîn und stellte sein neues Buch „Kampf um den Berg der Kurden" vor.

Die Landeszentrale für politische Bildung hatte Thomas Schmidinger für den 22. Mai in das Hamburger Völkerkundemuseum eingeladen, um über die Situation in Efrîn (Afrin) zu berichten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Birgit Langhammer von NDR Info.

Schmidinger ging zunächst auf die Demographie der Region Efrîn ein. Nachweislich sei es mindestens seit dem Mittelalter von Kurd*innen bewohnt, viele Kurdolog*innen gingen jedoch von einer kurdischen Besiedlung seit vorchristlicher Zeit aus.

Die Partei der Demokratischen Einheit (PYD) sei dort die stärkste Partei, so Schmidinger, die Demokratische Partei Kurdistan-Syrien

PDK-S habe dort traditionell keine nennenswerte Unterstützung. Efrîn sei vor der türkischen Besatzung ein sehr friedlicher Ort gewesen, in dem auch viele Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens ein Auskommen gefunden hätten, auch Firmen aus Aleppo und anderen Orten hätten sich daher dort angesiedelt. Von Efrîn habe es nie einen Angriff auf die Türkei gegeben, vielmehr versuche Erdoğan seine innenpolitische Schwäche durch den Angriff auf Efrîn zu überwinden. Ohne Wahlfälschungen hätte dieser keine Wahl gewonnen und regiere über Notstandsverordnungen.

200.000 Menschen werde nach der militärischen Invasion verwehrt zurückzukehren. Erdoğan plane 500.000 arabische Syrer dort anzusiedeln, auch Vereinbarungen über die Ansiedlung von Dschihadisten aus Ost-Ghouta wurden mit dem syrischen Regime getroffen, Ziel sei die Demographie nachhaltig zu verändern.

In der Türkei sind ca. 3,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Europa habe die Grenzen geschlossen. Insbesondere Deutschland trage eine Mitverantwortung für den Krieg, auch durch die Lieferung von Waffensystemen u.a. dem Leopard 2. Die Türkei verhindere eine Beobachtung der Situation vor Ort, ausländische Journalist*innen dürften nicht nach Efrîn. Das allein schon sei ein Hinweis auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen.

Europa insbesondere Deutschland und Frankreich hätten durchaus die Macht, die Türkei zum Rückzug aus Efrîn zu zwingen, und somit die dauerhafte Vertreibung der Kurd*innen zu verhindern. Eine Schutzzone für die Kurd*innen, wie der „Safe Haven“ im Nordirak sei anzustreben. „Weder die Staatengemeinschaft, welche die völkerrechtswidrige Vertreibung der Bevölkerung und die Ansiedlung von Siedlern, die Zerstörung von Kulturgut oder Olivengärten, thematisieren, bekämpfen und wieder rückgängig machen muss, noch die fortschrittlichen politischen Bewegungen in aller Welt dürfen sich einfach damit abfinden, dass diese Menschen vertrieben werden. Sowohl das Kriegs- als auch das Völkerrecht verlangen, dass die vertriebenen Zivilist*innen sicher in ihre Heimat zurückkehren dürfen“, so Schmidinger. Europa habe sich durch die Flüchtlingsfrage zum Sklaven der Türkei gemacht und sei somit quasi handlungsunfähig. Die Türkei sei jedoch ökonomisch abhängig von Europa und Druck könne aufgebaut werden, denn diese Lücke könne Russland niemals füllen. Europa dürfe nicht zulassen, dass in den von der Türkei und ihren Verbündeten überwiegend islamistischen Gruppen besetzten Gebieten eine Art „Türkische Republik Nordsyrien" errichtet werde.


Thomas Schmidinger ist Politikwissenschaftler, Sozial- und Kulturanthropologe und Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien sowie an der Fachhochschule Vorarlberg. Er ist Mitbegründer und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie am Europäischen Zentrum für kurdische Studien.